Soll ich’s wirklich erzählen? Ich trau mich ja nicht … Na gut. Räusper, räusper: Heute mach ich mal wieder was außerordentlich Altmodisches. So was … Absonderliches. Um nicht zu sagen: Abartiges. Ich geh raus. In die Natur. Konkret: in den Wald. Zu zweit. Ich mit mir. Meine Sozialkontakte – nein, die haben heute (Sonntag) keine Zeit, so überhaupt gar keine. Es läuft was Wichtiges in der Glotze und man muss noch 53 E-Mails beantworten und bei Facebook irgendwas verlinken, liken, updaten, uploaden und posten.
Da liegt doch der Hase im Pfeffer. Medial überspaßt, überarbeitet, frustriert, deprimiert, gebeutelt von Darmträgheit infolge von Dauersitzen, vollgefressen und doch ewig hungrig, schlage ich mich ins Gehölz. Zuvor habe ich mir für sieben Kröten ein Hopper-Ticket geleistet und mich an einem einsturzgefährdeten Bahnhof in der sachsen-anhaltischen Provinz aussetzen lassen. Der Plan für die nächsten Stunden: latschen, atmen, gucken, den Weg finden. Frage: Was soll der Scheiß? Antwort: Im Wald ist es grün, ruhig, wohlriechend und frischluftig, und in diesem Ambiente herumzuwandeln macht mich froh, frei und flink.
Auf weichem Waldboden streife ich zwischen diesen stabilen, hochgewachsenen Dingern hindurch. Bäume heißen die, glaube ich. Rasch entspannt sich die Wanderin, auch gedankenmäßig. Denn man ist hier nicht nur am Arsch der Welt. Nein, hier kann einen die Welt auch am selbigen lecken. Der Wald ist gleichsam ein Vakuum, frei von „To-do-Listen“, Handygeplärre, Werbung mit magersüchtigen Frauen, SGB II. Kein Schwein will was von dir. Daseinsprobleme, unablässig in der mentalen Endlosschleife bearbeitet, verdünnisieren sich oder verlieren an Bedrohlichkeit. Das stete Gehen im eigenen Rhythmus beruhigt außerdem. Sachte rotiert das Hirn im Leerlauf, lässt lässig ein paar kreative Ideen aufsteigen oder ist damit beschäftigt, das unmittelbar Erlebte aufzunehmen.
Wer raschelt denn da? Durch Gräser und Geblätt linsen winzige Mäusekulleraugen. Auf einer Lichtung steht ein Reh und starrt mich an. Hemmungslos starre ich zurück. An einer Burg treffe ich auf zwei Rentner, die verzückt auf den Boden blicken. Ach! Eine Blindschleiche! Eine real existierende, nicht virtuelle Blindschleiche! Die liegt da einfach so rum. Just keine Lust zu schleichen? Man kommt ins Gespräch. Später, an einem Feldweg, befreie ich spontan Obstbäume von ihrer schweren Last. Gegen Abend zuckle ich wohlig, mit durchlüftetem Hirn, wiedergefundener Selbstachtung, gekräftigtem Leib und einem Rucksack voller Äpfel, die nach Äpfeln schmecken, per Bimmelbahn nach Halle. Zuckeln?! Exakt. High Speed ist mir nämlich gerade wurscht.
Katharina Wibbe
Foto: Streifinger/ Sommerwald bei Kyritz 07/2012/ Katharina Wibbe/ Umarmung Herbst 2012