Hal­le-Neu­stadt ohne Sozia­lis­mus – wie weiter?

Unver­meid­lich pras­seln die Fünf­und­zwan­zig­jah­res­ju­bi­lä­ums­fei­er­lich­kei­ten aus dem Radio und Fern­se­her auf den geneig­ten Zuschau­er und die Zuschaue­rin. „Anti­kom­mu­nis­mus ist ja immer ein biss­chen lang­wei­lig”, schrieb Ronald Scher­nikau vor eben­so lan­ger Zeit (R. M. Scher­nikau: Die Tage in L.: Dar­über, dass die DDR und die BRD sich nie­mals ver­stän­di­gen kön­nen geschwei­ge mit­tels ihrer Lite­ra­tur. Kon­kret Lite­ra­tur Ver­lag 1990). Ein Satz vol­ler Aktua­li­tät. Etwas müh­se­lig und gezwun­gen wir­ken sie stets, die gro­ßen oder klei­nen Fei­er­lich­kei­ten zum Anfang vom Ende der DDR.

Da sitzt ein Ver­tre­ter des Stadt­mar­ke­tings Leip­zig im Deutsch­land­funk und behaup­tet, es gehe am 9. Okto­ber, dem Jah­res­tag der ers­ten Mon­tags­de­mo, um mehr als Würst­chen und Bier­stand. Da hat er recht, es geht um die Dis­ney­lan­di­sie­rung und Tou­ris­mus-gerech­te Ver­mark­tung der Mon­tags­de­mos. Und der Kreu­zer, die Leip­zi­ger Sze­ne­zei­tung, klagt über die völ­li­ge Kom­mer­zia­li­sie­rung des 9. Okto­ber. Ja was haben die Leu­te denn erwar­tet? Die­se Art von Stumpf­sinn und Ver­ein­nah­mung, das ist der Kapi­ta­lis­mus. Genau das Rich­ti­ge also für den 9. Oktober.

Und was wird denn da stets gefei­ert, das nächs­te Mal unver­meid­lich am 9. Novem­ber? Die­ses unse­li­ge Datum, Jah­res­tag der Reichs­po­grom­nacht, Jah­res­tag des Anfang vom Ende der Revo­lu­ti­on 1919, und eben Ende der DDR? Fei­ern die Ver­tre­ter der alten BRD da nicht in ers­ter Lini­en ihren Sieg über die DDR? Sol­len die Ossis etwas 25 Jah­re Treu­hand­an­stalt fei­ern? Oder 25 Jah­re Enteignung?

Jawohl, Ent­eig­nung. Wo ist mein Sieb­zehn­mil­li­ons­tel vom DDR Volks­ver­mö­gen? Das gehört heu­te diver­sen Ver­wal­tungs­äm­tern von Land und Bund, die letz­te Immo­bi­li­en und Acker­land an chi­ne­si­sche Groß­in­ves­to­ren ver­scher­beln. Mein Haus gehört einem rei­chen, viel­leicht ganz net­ten Men­schen aus Ham­burg oder Han­no­ver, mein Was­ser­werk gehört Veo­lia, die Strom­lei­tung gehör­te mal Vat­ten­fall, der Mit­tel­deut­sche Rund­funk gehört der CDU, die Kauf­hal­le gehört Ede­ka, die Fabrik gehört kei­nem, die gibts nicht mehr. Und was viel­leicht am tiefs­ten geht, die Erin­ne­rung und die Kin­der- und Stu­die­ren­den­aus­bil­dung gehö­ren der Bun­des­zen­tra­le für Poli­ti­sche Bil­dung, der Stif­tung zur Auf­ar­bei­tung und Dis­kre­di­tie­rung der DDR (kor­rekt „Bun­des­stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Dik­ta­tur“) und diver­sen ande­ren staat­li­chen Ideologieverantwortlichen.

Und dann heißt es stän­dig, die Leu­te wol­len Arbeit, arbeit­ar­beit­ar­beit. Ick will kee­ne Arbeit! Ich will  mein 1/17.000.000. Das reicht mir, da brauch' ich kei­ne Lohn­ar­beit, da wär' ich dann selbst Kapi­ta­list. Aber so geht das natür­lich nicht. Die Ossis sol­len mal schön jam­mern, um Hartz-IV bet­teln und im Call-Cen­ter arbei­ten und das dann am 9. Novem­ber gebüh­rend fei­ern. Da darf dann jeder und jede mal rich­tig schimp­fen, auf die DDR, das Auf­fang­be­cken für alle Wut und Trau­rig­keit des Jah­res 2014. Wäre doch gelacht, wenn die BRD nicht schafft, was der Katho­li­zis­mus geschafft hat: die Hoff­nung und Kla­ge in den Him­mel zu ver­la­gern. „Mei­nen Kin­dern soll es mal bes­ser gehen!” Glaubt das im Jahr 2014 noch wer? Frü­her war alles so schlimm, also muss es ja irgend­wie heu­te bes­ser sein. Man will es halt ger­ne glau­ben. Was sonst.

Nun gera­de kommt der Vor­schlag, Hal­le-Neu­stadt soll unter Denk­mal­schutz. Um was zu kon­ser­vie­ren? Angeb­lich gab es den Vor­schlag schon ein­mal, näm­lich bevor es zu spät gewe­sen wäre, 1990. Neun­zig stan­den die Denk­mä­ler noch, die Brun­nen, die Bron­zen, die vie­len Wand­bil­der, Mosai­ke, die Ahorn­blatt-Kios­ke, die Kauf­hal­len mit dem Ost-Charme, die Schu­len mit den Namen von Kom­mu­nis­ten und Kom­mu­nis­tin­nen und die Stra­ßen hat­ten noch Num­mern statt Ver­le­gen­heits­na­men. Übri­gens ist das in Mann­heim noch heu­te so, die Stra­ßen haben Num­mern, die Stadt ist vier­eckig und voll häss­li­chen Betons, und ist auf ihre Art stolz dar­auf. In Hal­le haben ja seit 90 ande­re ent­schie­den, und da war nichts mit Auf-HaNeu-stolz-Sein oder Iden­ti­tät. Anti­kom­mu­nis­mus ist Stadtpolitik.

Ich erzäh­le die Geschich­te von der Idee, Hal­le Neu­stadt 1990 zum Welt­kul­tur­er­be zu ernen­nen, einer Gele­gen­heits­be­kannt­schaft, einem ziem­lich nor­ma­len Wes­si. Ich füge noch hin­zu, dass Neu­stadt von Bau­haus­ar­chi­tek­ten geplant war, die sozia­lis­ti­sche Vor­zei­ge­stadt, die per­fek­te Polis. Die Ant­wort kommt den­noch ohne Denk­pau­se: „Das hät­ten wir verhindert.“
Den­ke, lie­be Lese­rin, lie­ber Leser, über die­sen Satz nach. Wer ist das Wir, wer ist das unge­nann­te Ihr und wer ent­schei­det über wes­sen Schick­sal in die­sem Satz? Die Ossis haben gar nichts zu mel­den über ihre Iden­ti­tät und ihre Stadt, das weiß jeder Wes­si sehr gut, das muss gar nicht über­dacht wer­den, das kommt wie aus der Pis­to­le geschossen.

Und, schaf­fen es die Ossis, 25 Jah­re nach ihrer Kapi­tu­la­ti­on, aus der Kri­se und unre­flek­tier­ten Hörig­keit? Die Ant­wort gibt die hal­le­sche Stadt­po­li­tik. Die Fäus­te sind weg, dabei hät­ten sie sogar kos­ten­neu­tral geret­tet wer­den kön­nen, die bei­den Hoch­häu­ser sind weg und zurück bleibt ein kahl rasier­ter Rie­beck­platz, hun­der­ten Wand­bil­der und Sta­tu­en sind weg. Die Pla­ket­ten an den Häu­sern, die an kom­mu­nis­ti­sche Opfer des Holo­caust erin­nern, ver­schwin­den ver­schämt in der Haus­wand. Und ste­hen geblie­ben ist nur die Fah­ne. Weil die Stadt auf­ge­hört hät­te, sich zu ver­leug­nen? Weil ein west­deut­scher Pro­fes­sor an der Burg auf die archi­tek­to­ni­sche Bedeu­tung hin­wies. Oh je, Halle!

Hal­le-Neu­stadt war nie eine Stadt, die in sich ruht. Durch und durch Bau­haus, war HaNeu zuerst Funk­ti­on und dann Form. Die Funk­ti­on war der sozia­lis­ti­sche Mensch, die sozia­lis­ti­sche Bil­dung, das hoff­nungs­vol­le Pro­jekt und natür­lich die not­wen­di­ge Indus­trie. Ohne Buna und Leu­na hat HaNeu kei­nen wirt­schaft­li­chen Sinn, ohne Sozia­lis­mus kei­ne See­le und ohne die Kunst, von der es viel gab, im Gegen­satz zu ande­ren Plat­ten­bau­vier­teln, hat HaNeu kei­nen Charme. Es jetzt zu kon­ser­vie­ren, wäre das Fest­hal­ten an der Depres­si­on. Die­ser Stadt­teil kann nur nach vor­ne, kann nur modern oder post­mo­dern sein. Aber die kur­ze, inten­si­ve Geschich­te gehört doch dazu, ohne die fehlt etwas, wie im Rest der Stadt.

Was kann der Sinn von HaNeu heu­te sein, die Funk­ti­on? Mein Vor­schlag: War­um nicht 25.000 syri­sche Flücht­lin­ge auf­neh­men? So viel Leer­stand ist bestimmt da. Das wür­de HaNeu einen Sinn geben. Bei der Zahl wären die paar Neo­na­zis (die es ja lei­der wirk­lich gibt) plötz­lich selbst mal Min­der­heit und HaNeu könn­te stolz auf sich sein.

Fin­det meinungsstark,

Wie­gand Droste
(auf­ge­wach­sen in Hal­le-Neu­stadt und Ken­ner des Stadtteils)

Foto: Blick von der Eis­sport­hal­le auf die "Punkt­hoch­häu­ser" 2006/ Thies, auf­ge­wach­sen 251/3 III. WK

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