Alles, nur nicht abreis­sen! Harald Zaglmai­er zur "Schei­be A" in Halle-Neustadt

Harald Zaglmai­er hat als ver­ant­wort­li­cher Stadt­pla­ner von Hal­le-Neu­stadt Archi­tek­tur­ge­schich­te geschrie­ben. Im Inter­view- und Bild­band "Hei­mat Neu­stadt" von Dani­el K. Schweit­zer hält er ein Plä­doy­er für den Erhalt der Hoch­haus­schei­ben und berich­tet über sei­nen Wer­de­gang und die Tätig­keit an der Sei­te von Richard Paulick.

Anfang der sechzi­ger Jah­re habe ich in Wei­mar Archi­tek­tur stu­diert. 1964 erfuhr ich davon, dass der neue Stadt­teil Hal­le-West gebaut wer­den soll­te und war sehr dar­an inter­es­siert, mich vor Ort umzu­se­hen. Über Bezie­hun­gen bekam ich ein Vor­stel­lungs­ge­spräch beim Chef­ar­chi­tek­ten Richard Paulick. Mit ihm woll­te ich unbe­dingt zusam­men­ar­bei­ten, weil er sei­ner­zeit ein welt­weit bekann­ter Archi­tekt war, mit Pro­jekt­er­fah­run­gen bis hin nach Chi­na. Wer wirk­lich was wer­den woll­te in die­sem Beruf, ist damals zu Paulick gegan­gen. Ich war hoch erfreut, in sei­nem Team als Stadt­pla­ner anfan­gen zu dür­fen. 1965, ein Jahr nach der Grund­stein­le­gung, wur­de ich dann fest eingestellt.

Damals habe ich die Wis­sen­schaft an den Nagel gehängt für Hal­le-Neu­stadt. Das war schliess­lich eine ein­zig­ar­ti­ge Situa­ti­on. Ich war glück­lich, an der Ent­ste­hung einer ganz neu­en Stadt mit­wir­ken zu dür­fen. Aus luft­hy­gie­ni­schen Grün­den gese­hen war der Stand­ort best-mög­lich gewählt. Wir sind damals von einer Stadt­grö­ße von 70.000 Ein­woh­nern aus­ge­gan­gen. Es wur­den vier Wohn­kom­ple­xe geplant, jeweils mit Stadt- und Bil­dungs­zen­trum sowie Ver­sor­gungs­ge­bie­ten. Man ist also schon von einer fina­len Bevöl­ke­rungs­zahl von 100.000 bis 110.000 Ein­woh­nern ausgegangen.

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Harald Zaglmai­er, foto­gra­fiert von Dani­el Schweitzer

Ich kam etwas spä­ter hin­zu, als der ers­te Kom­plex schon fast durch­ge­plant war. Beim zwei­ten Wohn­kom­plex war ich dann von Anfang an voll inte­griert. Schon damals unter Paulick wur­de berück­sich­tigt, dass auch die Kin­der der neu Hin­zu­ge­zo­ge­nen spä­ter eige­ne Woh­nun­gen brau­chen wür­den. Fol­ge­rich­tig wur­den von Anfang an schon die nächs­ten vier Wohn­kom­ple­xe sowie der Süd­park mit geplant. Auch die tech­ni­sche Infra­struk­tur wie Lei­tun­gen und Stra­ßen wur­den dafür gleich mit vorbereitet.

"Natür­lich muss­ten wir übri­gen spä­ter auch Kom­pro­mis­se machen
und uns von Lösun­gen verabschieden,
die wir viel lie­ber rea­li­siert hätten."

Nach ein paar Jah­ren ver­schlech­ter­te sich das poli­ti­sche Kli­ma. Die Kom­pro­mis­se, die Paulick machen muss­te, wur­den ihm zu gross. Durch die Poli­tik wur­de ent­schie­den, dass die Archi­tek­ten kein

erlei For­de­run­gen mehr stel­len durf­ten. Paulick konn­te vie­le sei­ner Ideen nicht mehr umset­zen, war poli­tisch ange­grif­fen und schied mit sei­nen engs­ten Mit­ar­bei­tern ent­täuscht aus dem Pro­jekt aus. Natür­lich muss­ten wir übri­gen spä­ter auch Kom­pro­mis­se machen und uns von Lösun­gen ver­ab­schie­den, die wir viel lie­ber rea­li­siert hätten.

Man muss das so sehen: Eine Stadt ist wie ein Orga­nis­mus, der sich den Anfor­de­run­gen der Men­schen und den tech­ni­schen und öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen anpas­sen muss. Ursprüng­lich war Hal­le-Neu­stadt von Paulick ganz in weiss geplant, aber der Geschmack der Ein­woh­ner ließ das nicht zu – es soll­te far­bi­ger wer­den. Mei­ne größ­te Über­ra­schung war, dass letzt­lich alles doch so schnell gegan­gen ist. Ein Wohn­kom­plex alle zwei Jah­re mit Wohn­raum für etwa 15.000 Men­schen – das war so nicht vor­her­zu­se­hen. Am Ende wur­de die gan­ze Stadt in zwölf Jah­ren gebaut.

Ich woh­ne schon lan­ge nicht mehr in Hal­le-Neu­stadt, habe aber noch vie­le gute Freun­de dort. Mir gefällt, wie es sich ver­än­dert hat. Vor allem die Farb­ge­bung steht dem Stadt­teil gut zu Gesicht. Auch in den Woh­nun­gen selbst gibt es inter­es­san­te Ent­wick­lun­gen und Mög­lich­kei­ten. Zum Bei­spiel wer­den die Bäder und Küchen heu­te zum Teil in den frü­he­ren Kin­der­zim­mern unter­ge­bracht. Dadurch erge­ben sich zum Teil ganz neue Grund­ris­se. Mit den Hoch­haus­schei­ben kann man mei­ner Mei­nung nach alles machen, nur nicht abreißen.

"Zum Bei­spiel könn­ten in den Schei­ben Mehr­ge­nera­tio­nen­kon­zep­te ver­wirk­licht wer­den. Bis jetzt fehlt dazu der poli­ti­sche Wille."

Hal­le-Neu­stadt ist in Plat­ten­bau­wei­se errich­tet wor­den, bis auf das Stadt­zen­trum. Dort wur­de sich an einer schwe­di­schen Bau­wei­se ori­en­tiert und der so genann­te “Hal­le­sche Mono­li­th­bau” ent­wi­ckelt. Die Hoch­haus­schei­ben sind ein Bei­spiel dafür. Über die zukünf­ti­ge Nut­zung muss ein öffent­li­cher Dis­kurs mit den Ein­woh­nern geführt wer­den. Zum Bei­spiel könn­ten in den Schei­ben Mehr­ge­nera­tio­nen­kon­zep­te ver­wirk­licht wer­den. Bis jetzt fehlt dazu der poli­ti­sche Wil­le. Wenn man so etwas rea­li­sie­ren möch­te, muss man es aber wollen.

Inter­view: Dani­el Schweit­zer, Text­be­ar­bei­tung: Jörg Wun­der­lich erschie­nen in: Dani­el Schweit­zer, Hei­mat Neustadt/ Mit Stadt­an­sich­ten, Geschich­ten und Por­traits von der Grün­dung bis heu­te. (2013).

Titel­bild: Aus der Prä­sen­ta­ti­on Hal­le NeuDorf/ vil­la­ge for the 21st century






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