Durch Gottesdienst- und Gemeindebesuche in unterschiedlichen Landeskirchen und durch den jahrelangen Vergleich bis heute hat sich mir auch in eigener Anschauung bestätigt, was sich schon seit Wochen - und seit der Wiedererlaubnis von Gottesdiensten und anderen kirchlichen Veranstaltungen - (falls letzteres überhaupt wahrgenommen wurde ...) abzeichnete und zu befürchten war: Die Besucherzahlen bei Gottesdiensten sind im Vergleich zur Zeit vor Corona dramatisch gesunken.
Gemeint sind hier natürlich die realen Besuche im wirklichen Kirchenleben und nicht virtuelles fiktives Online-Hopping ohne sozialen Gemeindebezug. Nichtsdestotrotz - geradezu trotzig - rühmen sich jedoch die Kirchenoberen realitätsfern mit den "riesigen Zuwachszahlen" bei virtuellen Gemeinde- bzw. Kirchenangeboten. Diese können aber nur eine Ergänzung, zusätzliche Option sein und können auch nicht auf Dauer aufrecht erhalten werden. Denn auch das muss ja jemand machen . Wer aber soll das sein in der schrumpfenden Kirche mit immer weniger Ehren- und Hauptamtlichen sowie kirchlichen Mitarbeitern, die nicht ewig im Homeoffice sein können und dürfen?
Jetzt sind auch Stadtgemeinden betroffen
Die Situation und Zukunftsperspektive vieler Gemeinden ist besorgniserregend. Eigentlich nichts Neues, das war schon vielerorts vor Corona so, insbesondere auf dem Lande. Jetzt sind aber sprunghaft vermehrt die Stadtgemeinden betroffen. Selbst - ja gerade - die Gemeinden, bei denen das Gemeindeleben noch am besten funktionierte, vielfältig und intensiv war, sind und werden am meisten be-/gestraft bzw. benachteiligen, blockieren sich nun sogar selbst ...
Das traurige Gemeindedasein sieht in der Realität (nicht Virtualität) oft so aus:
- Engagierte kirchliche Mitarbeiter müssen sich zur Wehr setzen gegen ihre überängstlichen Gemeinden/Gemeindekirchenräte und Vorgesetzten
- und erfahren dabei kaum Unterstützung von (kirchen-)leitenden Stellen; müssen die Ausübung ihres Berufes gegen innerkirchliche und -gemeindliche Widerstände geradezu erkämpfen bzw. weichen dann eben auf Nachbargemeinden oder an andere Orte aus
- wo sie ihrer Arbeit zum Wohle und im Sinne der Gemeinde nachgehen können, obwohl es in ihrer eigentlichen Gemeinde unter Einhaltung der üblichen Hygiene- und Abstandsregeln ebenso problemlos möglich wäre - im Sommer, draußen bzw. in riesigen Kirchenräumlichkeiten sowieso ..
Diese "Platz"- und sonstigen (Luxus-)"Probleme" der Kirchen hätten viele gern ...( Die Kirchengemeinden haben viel zu viel Angst! Bekanntlich ein schlechter Ratgeber ...) Man kann doch nicht z.B. die Kinder - die sowieso in Kindergärten oder Schulen gehen - damit bestrafen, dass weder Kindergottesdienste noch andere Kindermusikprojekte o.ä. stattfinden dürfen trotz einhaltbarer Hygiene- und Abstandsregeln.
(... und mit den wenigen Kindern, die überhaupt noch in den Gottesdienst kommen (dürfen), wäre es erst recht kein Problem …)
Nur auf die Angst vor Corona fixiert, so gering die Ansteckungsmöglichkeit bei Kindern und zumal im Freien auch sein mag, werden leider nicht die langfristigen Schäden und Folgen gesehen, die dadurch entstehen, sondern nur die offenbar vorherrschende und alles bestimmende und verhindernde Angst vieler Gemeinden, als "Corona-Hotspot" (in) negative Schlagzeilen zu geraten … (Dabei sind selbst die Corona-Vorkommnisse in Freikirchen etc. unter ganz anderen Voraussetzungen und Bedingungen zustande gekommen, als sie in den meisten Kirchengemeinden der Landeskirchen denkbar wären bzw. realistisch sind: andere "Willkommenskultur" usw., kleinere
Räume, intensivere Gemeinschaft, Zusammenkünfte vor und nach dem Gottesdienst, regelmäßige Feiern etc.)
Allein die Kirche scheint es nicht zu stören ...
(Die überwiegend älteren) Gemeindeglieder unserer Landeskirche neigen üblicherweise nicht dazu, Ballermann-ähnliche nächtliche Corona-Partys bspw. in der Frauenhilfe zu inszenieren, um wiederholt dieses offenbar drohende Schreckensszenario aller Gemeindekirchenräte und Pfarrer zu bemühen. Hallo, geht`s noch? Es hätte auch gar nicht der "Politik der Abschreckung" der Kirchen bedurft, die letztlich die Gemeindeglieder (für immer?) aus den Kirchen trieb, fast so als wäre es eine Straftat, einen Gottesdienst zu besuchen oder sogar zu singen ...
Die allgemeine Corona-Panikmache, Angstverbreitung und Verunsicherung in der Bevölkerung war schon ausreichend und verheerend genug ... aber eben auch "wirksam und effektiv", um auch das kirchliche Leben nachhaltig zu beschädigen, wenn nicht gar langfristig zu zerstören.)
Wenn dies der "Hauptbeweggrund" der Gemeinden ist - sozusagen das 11. Gebot ... : "Du darfst nicht in die Schlagzeilen, ins Gerede kommen. Was sollen die anderen von Dir denken ..." - dann geht es den Kirchen wohl noch zu gut und könnten die allerletzten Schlagzeilen in Bälde lauten: "Kapitel Kirche zu den Akten gelegt" ... "Vorgang Kirche nach 2000 Jahren beendet" ... "Kirche endgültig nur noch online"
Es kann und darf nicht sein, dass eine jahrhundertelang gewachsene Kirche (und Kultur, Kunst und Musik - all das, was uns ausmacht, bereichert und geprägt hat) leichtfertig aufs Spiel gesetzt und in ihrer Weiterexistenz bedroht wird - nur aus Angst (?), nur wegen Corona (?)
Es gab schon ganz andere Kriegs- und Krisenzeiten!
Aus den Augen, aus dem Sinn ... Wie schnell (bislang gut laufende) Gemeinden zu zerfallen drohen, zeigt sich nun erschreckend deutlich ...
Live is live, life is life ... Ohne persönliche Kontakte, reale Begegnungen und wirkliches Gemeindeleben geht es nicht! Wie schnell man sich etwas an- oder abgewöhnen kann, wurde in den letzten Monaten deutlich, wie und was auch immer ...Viele haben längst gemerkt: es geht auch - schneller als gedacht - ohne Kunst, ohne Kultur, ohne Musik, ohne Sport, ohne Veranstaltungen, ohne Kirche, d.h. ohne Gemeinde, ohne Gottesdienste, ohne Taufen, ohne Kirchenmusik usw. Allein die Kirche scheint es nicht zu stören ...
Kirchen schaden sich selbst mit Onlinesucht
Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen muss auch in der Kirche schnellstens für/um die Weiterexistenz gekämpft und gerungen werden! Scheinbar haben in der Kirche noch nicht alle den Ernst der Lage begriffen ... (Wäre ihr Geschäft oder Arbeitsplatz in Gefahr, vielleicht schon ...?) Wie überall in der Gesellschaft usw. muss die Frage nicht lauten: ob etwas stattfinden/erlaubt werden darf/kann sondern:
Nur diese Frage: Wie, wo, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen kann etwas stattfinden/geöffnet/erlaubt werden? Wo bleibt/ist die Kreativität und Flexibilität der Kirchen und ihrer Mitarbeiter?
Letztendlich schaden viele Gemeinden sich nur selbst - und damit der Kirche insgesamt - mit ihrer "analogen Angst" und "virtuellen Sucht". Die "Quittung" werden sie früher oder später erhalten, die Rechnung zahlen wir alle, die Konsequenzen tragen wir auch ... Wir haben Sommer! (Fast) alles kann draußen stattfinden, bei schlechtem Wetter notfalls in den z.T. riesigen kirchlichen Räumlichkeiten, die meist ungenutzt leer stehen ... und andere gern mieten/nutzen würden ...
Ermutigung, christliche Nächstenliebe und Gemeinschaft
Ich war dabei, als ein Pfarrer beim Gottesdienst seine Gemeinde freundlich aber dringlich bat, sich dabei umständlich entschuldigend, doch bitte am kommenden Sonntag dem Gottesdienst fernzubleiben oder besser den Nachbargemeinde-Gottesdienst zu besuchen ... weil doch
tatsächlich eine Konfirmation stattfinden würde und die wenigen (coronatauglichen) Kirchenplätze den Familien, Gästen, Freunden usw. der Konfirmanden zur Verfügung gestellt werden sollten ... Also Konfirmation praktisch ohne Gemeinde - Konfirmation 2020 ... Sozusagen die "coronation" (engl.) 🙂 all der Absurditäten, Selbstverleugnung und -verbiegung. Wenn so etwas zu DDR-Zeiten vorgekommen wäre ...
Apropos:
In guter Erinnerung habe ich "Gottesdienste zur Ermutigung" 1989/1990. So etwas benötigen wir jetzt wieder und nicht kirchlichen Kleingeist, weder kirchliche Entmutigung von oben noch ängstliches Abwarten und Erschweren bzw. Problematisieren von Aktivitäten! Kreative Lösungen sind gefragt - Plan B, Plan C und D!! Wir brauchen jetzt endlich Ermutigungen und Einladungen für Christen usw., Gottesdienste und Gemeindeveranstaltungen zu gestalten und zu besuchen - auch und gerade von Bischöfen, Kirchenleitungen, Kirchenämtern, Superintendenten und Pfarrern!
Christentum - christliche Nächstenliebe und Gemeinschaft - muss gelebt und darf nicht weiter verhindert werden!
Nachtrag betr. Singen:
Abgesehen davon, dass kein Mensch versteht, warum Singen dort geht und hier nicht ... viele Unverhältnismäßig- und Unverständlichkeiten, die nicht zu erklären sind ... vgl. z.B. zuletzt u.a. Petitionen gegen die Entscheidung bspw. des Kultusministeriums von Baden-Württemberg, Musikunterricht an Musikschulen im neuen Schuljahr zuzulassen, an "normalen" Schulen jedoch nicht ... Absurdigkeiten ohne Ende ... Außerdem muss es endlich auch Untersuchungen über die "Gefährlichkeit" des Sprechens, Schreiens o.ä. geben, um Vergleichsmöglichkeiten zum ach so gefährlichen Singen und Musizieren zu bieten! Lautes Beten in den Kirchen soll gehen, leises Singen, z.T. Summen mit geschlossenem Mund jedoch nicht ... (?) Gemeindegesang ist auch nicht mit Chorgesang gleichzusetzen etc.pp. Wie viele oder wenige singen eigentlich sowieso nicht mit in Gottesdiensten? Jeder tut es sowieso anders intensiv. Aber trotzdem alles pauschal verbieten? In Sachsen natürlich nicht, schließlich sind dort weltberühmte Knabenchöre ansässig und singen die Pfarrer üblicherweise die Liturgie. Warum aber in der EKM vielerorts? Für wie blöd werden wir eigentlich verkauft?? Trotzdem wird das "Ganze" noch "Gottesdienst" genannt -
auch ohne Gemeindegesang usw. ...
Andreas Thulin (A.T.), Halle (Saale)
20.7.2020