"Das Niveau sinkt..Ohne Neuanfang wird es hier bald keinen guten Lokaljournalismus mehr geben.", sagt der Journalist Felix Knothe im Interview über die kritische Situation vor Ort. Nach Studium, Parlamentsarbeit und MZ-Volontariat gründet der engagierte Lokalreporter nun per Crowdfunding ein dringend benötigtes Qualitätsmedium - die "Städtische Zeitung".
Stö: Halle hat mehrere Print- und Onlinemedien, außer dem einen lokalen TV-Sender und ein nichtkommerzielles Lokalradio. Welchen besonderen Bedarf siehst Du für ein neues ambitioniertes journalistisches Projekt?
Klar hat Halle viele Medien. Auf den ersten Blick. Und trotzdem höre ich seit langem immer wieder, wie enttäuscht viele Menschen vom lokalen journalistischen Angebot sind. Bitte nicht falsch verstehen: Projekte wie die Hallesche Störung oder Radio Corax, die ja zum Teil auch aus diesem Defizitgefühl heraus entstanden sind, meine ich nicht. Sie besetzen inzwischen ihre speziellen Segmente und das durchaus erfolgreich. Aber die Medien, die einen allgemeinen journalistischen Anspruch erheben, werden ihm in den Augen vieler Hallenser oft nicht gerecht. Dabei wäre es heute genauso notwendig wie eh und je. Aber die Platzhirsche sind alt und in der Krise. Das Niveau sinkt, und es findet dort gerade ein nie dagewesener journalistischer Exodus statt. Die Fluktuation in den Redaktionen ist erheblich - Krise eben.
"Die Platzhirsche sind alt und in der Krise"
Auf der anderen Seite haben die Graswurzelprojekte, die neu entstanden sind, nicht die Ressourcen, um ein breites journalistisches Angebot für die ganze Stadt zu machen. Sie haben zwar viele Follower auf Facebook, da gibt es dann aber eben oft nur das Wiederkäuen von Pressemeldungen oder ein paar schnelle Texte, journalistische Bruchstücke. Bezahlen würden dafür aber nur die wenigsten. Ich auch nicht. Aufs Bezahlen kommt es aber an. Auch Lokaljournalismus braucht eine wirtschaftliche Basis, so wie der Buchhändler, der sich gegen Amazon, der Einzelhändler, der sich gegen die Mall auf der grünen Wiese, oder der Fachbetrieb, der sich gegen Billigschrott aus Übersee wehrt.
"Lokaljournalismus gehört zu den Grundbedürfnissen einer Stadt."
Die gute Frage ist: Gibt es für professionellen Lokaljournalismus einen Markt? In Halle und noch dazu im Internet? Ich hoffe ja, weil ich glaube, dass spannende Meldungen, interessante Geschichten oder investigative Recherchen in einer Großstadt wie unserer, in einem kommunalpolitischen und gesellschaftlichen Umfeld wie hier nach wie vor wichtig sind. Lokaljournalismus gehört zu den Grundbedürfnissen einer Stadt. Das Projekt „Städtische Zeitung“ ist daher ein bisschen der Versuch, das gefallene, zerschürfte Kind am Schopf zu packen und wieder aufzurichten, mit Graswurzelmethoden wie dem Crowdfunding. Ein gutes und breites journalistisches Angebot von unten sozusagen. Ob‘s klappt? Ich hoffe es.
Stö: Der Titel "Städtische Zeitung" klingt urban und auch nach Metropole. Haben die AbonnentInnen denn Chancen auf eine objektive und regelmäßige Berichterstattung jenseits von Amtsblatt oder Stadtbloggerei?
Es war ein glücklicher Zufall, dass der Name, also die Webdomain, noch frei war. Normalerweise engt einen diese Frage stark ein, wenn man heute irgendein Projekt startet. Am Ende kommt dann als Name meist irgendein Kunstwort raus oder „Halle-irgendwas“. Der Name „Städtische Zeitung“ aber drückt genau den Anspruch aus, den ich hinter dem Projekt sehe: Eine Zeitung zu sein, also regelmäßig zu berichten aus der Sicht von professionellen Journalisten.
Die Digitalität befreit uns dabei glücklicherweise vom Zwang, jeden Tag mit zur Not beliebigen Texten Papierseiten füllen zu müssen. Wir können tages- oder minutenaktuell sein, wo es nötig ist - in Text und Bild, Ton und Video. Wir haben aber auch den Platz für lange Lesestücke, hinter denen Recherche und Zeit steckt. Das „Städtische“ kann man ebenfalls durchaus programmatisch deuten: nicht provinziell oder borniert, sondern in guter stadtbürgerlicher Tradition weltoffen, werteorientiert und kulturvoll. So stelle ich mir Zeitung vor. Aber auch kritisch, frech und vielleicht ab und zu sogar ein bisschen albern.
"nicht provinziell oder borniert, sondern in guter stadtbürgerlicher Tradition weltoffen, werteorientiert und kulturvoll"
Und noch ein Wort zur Objektivität, weil der Begriff mittlerweile oft nur noch als Totschlagargument gegen die vermeintliche „Lügenpresse“ eingesetzt wird. Objektivität ist für Journalisten als Leitmaßstab zwar sehr wichtig, aber jede Form von Berichterstattung ist immer auch individuell geprägt, selbst wenn sie, was sich hoffentlich nie durchsetzt, von Maschinen oder Algorithmen übernommen würde. Haltung, Kritik, die Achtung vor der Vielfalt und Fairness gegenüber anderen Meinungen sind mindestens ebenso wichtig. Und zu einer Zeitung kann durchaus auch mal die im strengen Sinne einseitige Provokation gehören, wenn sie einem größeren Ganzen dient.
Stö: Eine Zeitung ist immer ein kollektives Produkt. Auf welchem Weg könnte nach deinen Plänen sich eine mehrköpfige und nachhaltig arbeitsfähige Redaktion entwickeln?
Wie ich im Crowdfunding-Video sage: Es ist ein großes Projekt, wir aber müssen klein anfangen. Das heißt, ich starte zunächst allein und bin auf den Vertrauensvorschuss der Leserinnen und Leser angewiesen. Mir ist klar, dass wir alle nur mit Wasser kochen. Aber ich bin als Journalist ein bisschen bekannt in Halle. Ich werde trotzdem, in aller Bescheidenheit, von Anfang an Qualität liefern, die die 5 Euro pro Monat wert ist. Und je mehr Abonnentinnen und Abonnenten zusammenkommen, desto schneller kann das Team wachsen. Mit dem Graswurzelmodell haben wir außerdem von Anfang an materielle Unabhängigkeit. Welche Zeitung kann das heute von sich behaupten? Wir sind ausschließlich unseren Leserinnen und Lesern verpflichtet. Keinem Anzeigenkunden, keinem Großverleger, keiner Seilschaft und keinem Aktionär.
"Mit dem Graswurzelmodell haben wir außerdem von Anfang an materielle Unabhängigkeit. Welche Zeitung kann das heute von sich behaupten?"
Wir müssen auch keinen Briefdienst oder Ticketservice aufmachen, um unseren Beruf auszuüben. Ich will nicht ausschließen, dass wir nicht in kleinem Rahmen auch Werbung schalten, aber mehr als ein kleines Zubrot wird das nicht werden. Wir machen Journalismus und wollen davon leben, ganz einfach. Und obwohl es bei null losgeht, ist mein Ziel, so schnell wie möglich mit einer guten Mannschaft zu arbeiten.
Stö: Bei so viel Vision drängt sich eine Frage zum Finanzierungsmodell auf. Wie könnte ein realistisches Szenario dafür aussehen?
Das Minimalziel im Crowdfunding liegt bei 200 Vollabos. Das wären brutto 1000 Euro im Monat. Erreichen wir das, fange ich an. Die Crowdfunder bekommen für ihr Abo also auf jeden Fall ein Jahr lang Lokaljournalismus. Mit 1000 Abonnentinnen und Abonnenten kann man aber, grob gerechnet, schon einen Vollzeitjournalisten ausfinanzieren. Halle ist keine 10.000- sondern eine 230.000-Einwohner-Stadt. Da geht also was. Nicht von heute auf morgen, aber wenn wir es schaffen die Leserinnen und Lesern wieder davon zu überzeugen, dass Qualität einen Preis hat, den es sich lohnt zu bezahlen, dann können wir auch wachsen und unserem breiten Anspruch gerecht werden.
Stö: Bezahlter Qualitätsjournalismus im Netz steckt eher noch in den Kinderschuhen. Gibt es Vorbildprojekte, an denen Du Dich bei deiner Vision orientierst?
Was Journalismus im Netz angeht, sind wir vielleicht sogar unter den ersten mit dem klaren Prinzip, dass nur zahlende Abonnenten und Käufer Texte lesen können. Ich weiß es aber nicht. Trotzdem ist das Prinzip selbst doch nicht neu. So ist es am alten Zeitungskiosk immer gewesen, bevor die Printleute ihre Inhalte angefangen haben, online wegzuschenken. In meinen Augen ist das ökonomischer Irrsinn. Bei vielen anderen Produkten funktioniert E-Commerce, nur bei journalistischen Texten soll es nicht funktionieren? Dabei gibt es erfolgversprechende Beispiele, die mir Mut machen: Die Krautreporter haben als überregionale Plattform schon vor fünf Jahren erfolgreich crowdgefundet. Mittlerweile scheinen sie stabil zu sein.
"Bei vielen anderen Produkten funktioniert E-Commerce, nur bei journalistischen Texten soll es nicht funktionieren?"
Und es gibt in einigen Städten durchaus lokale Graswurzelprojekte mit professionellem Ansatz. Die Leipziger Internetzeitung existiert mit einigen Häutungen seit 2004 und setzt inzwischen auch stark auf ein Bezahlsystem. Ich würde einiges vielleicht anders machen als die Leipziger, aber vom Prinzip her sind das ermutigende Zeichen. Da wächst gerade etwas, hier und dort, und vielleicht wird daraus ja mal ein ganzes Netzwerk. Ich denke, es ist eine gute Zeit eine neue Zeitung zu gründen.