Fast schon eine kleine Tradition: Unsere Buchempfehlungen für den alljährlichen vorweihnachtlichen Zyklus. Auch diesmal haben wir persönliche Lese- und Verschenketipps aus unterschiedlichen Sparten zusammengetragen. Wer die Bücher über unseren Online-Partner Buch7 bestellt, tut Gutes. Dieses Unternehmen spendet überschüssige Gewinne an soziale und ökologische Projekte - bislang schon mehr als 600.000 Euro.
Olga Tokarczuk
„Die Jakobsbücher“
Die polnische Autorin erhielt den Nobelpreis für Literatur 2018 nachträglich in 2019 gemeinsam mit dem viel kritisierten Peter Handke. Doch das war nicht der Grund, warum ich zu ihrem Wälzer „Die Jakobs Bücher“ griff. Vielmehr hatten es mir die Zwischenüberschriften vom Cover sofort angetan. Sie erinnern an Buchdeckel aus der Barockzeit:
„Eine große Reise über sieben Grenzen durch fünf Sprachen und drei große Religionen, die kleinen nicht mitgerechnet. Eine Reise, erzählt von den Toten und von der Autorin ergänzt mit der Methode der Konjektur, aus mancherlei Büchern geschöpft und bereichert durch die Imagination, die größte natürliche Gabe des Menschen. Den Klugen zum Gedächtnis, den Landsleuten zur Besinnung, den Laien zur erbaulichen Lehre, den Melancholikern zur Zerstreuung.“
Das ist mein Buch. Ich begebe mich gern auf Zeitreise in vergangene Jahrhunderte und in Gebiete, über die ich nur laienhaft Bescheid weiß. In solche wie Galizien und die Bukowina, diese von vielen Völkern besiedelte Landschaft zwischen Lemberg, das einst zu Polen gehörte, und Chernowitz, damals Teil des Osmanischen Reiches.
Die Methode der Konjektur, den verbessernden Eingriff eines Herausgebers in einen nicht einwandfrei überlieferten Text, beherrscht die Autorin meisterhaft. Sie gibt den historischen Figuren, aus deren schriftlichen Hinterlassenschaften sie geschöpft hat, eine je eigene Sprache. Sie erfindet neue Charaktere und füllt die vielen Leerstellen gekonnt mit ihrer Imagination.
Ja, diese Autorin besitzt diese „größte natürliche Gabe des Menschen“ in Hülle und Fülle und sie entführt die Leser*in ebenfalls ins Reich der Fantasie. Den Klugen zum Gedächtnis, den Landsleuten zur Besinnung will meinen, dass ein einträchtiges Zusammenleben zwischen Angehörigen verschiedener Völker und Religionen möglich ist, auch wenn Melancholiker wie ich manchmal an der scheinbaren Unmöglichkeit eines Lebens in Toleranz und Vielfalt verzweifeln mögen. Durch die Geschichte des Jakob Frank , eines osteuropäischen Juden, der zunächst zum Islam übertrat und später zum Katholizismus, wird die Zeit zwischen 1752 und 1820 lebendig. Es ist eine Periode des europäischen Lebens, die große Umwälzungen mit sich brachte.
Die damals lebenden Heldinnen und Helden haben diesen Aufbruch in eine neue Zeit mit viel Mut gemeistert. Das steht uns bevor.
erschienen bei Kampa Verlag AG, Zürich | ISBN 9783311100140
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empfohlen von Redaktionsmitglied Solveig Feldmeier
Ivan Krastev und Stephen Holmes
„Das Licht, das erlosch - Eine Abrechnung“
Derzeit erscheinen immer mehr Publikationen zum Zustand der liberalen westlichen Demokratie, kaum eine davon mit optimistischem Tenor. Eine herausragende soll hier vorgestellt werden. Krastev ist ein bulgarischer Politologe mit dem Forschungsschwerpunkt 'Zukunft der Demokratie', arbeitet in Wien und schreibt unter anderem für die „New York Times“. Holmes ist politischer Philosoph und lehrt als Professor der Rechtswissenschaften in Harvard und an der New York University. Diese beiden Intellektuellen bringen auf 366 Seiten Ursachen und Hintergründe über den Aufstieg populistischer illiberaler Tendenzen zum Vorschein und erklären die schwindende Strahlkraft des Westens.
„In ihrer brillanten Analyse zeigen Ivan Krastev und Steven Holmes, dass das seinerzeit ausgerufene »Ende der Geschichte« in Wahrheit ein Zeitalter der Nachahmung einläutete. Drei Jahrzehnte lang sah sich der Osten gezwungen, den Westen zu imitieren, und versank in Gefühlen der Unzulänglichkeit, Abhängigkeit und des Identitätsverlusts. Inzwischen hat das Vorbild seine moralische Glaubwürdigkeit verloren - und ein gefährliches Wertevakuum geschaffen.“
Für kritisch denkende Menschen ist es natürlich schön, eigene Analysen und Ansichten im Buch wissenschaftlich untermauert wiederzufinden. Beispielsweise die These, dass ohne die gewaltsame Herauslösung des Kosovo aus Serbien (durch NATO-Bomben auf Belgrad 1999) Russland es später wohl nicht gewagt hätte, die Krim „heim ins Reich“ zu holen. Nachahmung als Spiegelung sozusagen, die seit Putins Machtantritt Methode der Wahl ist. Oder, dass der Westen als Sieger im Kalten Krieg, ohne einen Gegner in Augenhöhe, nun selbstverliebt, siegestrunken und geschichtsvergessen („Ende der Geschichte“ nach Francis Fukuyama) glaubt, seinen für diesen historischen Sieg entscheidenden eigenen Werten nicht mehr treu bleiben und folgen zu müssen.
Buch erschienen bei
Das Buch ist erhältlich in der Buchhandlung in den Franckeschen Stiftungen oder bei Buch7.de
empfohlen von Redaktionsmitglied Frank-Uwe Neis
Sonja Knapp, Stefan Klotz, FB Umwelt der Stadt Halle ( Hrsg.)
Geschützte Natur in Halle (Saale)
Eine Bestandsaufnahme der Tier- und Pflanzenwelt
Städte beherbergen oft eine Vielfalt an Lebensräumen, Tier- und Pflanzenarten. Dennoch gehen durch Versiegelung und Bebauung zahlreiche Biotope und Arten verloren. Wieder andere Arten kommen mit dem inselhaften Charakter städtischer Grünflächen, Schadstoffen und dem städtischen Klima nicht zurecht. Zugleich nehmen Siedlungen weltweit immer mehr Raum ein.
Doch der Schutz der biologischen Vielfalt darf nicht auf ländliche Regionen beschränkt bleiben. Denn: Stadtnatur bietet Raum für Erholung, Frischluftachsen, unversiegelte Überflutungsflächen, Kühlung an heißen Tagen und die Gelegenheit, Tiere und Pflanzen in unserem Alltag zu erleben.
Mit der Schutzgebietsplanung Anfang der 1990er ging eine „Inventarisierung“ der Tier- und Pflanzenarten in den bereits geschützten oder als Schutzgebiet vorgesehenen Flächen einher. Wie hat sich die biologische Vielfalt seitdem entwickelt? Sind die Schutzbemühungen erfolgreich?
Diesen Fragen geht das vorliegende Buch nach. Präsentiert werden die Ergebnisse einer erneuten Inventarisierung, in der zwischen 2015 und 2017 die Vorkommen der Webspinnen, Libellen, Fang- und Heuschrecken, Zikaden, Wanzen, Käfer, Tag- und Nachtfalter, Amphibien, Reptilien, Vögel, Fledermäuse, Pilze, Flechten, Moose und Gefäßpflanzen in den halleschen Schutzgebieten beleuchtet wurden.
ISBN 9783942062435 | Buch versandkostenfrei bei Buch7 bestellen
empfohlen von Redaktionsmitglied Steffen Neubert
Dota
Kaleko
Der weibliche Star der „Neuen Sachlichkeit“ der 1920iger und beginnenden 1930iger Jahre war die in Berlin lebende Dichterin Mascha Kaléko. Sie stammt aus Chrzanów, ehemals Österreich/Ungarn, und musste zu Beginn des 1.Weltkrieges mit ihrer Familie fliehen. In der Nazizeit war sie erneut zur Flucht gezwungen. Der Sängerin Dota Kehr ist es zu danken, dass Mascha Kalékos zeitlose Lyrik jetzt ein neues Publikum finden kann. Sie hat im März dieses Jahres gemeinsam mit Künstlerkolleginnen das Album: Dota – Mascha Kaléko herausgegeben. Ich bin begeistert von allem und allen, die dort zu hören sind. Ganz besonders hat es mir die Tuba von Matthew Bookert angetan.
Kleingeldprinzessin Records 2020 LC 09274
Audio CD - bei Buch7 versandkostenfrei bestellen
empfohlen von Solveig Feldmeier
Thomas Heise, Claas Meyer-Heuer
Die Macht der Clans
Arabische Großfamilien und ihre kriminellen Imperien
Auf den Straßen deutscher Großstädte tobt ein Machtkampf: Kriminelle arabisch-stämmige Clans haben in Berlin, Bremen, Dortmund oder Essen über Jahre Großstadtkieze erobert – und kaum jemand hat sie aufgehalten. Lange waren Polizei und Justiz machtlos gegen die um sich greifende Gewalt. Nun hat der Staat den Kampf mit den Familienbanden aufgenommen. Bereits seit 2003 verfolgen die Reporter Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer die kriminellen Machenschaften dieser Clans. Sie trafen Clan-Mitglieder bei Boxabenden und Gerichtsverhandlungen, sie waren bei Razzien vor Ort oder als auf offener Straße Prügeleien ausbrachen. In ihrem Buch geben sie tiefe Einblicke in die Strukturen der Clans, beschreiben, wie die Familienbanden so stark werden konnten – und analysieren, ob es dem Staat nun gelingen kann, die Kontrolle zurückzuerlangen.
»Das Buch ist in zweifacher Hinsicht gelungen: Es geht detailreich in die Tiefe und liest sich dabei so spannend wie ein Krimi.«
erschienen bei DVA | ISBN 9783421048707
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empfohlen von Redaktionsmitglied Marianne Heukenkamp
Christian Kreiß
Gekaufte Forschung
Wissenschaft im Dienst der Konzerne
WIE FREI IST UNSERE WISSENSCHAFT? Schockierende Realität: ein Hörsaal »Aldi Süd«, ein von Google finanziertes Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt Universität Berlin, schokoladenfreundliche wissenschaftliche Untersuchungen von einem Mars-Professor für Ernährung. Die Liste von Beispielen, wie Konzerne Einfluss auf Hochschulen und Wissenschaft nehmen, wird fast täglich länger. Dient Forschung an den öffentlichen Hochschulen der Allgemeinheit oder nutzt sie zunehmend einseitigen Gewinninteressen?
»Gelenkte Forschung ist der Anfang vom Ende einer freiheitlichen Gesellschaft.«
Christian Kreiß
Der Strom von privaten Geldern in die Wissenschaft ist dramatisch angeschwollen. Doch Großkonzerne sind keine Wohltätigkeitsvereine. Sie verfolgen mit dem Einsatz von Kapital gezielte Interessen. Nicht der Nutzen für die breite Bevölkerung soll dadurch erhöht werden, sondern der Nutzen der Konzerneigentümer: die Gewinne. Dr. Christian Kreiß, ehemaliger Investmentbanker und heute Professor für Finanzierung, zeigt anhand einer Fülle konkreter Beispiele systematisch Umfang und Auswirkungen von Industriegeldern auf Forschungsergebnisse und schlägt konkrete Gegenmaßnahmen vor.
erschienen im Europa Verlag Berlin | ISBN 9783944305721
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empfohlen von Redaktionsmitglied Steffen Neubert
Unsichtbare Zügel - zweite Anprobe
Opa Münch bekommt eine Lungenentzündung: Husten, Fieber und Stechen in der Brust hat er schon. Schweißausbrüche und Schwächeanfälle kommen hinzu. Heinrich Münch ist 85 Jahre alt und er wird es wohl nicht mehr lange machen. Er wartet darauf, dass seine Enkelin Hannelore mit dem Linienbus aus der Kreisstadt kommt. Doch Hannelore ist über Ungarn in den Westen abgehauen, gleich nach der Abiturfeier: vorigen Freitag hat sie noch im Kreiskulturhaus gelacht, getanzt, geknutscht, jetzt ist sie schon in Friedland. Die Kumpels und Kumpelinen waren sehr in Ordnung, auch die Erweiterte Oberschule war an sich nicht schlecht. Nur ein Berufsleben in der real existierenden Honeckerei? Das musste doch wirklich nicht sein! Das hat Heinrich Münch emotional in ein tiefes Loch geschickt. Der eigentlich schon abklingenden Grippewelle hat er nun nichts mehr entgegenzusetzen. Soweit die Ausgangssituation des 1987 im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Romans "Unsichtbare Zügel" von Christa Giessler.
In einer wilden Mischung aus Krankheitserleben, Rückblenden und Fieberfantasien umkreist Giessler menschliche Beziehungen dreier Generationen in der real existierenden DDR, die Abhängigkeiten und das Manipulationserleben. In der Großelterngeneration noch beinahe schicksalhaft, für die Eltern schon verschwimmend und für die Enkelin völlig bedeutungslos. An Hannelore beißt sich die Erzählerin ihre sozialistisch-realistischen Zähne aus: abreißende Argumentationsketten, fieberhafte Mutmaßungen und die von der Kulturbürokratie damals so gescholtene "Larmoyanz" waren 1987 noch mutig. Die weltweite Systemauseinandersetzung also und die zügellose Hanni. Sicher gab es Gründe, sich für den Sozialismus zu engagieren, die Pläne überzuerfüllen, die Parolen zu verinnerlichen. Nur damit konnten junge Leute längst nichts mehr anfangen.
Dabei war der Gegenpart nicht der humorlose Antikommunismus etwa eines Franz-Josef Strauß oder Gerhard Löwenthal. Freiheit statt Sozialismus, aber die Freiheit war eine des fröhlichen Alltags-Anarchismus der Popkultur und des Rock. Dessen Jünger changierten lustvoll vom "Schnarcho zum Anarcho" (Udo Lindenberg) und baggerten, dank überlegenen Wirtschaftssystems, erfolgreich das "Mädchen aus Ostberlin" an. Sophie Liebnitz zeigte kürzlich eindrucksvoll, wie Postmodernismus und Destruktion das Sprüche-Schatzkästlein dieses Alltags-Anarchismus
füllten. Doch wer die historische Entwicklung nachvollziehen will, muss wohl weniger Derrida und Foucault lesen, eher etliche Jahrgänge des "Pflasterstrand" durchforsten, dazu die modernen Anarchosyndikalisten. Oder er liest Christa Giesslers "Unsichtbare Zügel", denn "hinterm Horizont geht's weiter" ...
Christa Giessler: Unsichtbare Zügel, Mitteldeutscher Verlag Halle 1987.
(Für Cent-Beträge bei Booklooker.de u. a. erhältlich.)
empfohlen von unserem Autor Dietmar Sievers