Wirr­Warr­Wohn­Ort – Von der Suche nach bezahl­ba­rem Lebensraum

Die Nach­rich­ten zeu­gen von Kri­sen in allen Räu­men die­ser Erde und wir über­le­gen, wie wir mit die­sem dage­gen sehr klein erschei­nen­den Pro­blem umge­hen. Wir über­ge­hen die­sen Zet­tel mit die­sem heu­ti­gen Datum, las­sen uns davon nicht ein­schüch­tern, har­ren aus und war­ten auf die gericht­li­che Aus­ein­an­der­set­zung, die nach der Räu­mungs­kla­ge ansteht, die uns nun ange­droht wur­de. Wir ver­trau­en auf die gut gerä­der­te Büro­kra­tie die­ses Landes.

Es ist Win­ter, kurz nach acht Uhr mor­gens, der klei­ne Hof und das Stück­chen Grün vor dem Haus, indem ich woh­ne, ein Kont­or­ge­bäu­de der 30er Jah­re, haben sich dem­entspre­chend vor­be­rei­tet. Die Blät­ter des Herbs­tes bede­cken die klei­nen Strei­fen neben dem Durch­gang. Die Pflan­zen, die sonst kaum eine Chan­ce haben auf die­sem Stück Erde einen Lebens­raum zu fin­den, brei­ten sich aus und grü­nen noch. Auch der Sal­bei und der Ros­ma­rin­busch sind grün und har­ren aus, bedeckt mit Wur­zel­werk und schüt­zen­der Erde.  Das alles könn­te auch ein geeig­ne­ter Park­platz wer­den, für alle die, die immer noch dar­an glau­ben, auf ein Auto ange­wie­sen zu sein. Es könn­ten Luxus­woh­nun­gen ent­ste­hen, für Men­schen, die gern viel Geld aus­ge­ben, um zu woh­nen. Was könn­te nicht alles wer­den. Der Him­mel ist grau, bricht an man­chen Stel­len auf, um hel­le Strei­fen Lich­tes durch­zu­las­sen. Es ist nicht all­zu kalt, aber der Wind weht durch den Hof und es nie­selt. Das Wet­ter ent­spricht der Stim­mung: Unter­gang. Wer­den Sie kommen?

Es ist ein Anstoß, der Anstoß des Erken­nens einer poli­ti­schen Schief­la­ge, die im Sin­ne kapi­ta­lis­ti­scher Ver­wer­tungs­lo­gik zu unse­rer Nor­ma­li­tät gehört.

Zur Erklä­rung: Kurz vor Weih­nach­ten hat­te der ver­mut­lich neue Besit­zer unse­res Hau­ses eine Kün­di­gungs­be­nach­rich­ti­gung an uns ver­sandt. Alle Mieter*innen müs­sen raus aus dem Hin­ter­haus. Der Grund? Eine Sanie­rung. Seit meh­re­ren Jah­ren kauft der Mensch, der sich nun als Besit­zer wähnt, nach und nach alle Antei­le der vor­ma­li­gen Erben­ge­mein­schaft auf. Es wird emo­tio­nal dis­ku­tiert über Recht und Moral, über Eigen­tum und Ver­ant­wor­tung, über Beset­zung und doch – alle sind trau­rig und ver­wirrt. So trau­rig, dass es einem der Betrof­fe­nen nicht gelingt, die­ses Ver­hal­ten zu tole­rie­ren und die­ser zur schrift­li­chen Belei­di­gung im Sti­le Fischers greift, aus Zivil­cou­ra­ge. Auch Josch­ka Fischer konn­te sich 1984 inner­halb einer Debat­te um die Flick-Affä­re im Bun­des­tag gegen­über dem Bun­des­tags­vi­ze­prä­si­den­ten Richard Stück­len nicht hal­ten und schaff­te sei­ner Ent­rüs­tung Raum mit einer Belei­di­gung. Natür­lich führ­te dies auch in unse­rem Fall nicht zur Lösung des Pro­blems, aber es mach­te das Gefühl für die Pro­ble­me der Woh­nungs­lo­sig­keit, der Gen­tri­fi­zie­rung, des bezahl­ba­rer Wohn­raums und der Nach­bar­schaft um eini­ges dringlicher.
Es ist ein Anstoß, der Anstoß des Erken­nens einer poli­ti­schen Schief­la­ge, die im Sin­ne kapi­ta­lis­ti­scher Ver­wer­tungs­lo­gik zu unse­rer Nor­ma­li­tät gehört. Zudem ist es das Ereig­nis, wel­ches nach der ordent­li­chen Kün­di­gung dann zu einer außer­or­dent­li­chen führ­te, somit waren, für die ange­deu­te­te Belei­di­gung, drei Wochen Frist zum Ver­las­sen der Woh­nung die Sanktion.

Es ist mor­gens, ich bin auf­ge­regt und auch trau­rig.

Heu­te nun sind die­se drei Wochen um. Genau ab heu­te, sind wir laut die­sem Papier nicht mehr berech­tigt in der Woh­nung zu leben, die, dem besag­ten Belei­di­ger mit dem ich lebe, vor über 20 Jah­ren ver­mie­tet wur­de. Es ist mor­gens, ich bin auf­ge­regt und auch trau­rig. Die Nach­rich­ten zeu­gen von Kri­sen in allen Räu­men die­ser Erde und wir über­le­gen, wie wir mit die­sem dage­gen sehr klein erschei­nen­den Pro­blem umge­hen. Wir über­ge­hen die­sen Zet­tel mit die­sem heu­ti­gen Datum, las­sen uns davon nicht ein­schüch­tern, har­ren aus und war­ten auf die gericht­li­che Aus­ein­an­der­set­zung, die nach der Räu­mungs­kla­ge ansteht, die uns nun ange­droht wur­de. Wir ver­trau­en auf die gut gerä­der­te Büro­kra­tie die­ses Lan­des. Auf die bekeh­ren­de Ein­sicht des­je­ni­gen, der die Kün­di­gung aus­teil­te, auf irgend­ei­ne ande­re unvor­her­ge­se­he­ne Lösung, viel­leicht auf die das irgend­wo auf der Welt noch eini­ge Erben sind, die er nicht bezah­len konn­te, um ihre Antei­le zu über­neh­men. Aber wir hof­fen noch und wir wol­len kämp­fen. Um der Hand­lungs­lo­gik sol­cher Men­schen, die über ihre Inves­ti­tio­nen ihre Moral ver­lie­ren, einen Strich durch die Rech­nung zu machen. Aus Pro­test und aus Zivil­cou­ra­ge. Denn die Situa­ti­on ist nicht nur für uns, mit einem Woh­nungs­miet­ver­trag pre­kär. Der ehe­ma­li­ger Kunst­pro­fes­sor, der seit über 40 Jah­ren die Räu­me unter uns als Werk­statt­räu­me gemie­tet hat, muss eben­falls raus. Recht­lich gibt es dar­an nichts zu rüt­teln, obwohl die­ser Ort sein Lebens­mit­tel­punkt ist. Schon aus die­sem Grund dür­fen wir uns hier nicht ein­fach so ver­trei­ben lassen.

Über­all Zäu­ne, Schil­der, Pri­vat­ge­län­de. Über­all Bau­ge­rüs­te, die die gan­ze Stadt tot­sa­niert haben, wenn sie wie­der weg sind.

Eine Recher­che zum The­ma Gen­tri­fi­zie­rung macht deut­lich: Die Miet­prei­se und auch die Boden­prei­se sind bei­spiels­wei­se in Mün­chen seit 1950 um 36.000% ange­stie­gen, in Hal­le erle­ben wir das noch nicht so extrem, aber den­noch wer­den auch hier die Künst­ler an den Rand der Stadt gedrängt, meist um bau­fäl­li­gen Wohn­raum zu erhal­ten, Geflüch­te­te eben­so. Men­schen mit wenig Ein­kom­men wer­den über die Miet­prei­se eben­falls in Rand­ge­bie­te oder ‚Ghet­tos‘ gedrängt. Im Pau­lus­vier­tel kos­tet der Qua­drat­me­ter Wohn­raum heu­te bei Neu­ver­mie­tun­gen eine Kalt­mie­te von 11 Euro. In den 2000er Jah­ren konn­te eine 92-qm Woh­nung noch für 400 DM ( 200 € ) gemie­tet wer­den. Das sind 500 % in 15 Jah­ren. Eigen­tum ist über­all prä­sent, aber für kaum jeman­den ohne Kre­dit­wür­dig­keit zu haben.

Für alter­na­ti­ve Lebens­wei­sen, Gemein­schaf­ten und Lebens­raum für unter­schied­li­che Bedürf­nis­se ist kein Platz. Um die­sen wird gestrit­ten wer­den müs­sen.

Über­all Zäu­ne, Schil­der, Pri­vat­ge­län­de. Über­all Bau­ge­rüs­te, die die gan­ze Stadt tot­sa­niert haben, wenn sie wie­der weg sind. Kaum noch unsa­nier­te Häu­ser. Es wird viel Geld inves­tiert. Nur weni­ge Häu­ser ent­kom­men der Rau­putz­ver­kleis­te­rung. Immer nur: Betre­ten ver­bo­ten. Pri­vat. Groß-Inves­to­ren kau­fen gan­ze Vier­tel, Indus­trie­rui­nen, Anla­gen, Papier­müh­len, Sole­bä­der, Schlacht­hö­fe. Es wird alles ver­äu­ßert. Und sie kau­fen alles. Und genau so wie sie alles kau­fen, haben sie auch das Gefühl alles zu dür­fen. Die Wer­wolf­Ma­sche ist weit ver­brei­tet, alle wol­len ein Wer­wolf sein, doch die wenigs­ten wer­den es. Auch weil wir– als eine Gesell­schaft– sie dar­an hin­dern kön­nen, müs­sen und werden.

Für alter­na­ti­ve Lebens­wei­sen, Gemein­schaf­ten und Lebens­raum für unter­schied­li­che Bedürf­nis­se ist kein Platz. Um die­sen wird gestrit­ten wer­den müs­sen. Und dar­um, dass Ate­liers einen Lebens­mit­tel­punkt bil­den die zumin­dest unter dem glei­chen Schutz ste­hen soll­ten, wie Wohn­raum es gegen­wär­tig noch tut. Eini­ge Mög­lich­kei­ten zum Aus­bruch aus die­ser Nor­ma­li­tät bie­ten Alter­na­ti­ven, wie das Miet­häu­ser­syn­di­kat oder Pro­jek­te gemein­schaft­li­chen Lebens, inner­halb von Ver­ei­nen und Woh­nungs­ge­nos­sen­schaf­ten, sowie Beset­zun­gen, Nach­bar­schafts­netz­wer­ke, Nach­bar­schafts­rä­te und vor allem Zivil­cou­ra­ge inner­halb der Nachbarschaft.

Pen­ny Parker

Anmer­kung der Redak­ti­on: Die Ver­fas­se­rin erwar­tet täg­lich die ange­kün­dig­te Räumungsklage

 

 

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