Joachim Walther: Das Blöken der Wölfe

Ein Fla­neur und Zeit­zeu­ge: Joa­chim Walt­hers gesam­mel­te Publi­zis­tik „Das Blö­ken der Wölfe“

Joa­chim Walt­her (*1943 in Chem­nitz) stu­dier­te an der Ber­li­ner Hum­boldt-Uni­ver­si­tät Lite­ra­tur­wis­sen­schaft und Kunst­ge­schich­te, arbei­te­te als Lek­tor und Her­aus­ge­ber im Buch­ver­lag Der Mor­gen, war Redak­teur der Zeit­schrift für jun­ge Lite­ra­tur „Tem­pe­ra­men­te“ und ist seit 1983 frei­er Schrift­stel­ler, Autor von Erzäh­lun­gen, Roma­nen und Hörspielen.

Das klingt wie eine wenig spek­ta­ku­lä­re Erfolgs­ge­schich­te. Aber Walt­her leb­te und arbei­te­te bis zum 3. Okto­ber 1990, dem Tag der deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung, in dem Land, das sich Deut­sche Demo­kra­ti­sche Repu­blik nann­te. Und weil Joa­chim Walt­her ein Mann mit Prin­zi­pi­en, einer mit „Hal­tung“ war und ist, muss­te er mit der herr­schen­den Staats­macht, vor allem mit den Kul­tur­funk­tio­nä­ren, gera­de­zu zwangs­läu­fig in Kon­flikt geraten.

In der Vor­be­mer­kung zum Band „Das Blö­ken der Wöl­fe“ mit gesam­mel­ten publi­zis­ti­schen Bei­trä­gen, Reden, Auf­sät­zen, Rezen­sio­nen, Tage­buch­no­ti­zen und Feuil­le­tons schil­dert Walt­her sei­ne ers­te und hoff­nungs­vol­le Begeg­nung mit Her­mann Bud­zis­law­ski, dem Chef­re­dak­teur der „Welt­büh­ne“, im Jahr 1970. Dort kann er für eine kur­ze Zeit eines sei­ner größ­ten Talen­te ent­fal­ten. Feuil­le­tons wie „Jour­nal einer Nach­sai­son“, „Stra­ße in Ber­lin“ und „Welt­rei­se am Alex­an­der­platz“ ste­hen in der Tra­di­ti­on eines Rudolf Arn­heim und Kurt Tuchol­sky. Das schein­bar leicht­fü­ßi­ge Fla­nie­ren und prä­zi­se Beob­ach­ten der tau­send Ein­zel­hei­ten ist beein­dru­ckend. So kann es doch wei­ter­ge­hen, aber natür­lich geht es nicht wei­ter; die „Welt­büh­ne“ ver­wei­gert sich ihrem Autor.

Walt­hers wohl schöns­ter Band mit Geschich­ten und Minia­tu­ren „Stadt­land­schaft mit Freun­den“ (1978) stimmt im Rück­blick melan­cho­lisch: Was hät­te die­ser jun­ge Mann in der gro­ßen Stadt Ber­lin alles ent­de­cken und auf­schrei­ben kön­nen! Die Geschich­te der Lite­ra­tur in der DDR ist auch eine tra­gi­sche Geschich­te der Ver­säum­nis­se, der ver­ta­nen Chancen.

Joa­chim Walt­hers defi­ni­ti­ve Abkehr von der offi­zi­el­len Kul­tur­po­li­tik voll­zieht sich mit dem 7. Juni 1979. Der Ost-Ber­li­ner Schrift­stel­ler­ver­band tagt im Roten Rat­haus und schließt neun Kol­le­gen, unter ihnen Ste­fan Heym, Joa­chim Seyp­pel, Adolf End­ler und Klaus Schle­sin­ger, aus sei­nen Rei­hen aus. Walt­hers Rede gegen den schänd­li­chen Aus­schluss wird nicht gehal­ten, aber der Bruch ist voll­zo­gen. Im Sam­mel­band „Pro­to­koll eines Tri­bu­nals“ (1991) ist das dra­ma­ti­sche Gesche­hen nach­zu­le­sen. Immer wie­der kommt Joa­chim Walt­her in State­ments und Reden dar­auf zurück. Her­mann Kant und sei­ne Genos­sen haben den „Krieg“, wie sie es nann­ten, zwar ver­lo­ren, aber die Wun­den wol­len nicht hei­len, die Täter kön­nen ihren Opfern nicht ver­zei­hen. Im Jahr 1996 erscheint im Chris­toph Links Ver­lag Joa­chim Walt­hers Stan­dard­werk „Siche­rungs­be­reich Lite­ra­tur. Schrift­stel­ler und Staats­si­cher­heit in der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik“. Auf 888 Sei­ten doku­men­tiert der Autor das gan­ze Aus­maß sys­te­ma­ti­scher Aus­for­schung und Kon­trol­le. Das hat ihm sehr vie­le Fein­de gemacht. Gott­lob ist in sei­ner gesam­mel­ten Publi­zis­tik auch und immer wie­der von Freun­den die Rede, von Bär­bel Boh­ley, Jür­gen Fuchs und Gabrie­le Stöt­zer zum Bei­spiel. 2001 rief Walt­her zusam­men mit Ines Gei­pel die „Ver­schwie­ge­ne Biblio­thek“ nicht gedruck­ter Lite­ra­tur aus der DDR ins Leben.

Ein Man­ko des Buches: 486 Druck­sei­ten sind ein­fach zu viel! Es gibt Dopp­lun­gen in der Argu­men­ta­ti­on und den The­men. Trotz­dem: Joa­chim Walt­hers „Das Blö­ken der Wöl­fe“ ist ein wich­ti­ges Zeit­zeug­nis, unbe­irr­bar und vol­ler Ver­spre­chen, die nicht ein­ge­löst wer­den konn­ten. Das stimmt trau­rig und hoff­nungs­voll gleichermaßen.

Joa­chim Walt­her: Das Blö­ken der Wöl­fe. Publi­zis­tik 1970-2013, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, Hal­le (Saa­le) 2017, 486 Sei­ten, 19,95 €


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