Verbranntes Gedächtnis/ Links hinter mir erstreckt sich ein kleines Wäldchen, das von einer Zufahrtsstraße begrenzt wird. Auf der anderen Seite des Asphaltweges findet man nicht wie gewöhnlich ein Feld oder eine Siedlung, sondern gähnende Leere. Das große, staubige Nichts erstreckt sich, soweit das Auge reicht. Eine kraterdurchzogene Mondlandschaft hinterlässt der Tagebau Welzow Süd überall dort, wo er die Landschaft weggefressen hat.
Vor Jahren stand hier noch ein Dorf. Wahrscheinlich eine sorbische Siedlung mit einer Backsteinkirche im Zentrum. Mit alten, geschichtsträchtigen Häusern und Gehöften in der Nähe und dann ein Stückchen weiter uralter Fichtenwald ringsherum. In der Ferne erkennt man den stählernen Schaufelradbagger, der sich unermüdlich durch die Landschaft gräbt.
Die Fahrt führt weiter durch Ortschaften, deren verlassene und kaputte Häuser mich an Bilder erinnern, die man eigentlich nur aus dem Krieg kennt. In gewisser Weise ist das hier wahrscheinlich auch ein Krieg; der Kampf gegen die Kohle.
"Gott hat die Lausitz erschaffen, aber der Teufel hat die Kohle darunter gelegt" besagt ein sorbisches Sprichwort. Das Verhältnis der Lausitzer zum "Schwarze Gold" ist gespalten. Der schwedische Konzern Vattenfall ist für viele Arbeitgeber, nimmt anderen oder manchmal auch denselben Leuten jedoch Haus und Hof.
Seit bis zu 80 Jahren leben die Lausitzer unter der ständigen Bedrohung, enteignet zu werden. In der DDR galt das Gebiet als das Energiegewinnungszentrum. Nach der Wende hoffte man, die Heimat sei nun endlich sicher, doch auch seitdem wurden 19 Orte von der Landkarte radiert. Trotz Energiewende und obwohl in den fünf bereits erschlossenen Tagebauen in der Lausitz noch Kohle für die nächsten 20 Jahre lagert, plant der Energieriese Vattenfall hier noch weitere Braunkohletagebaue. Bis weit über 2050 hinaus würden die Lausitzer Kraftwerke entgegen allen Klimazielen weiter Braunkohle verbrennen.
Dabei ist der neue Tagebau Welzow-Süd II nicht einmal energiepolitisch notwendig, wie ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Brandenburgischen Landesregierung ergeben hat. Und obwohl das Land seine Klimaziele so niemals erreichen wird, hat Brandenburg den neuen Tagebau Anfang Juni dieses Jahres genehmigt.
Noch dazu sind Braunkohlekraftwerke durch eine sehr ineffiziente Energiegewinnung gekennzeichnet. Über die Hälfte der möglichen Energie bleibt ungenutzt und verdampft durch den Schornstein in unsere Atmosphäre, zusammen mit einer Vielzahl gesundheitsschädlicher Schadstoffe. Neben dieser schlechten Energiebilanz glänzen die Braunkohlekraftwerke nicht mit Klimafreundlichkeit. Ein Braunkohlekraftwerk produziert dreimal mehr CO2 als ein modernes Gaskraftwerk. Noch dazu kämpft die Lausitzer Umwelt mit versauerten Seen, verockerten Flüssen und abrutschgefährdeten Landstrichen.
Ein paar Kilometer weiter liegt das Dorf Proschim, was für den neuen Tagebau Welzow-Süd II weichen muss. Die 343 Einwohner betreiben unter anderem ein Biomassekraftwerk sowie ein Biowärmenetz und den größten Solarpark der Region. Damit werden inzwischen bereits 5000 Menschen mit Erneuerbaren Energien versorgt. Etwa so viele Menschen sollen durch die neu geplanten Tagebaue aus der Lausitz in Polen und Deutschland vertrieben werden. Allein in Deutschland wären zehn weitere Dörfer von heute auf morgen nicht mehr da. Keine kleinen schicken Backsteinkirchen mehr, kein Tante-Emma-Laden und keine Kneipe gegenüber. Sogar die Gräber im Friedhof müssten umgesiedelt werden, manche bereits zum zweiten Mal. Und das alles angeblich im Namen des Allgemeinwohls. Nicht nur urwüchsiger Wald wird hier seinen Wurzeln entrissen, auch die Bürgerinnen und Bürger in der Lausitz verlieren ihre Geschichte, ihre Traditionen und ihre Heimat. Ich bin nur zu Besuch hier im Dorf – die Proschimer bleiben und kämpfen weiter für ihr historisches Gedächtnis und für eine nachhaltigere Wirtschaft in der Lausitz. Ich fahre weiter, aber wir werden uns wiedersehen, am 23.08. zur Menschenkette. Dann ist es an der Zeit, um gemeinsam ein Zeichen zu setzen und Hand in Hand gegen diesen zerstörerischen Energieträger zu stehen.
Veranstaltungshinweise hierzu:
Am 23. August findet eine internationale Menschenkette zusammen, die zwei von der Abbaggerung bedrohte Orte in der Lausitz, Kerkwitz in Deutschland und Grabice in Polen, miteinander verbindet. Dazu fährt ein Bus aus Halle zur in die Lausitz, Abfahrt ist 8.30 Uhr am ZOB Halle, Rückkehr ca. 22 Uhr, Anmeldung unter antikohlekette-halle@posteo.de
185 Mio Tonnen Braunkohle werden in Deutschland gefördert
350 Mio Tonnen CO2 werden von deutschen Kraftwerken ausgestoßen, davon stammt die Hälfte aus Braunkohlekraftwerken
Ein Braunkohlekraftwerk produziert für die gleiche Menge Strom dreimal mehr CO2 als ein modernes Gaskraftwerk
136 Orte wurden in der Lausitz bereits für den Braunkohlentagebau abgebaggert
mehr als 5000 Bürgerinnen und Bürger müssten in Deutschland und Polen umgesiedelt werden, wenn die neuen Tagebaue durchgesetzt würde.
Noch mehr Veranstaltungen im August/September:
07.09.2014 Greenpeace Halle feiert fünfjähriges Bestehen im Peißnitzhaus. Alle sind herzlich eingeladen, bei veganen Speisen, Vorträgen und Musik mit dabei zu sein
Hanna Romanowsky/ Text & Foto
Greenpeace Halle