Ein globaler Klimagipfel, ein deutsches Klimacamp und hallenser AktivistInnen – Was alle drei verbindet. Von Conrad Kunze
An einem Samstag im August fassen sich 7500 Menschen an den Händen. Ihre Menschenkette reicht von der brandenburger Lausitz bis ins polnische östlich der Neiße. Zur selben Zeit sitzen 300 Menschen in einem Hörsaal in Paris. Sie beraten über die Zukunft der globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Beide wissen recht wenig voneinander. Gehören sie vielleicht doch irgendwie zusammen, die Lausitz, Gubicé und die weite Welt?
Der Autor dieser Zeilen war am Samstag im großen Hörsaal in der fünften Etage des Betonbaus der Diderot Universität, bei der Vorbereitung auf das nächste große Klima-Gipfeltreffen im Winter 2015 in Paris. Eigentlich hätte er als Mitorganisator auf dem lausitzer Klimacamp sein sollen. Doch das war dieses Jahr besser organisiert als je zuvor. Die Menschenkette gegen die Braunkohle bekam professionelle Unterstützung von den großen Umweltorganisationen. Auch die hallesche Greenpeace-Jugend war dabei.
Das Klimacamp in der Lausitz findet zum vierten Mal statt. Rund 150 AktivistInnen vor allem aus dem Norden und Osten zelten eine Woche lang gegen den Kohle-Tagebau auf einer Wiese im Dörfchen Kerkwitz, das dem Tagebau weichen soll, wenn es nach Vattenfall geht. Es mag außerhalb des Brandenburger Ostens lächerlich erscheinen, aber in der Lausitz ist Vattenfall-Land. Und wer gegen den Kohle-Tagebau kämpft und gegen das Kraftwerk Jänschwalde, hat plötzlich überall Feinde. Der Gemeinderat eines Dorfes hat überraschend nicht eine einzige Wiese mehr zur Verfügung. An den Laternen, wo jede Dorfdisko werben darf, ist plötzlich kein Platz für die Klimacamp-Plakate. Und die Fußballmannschaft möchte lieber nicht gegen die KlimaschützerInnen spielen, „um Vattenfall nicht zu provozieren“, ließ im vorletzten Jahr eine Gemeinde-Verwaltung wissen. Das Freundschaftsspiel war aber angesetzt und der Fußballverein ließ sich nicht reinreden. Das Ergebnis war für beide Seiten überraschend, ein 5:3 Sieg für die UmweltschützerInnen.
Im Jahr 2014 ist das 4. Klimacamp in der Region angekommen. Zur Eröffnung am Samstag waren die Bierbänke vor dem Festzelt gut gefüllt mit den Damen und Herren aus dem Dörfchen Kerkwitz. Drei Bürgermeister der vom Tagebau bedrohten Dörfer sprachen die Begrüßungsworte. Am Ende gab es Tanz und Bier zum Ausklang des Abends. Das War nicht immer so, in den ersten zwei Jahren traute sich kein Bürgermeister ins Klimacamp. Der Rundfunk des Landes und die regionalen Zeitungen hatten das fast immer in schlechtem Licht dargestellt. Chaoten, Randgruppen und Berufs-Revoluzer seien aus der großen Stadt gekommen, um den Leuten auf dem Land vorzuschreiben, was sie zu tun hätten, so der Tenor. Patriotismus heiße, Arbeitsplätze und nur Arbeitsplätze in der Kohle, so die fast einhellige Meinung der regionalen Medien. Diese Schlacht ist erfolgreich geschlagen, die Leute vor Ort stehen auf für ihre Heimat. Rund 900 Menschen sollen umsiedeln, damit ihre Dörfer abgebaggert werden. Sie wollen aber nicht, und sie lassen sich auch nicht mehr vom Klimacamp entzweien. 2:1 für den Klimaschutz in der vierten Spielzeit.
Derweilen in Paris steht es noch unentschieden. Dem Vorbereitungstreffen für COP 21 voraus ging die dreitägige große Sommerakademie des globalisierungs-kritischen Netzwerks ATTAC. ATTAC ist so etwas wie der Kirchentag der linken Bewegung. Fast jede Gruppe ist vertreten und fast jede Position zu finden. Das alles zusammenzubringen in einen Konsens und eine einheitliche Strategie gelingt selten. So ist es auch eine große Werbeveranstaltung, jede und jeder trommelt für die Vision der eigenen Gruppe. So plädierten eben besonders die deutschen Gruppen für einen schnellen Atomausstieg und eine 100-prozentige Energiewende. Zu deren großen Erstaunen, fiel der Applaus des französischen Publikums nicht nur einmal recht spärlich aus. Nach einem Vortrag über die deutsche Energiewende regte sich Unmut im Publikum. Ein Mann mit österreichischem Akzent polterte los, nur die großen Monopolisten würden in Deutschland die Energiewende machen. Französische Kollegen legten nach, der Atomausstieg würde nur der Kohle nutzen. Und dann brachen die Dämme: die anti-deutschen Ressentiments waren plötzlich wieder da. Das „modèle allemand“ sei eine große Pleite, die Auto-Industrie solle ersteinmal aufhören CO2-Dreckschleudern zu bauen, polterten einige Franzosen weiter. Das spanische Pärchen neben mir stimmte auf Deutsch ein: „nicht umweltfreundlich!“ riefen die beiden Männer. Die Erkenntnis war schmerzlich aber heilsam. Wenn die Medien jahrelang nur falsches und halb-wahres verbreiten, bleibt immer etwas hängen, auch bei vermeintlich kritischen Kreisen. Und so wie die Kohle als lausitzer Patriotismus hingestellt wird, so ist leider in Frankreich ein Angriff aufs Atom immer noch für viele ein gefühlter Angriff auf die Nation. Bei Verstande läßt sich kein einziger Grund dafür vorbringen, und das geschah auch nicht, aber es regiert eben manchmal mehr das Gefühl als der Kopf.
Umso schöner war, dass nicht nur die Deutschen die Energiewende in Schutz nahmen. Auch die Vertreter von Friends-of-the-Earth aus Großbritannien und jemand von Greenpeace Frankreich plädierten für das Ziel von 100% erneuerbarer Energie.
Zeitgleich in der Lausitz war die Menschenkette ein großer Erfolg. Einmal im Jahr ist der schwedische Kohle-und-Atom-Konzern Vattenfall ganz kleinlaut und selbst der oft notorisch Kohle-freundliche Rundfunk kam nicht umhin, den Erfolg der Kohle-GegnerInnen einzugestehen. Die größte Zeitung der Region, die Lausitzer Rundschau, berichtete zum ersten Mal überhaupt ganz freundlich vom Klimacamp. Dafür zeigte in diesem Jahr die TAZ die kalte Schulter und das Neue Deutschland berichtete dafür umso ausführlicher. Auch von der ganz anderen Seite, von Springers Welt und Morgenpost gab es freundliche Aufmerksamkeiten. So ändern sich die Zeiten.
Was in Paris noch vom Urschleim beginnend erklärt werden mußte, ist in der Lausitz längst Allgemeinwissen. Die Energiewende kann die Kohle und Atom ersetzen. Und auch die erneuerbaren Energien können tausende Arbeitsplätze schaffen, zumindest wenn die Politik so hinter ihnen stünde wie hinter der Kohle. In den Dörfern, die gegen die Kohle kämpfen, ist das schon Wirklichkeit. Auf dem Feuerwehr-Haus und vielen anderen Dächern in Kerkwitz blitzen blaue Solarzellen. Kerkwitz und Atterwasch versorgen sich zu 100% mit eigenem Sonnen-Strom. Wenn das in ganz Brandenburg Realität wäre, könnte die Kohle zumachen, und es gäbe trotzdem Arbeit und Energie.
Im Winter 2015 wird auch die deutsche Anti-Kohle und Anti-Atombewegung nach Paris fahren um für globale Klima-Gerechtigkeit zu demonstrieren. Dass vom nun schon 21. Klimagipfel etwas anderes als impotente Absichtserklärungen ausgehen, glaubt an diesem Samstag im Hörsaal fünf niemand mehr. Ein älterer Herr aus Bangladesch will die alte Leier anstimmen: „Wir dürfen nicht zulassen, dass COP21 ohne Ergebnis zu Ende geht.“ Kein Applaus, dafür viele Gegenreden. Es bringt nur Enttäuschung, die Erwartung zu schüren, wir könnten die Verhandlungen auch nur einen Zentimeter beeinflussen, geben mehrere AktivistInnen zu bedenken. Worum soll es also gehen? Die Antwort gibt CJA, Climate-Justice-Action, und deren Transparent schmückt den Eingang des Gebäudes. Darauf zu lesen: „System Change not Climate Change!“ Zu Deutsch heißt das: Systemwandel statt Klimawandel.
Mit dem Nachtzug fahren die AktivistInnen und WissenschaftlerInnen zurück nach Deutschland. Und auch bei den kommenden Gipfelprotesten wird das Praktische zählen. In Deutschland muss nun nach dem Atomausstieg der Kohleausstieg erkämpft werden. Erst dann ist die Energiewende beim Strom vollständig.
Conrad Kunze war Mitorganisator des Lausitzcamps (www.lausitzcamp.info).
Titelbild: Łužyski camp – Lausitzer Klima- und Energiecamp
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Neubauten: So schön kann Beton sein. Blick vom Universitätsplatz auf den Jardin Grands Moulins Abbé Pierre und zehn Jahre alte Neubauten im 13. Arrondissement links der Seine.
Schaufelrad: So einfach gehts, Solar statt Tagebaubagger. Die Greenpeace Jugend aus Halle hat hier mitgeholfen.
Scheune: Alte Scheune in Kerkwitz. Lohnt sich das renovieren noch? Vattenfall und Landesregierung wollen hier einen Tagebau. Kerkwitz sagt nein.
Der Mann auf der Wiese: Der Boden hat sich hier über einen Meter abgesenkt. Der Bergbau senkt das Grundwasser ab, so dass der Sand im Boden zusammensackt. Ortsvorsteher Handrek zeigt, wie hoch der Boden hier noch vor zwanzig Jahren war. Im Dorf gehen deshalb die Häuser kaputt, Vattenfall und Landesregierung zahlen aber nur selten eine Entschädigung, so Handrek. Die Beweislast liegt allein bei den HauseitentümerInnen.
Gruppe auf Hügel: Da soll der Tagebau hin, an drei Seiten von Taubendorf. Eine Entschädigung soll es nicht geben, weil das Dorf stehen bleibt. 24-Stunden Lärm und Staub gäbe es umsonst obendrein. Die Taubendorfer wehren sich, und haben hier das Klimacamp zur Besichtigung eingeladen.
Zelt: Das großte Zirkuszelt auf dem 4. Lausitzer Klima- und Energiecamp. Motto dieses Jahr war “Kein Land mehr für Kohle.”
Fotos: Conrad Kunze