Die bemerkenswerte Transformation der Grünen von einer Friedens- zur Kriegspartei hat eine lange Geschichte. Deutschland erlebt seit der russischen Invasion in der Ukraine eine Militarisierung, wie es sie seit 1945 nicht mehr gegeben hat. Inzwischen mehren sich Stimmen der Grünen, SPD und CDU, die bis zu 300 Milliarden Euro für das Militär fordern – zusätzlich zum regulären Wehretat. Auch AfD und FDP plädieren für weitere Aufrüstung. Dass die Nato-Staaten schon heute über das zehnfache Militärbudget Russlands verfügen, spielt in diesen Debatten keine Rolle.
Um die massive Aufrüstung zu finanzieren, wird der deutsche Sozialstaat, der bereits durch ein Vierteljahrhundert Kürzungspolitik massiv beschädigt wurde, weiter abgebaut, auch Klimaschutzprojekte und die Sanierung der maroden Infrastrukturen bleiben auf der Strecke, das politische System erodiert. Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge befürchtet nach der Wahl einen „Frontalangriff auf den Wohlfahrtsstaat“.
Die Aufrüstung wird begleitet von einer tiefgreifenden Veränderung der politischen Kultur, wie sie noch vor wenigen Jahren in Deutschland undenkbar war. Wahlkampfplakate mit Verteidigungsminister Boris Pistorius in Kampfmontur mit Waffe in der Hand zeigen, wie weit sich die Sozialdemokraten von ihrer langen Tradition der Entspannungspolitik, für die Willy Brandt einst den Friedensnobelpreis erhielt, losgesagt haben.
Um die massive Aufrüstung zu finanzieren, wird der deutsche Sozialstaat, der bereits durch ein Vierteljahrhundert Kürzungspolitik massiv beschädigt wurde, weiter abgebaut, auch Klimaschutzprojekte und die Sanierung der maroden Infrastrukturen bleiben auf der Strecke, das politische System erodiert
Bemerkenswerterweise haben sich die Grünen, die 1980 als Antikriegspartei gegründet wurden, als besonders eifrige Verfechter von Aufrüstung und Bellizismus hervorgetan, die der längst schon kriegsbereiten SPD noch Zögerlichkeit vorwerfen. Nachdem die Grünen im Bundestagswahlkampf 2021 mit großen Plakaten dafür geworben hatten, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, befand die Außenministerin Annalena Baerbock kaum ein Jahr später in perfektem orwellschem Neusprech, dass „Waffenlieferungen helfen, Menschenleben zu retten“. Passend dazu änderte die Partei auch ihre Parteifarbe von einem pflanzlich-freundlichen Hellgrün zu einem militärischen Olivgrün. Joschka Fischer fordert sogar eine europäische Atombombe und wird dabei sekundiert von Journalistinnen wie Ulrike Herrmann von der Taz.
Abkehr vom Völkerrecht
Während sich die Bundesregierung und insbesondere die Außenministerin im Fall der Ukraine immer wieder als Verteidiger des Völkerrechts inszenieren, haben sie sich in Bezug auf Israel von völkerrechtlichen Normen weitgehend verabschiedet und damit international massiv ins Abseits manövriert. Trotz der offensichtlichen Kriegsverbrechen Israels und der Anklage wegen Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof hat die Ampelkoalition unbeirrt an der militärischen, finanziellen und diplomatischen Unterstützung Israels festgehalten – wie auch die größten Oppositionsparteien CDU und AfD. Annalena Baerbock erklärte noch im Oktober 2024: „Selbstverteidigung bedeutet natürlich, dass man Terroristen nicht nur angreift, sondern zerstört. Deswegen habe ich so klar und deutlich gemacht: Wenn Hamas-Terroristen sich hinter Menschen, hinter Schulen verschanzen, dann […] können auch zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren […]. Dazu steht Deutschland, das bedeutet für uns Sicherheit Israels.“
Mit diesen Worten wischte die grüne Außenministerin, die so gern betont, dass sie „aus dem Völkerrecht kommt“, kurzerhand die Genfer Konventionen vom Tisch. Das Kernelement des IV. Genfer Abkommens, das sowohl Deutschland als auch Israel unterzeichnet haben, besteht im prinzipiellen Vorrang des Schutzes von Zivilisten vor militärischen Zielen und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Bei der systematischen Bombardierung von Krankenhäusern, Schulen, Universitäten, Flüchtlingslagern, UN-Hilfswerken und zivilen Wohngebäuden durch Israels Armee handelt es sich nach dieser Konvention eindeutig um Kriegsverbrechen. Amnesty International und Human Rights Watch stufen Israels Vorgehen inzwischen sogar als Völkermord ein. Doch auch dies hat weder die Außenministerin noch Wirtschaftsminister Robert Habeck, der für Rüstungsexporte zuständig ist, dazu bewogen, weitere Waffenlieferungen infrage zu stellen.
Dass sich ausgerechnet grüne Spitzenpolitiker heute als die eifrigsten Verfechter eines neuen Bellizismus profilieren, ist bemerkenswert, wenn man sich die Gründungsgeschichte dieser Partei vergegenwärtigt. Im Grundsatzprogramm von 1980 hieß es: „Ökologische Außenpolitik ist gewaltfreie Politik. (…) Gewaltfreiheit bedeutet nicht Kapitulation, sondern Sicherung des Friedens und des Lebens mit politischen Mitteln statt mit militärischen. (…) Der Ausbau einer am Leitwert Frieden ausgerichteten Zivilmacht muss mit der sofort beginnenden Auflösung der Militärblöcke, vor allem der Nato und des Warschauer Paktes einhergehen.“ Gefordert wurde auch, und zwar mitten im Kalten Krieg, der „Abbau der deutschen Rüstungsindustrie und deren Umstellung auf friedliche Produktion, z.B. auf neue Energiesysteme und Fertigungen für den Umweltschutz.“
1999: Grünes Licht für Angriffskrieg
Die bemerkenswerte Transformation der Grünen von einer Friedens- zur Kriegspartei hat eine lange Geschichte. Ein zentraler Wendepunkt war der Kosovokrieg. Die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene unter Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer gab im Frühjahr 1999 grünes Licht für die Beteiligung Deutschlands an der Bombardierung Serbiens durch die Nato – und zwar ohne Beschluss des für solche Fälle zuständigen UN-Sicherheitsrates. Damit verletzte die Regierung sowohl die UN-Charta als auch den Zwei-plus-Vier-Vertrag und das Verbot von Angriffskriegen laut deutschem Grundgesetz. Fischer rechtfertigte dieses Vorgehen auf dem Grünen-Parteitag 1999, wo er die Delegierten auf den neuen Kriegskurs mit den Worten einschwor: „Nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord!“ Dass Fischer den Bürgerkrieg im Kosovo mit Auschwitz verglich und damit den Krieg begründete, war in der Tat „infam“, wie ein offener Brief von Holocaust-Überlebenden feststellte – und doch wirkungsvoll, der Parteitag stimmte der deutschen Kriegsbeteiligung zu.
Aberwitzige Hitler- und Holocaust-Vergleiche, mit denen Kriege gegen geopolitische Gegner des Westens legitimiert werden, sind seither zu einem Markenzeichen der Grünen geworden. Der ehemalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin etwa verglich im April 2022 das Massaker von Butscha, dem nach UN-Angaben etwa 200 ukrainische Zivilisten zum Opfer gefallen waren, mit den Verbrechen der SS-Einsatzgruppen in der Sowjetunion, die Hunderttausende von Menschen ermordet hatten.
Treue Gefolgsleute der "Falken"
Wer der außenpolitischen Entwicklung der Grünen folgt, kann über die Jahrzehnte eine fortschreitende Angleichung an die Positionen der US-Neokonservativen beobachten. Dieser Prozess ist alles andere als zufällig, sind doch grüne Spitzenpolitiker seit langem umfassend eingebettet in transatlantische Thinktanks. Annalena Baerbock, deren großes Vorbild die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright ist, war unter anderem als Fellow beim German Marshall Fund. Die meisten grünen Parteivorsitzenden der letzten 20 Jahre, darunter Claudia Roth, Cem Özdemir, Reinhard Bütikofer und Katrin Göring-Eckardt waren Mitglieder der Atlantik-Brücke, einem Netzwerk von Bankern, Militärstrategen, Topjournalisten und Politikern, dessen Ziel es ist, Deutschland wirtschaftlich und militärisch noch fester an die USA zu binden. Omid Nouripour, bis November 2024 Parteivorsitzender, ist sogar im Vorstand der Organisation. Özdemir gehörte 2004 auch zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes der neokonservativen US-Organisation „Project for the New American Century“, deren führende Mitglieder Donald Rumsfeld, Dick Cheney, Paul Wolfowitz und Robert Kagan den Irakkrieg vorbereitet hatten.
"Durch diese Wende wurde auch ein tiefer Keil zwischen das den Grünen nahestehende Milieu von Umwelt- und Klimaschützern und die Friedensbewegung getrieben, deren Verbindung einst die systemkritische Stärke der Bewegung ausmachte."
Die Einbindung von Führungskräften hat sich aus der Perspektive der USA gelohnt: Die grüne Partei, die einst für die Auflösung der Nato eintrat, setzt sich nun vehement für deren Erweiterung und die Militarisierung der Außenpolitik ein. Auch bei der Konfrontation gegen China sind die Grünen inzwischen die treuesten Gefolgsleute der US-Falken. Durch diese Wende wurde auch ein tiefer Keil zwischen das den Grünen nahestehende Milieu von Umwelt- und Klimaschützern und die Friedensbewegung getrieben, deren Verbindung einst die systemkritische Stärke der Bewegung ausmachte.
Eine führende Rolle bei der transatlantischen Umpolung der Partei spielte Ralf Fücks, einst Maoist, später über zwei Jahrzehnte Vorstand der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung und heute Geschäftsführer des Zentrums Liberale Moderne, eines Thinktanks, der für sich in Anspruch nimmt, „liberale Demokratien“ gegen „Autokratien“ zu verteidigen, und zwar insbesondere durch Aufrüstung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen. Die nach eigenen Angaben „unabhängige Nichtregierungsorganisation“ wird zu einem großen Teil vom deutschen Staat finanziert.
Fücks gehörte schon in den späten 1980ern zu einer Gruppierung, die daran arbeitete, die Grünen von ihren kapitalismuskritischen und pazifistischen Wurzeln abzubringen. Doch trotz aller Bemühungen beharrte die Basis in den 1990er-Jahren auf einem antimilitaristischen Kurs. Noch das Programm für die Bundestagswahl 1998 betonte, dass „Militärbündnisse und nationale Armeen in eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung aufzulösen“ seien. Diese „muss auch die Nato ablösen und bietet die Voraussetzung für umfassende Abrüstung und die Entmachtung des militärisch-industriellen Komplexes.“ Eine Nato-Osterweiterung wurde entschieden abgelehnt. Mit dem Einzug der Grünen in die Bundesregierung und mit dem Kosovokrieg wurden diese Wahlversprechen jedoch umgehend beerdigt.
Transformation durch Aufstieg der Wählerschaft

Es geht auch anders: Basisgrüne auf einer Friedensdemo in Berlin 2022
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich auch die grüne Wählerschaft grundlegend verändert und unterstützte schließlich die Wende der Partei. Heute sind die einstigen Protestmilieus in wohlhabende akademische Schichten aufgestiegen und leben recht gut von dem System, das sie früher kritisierten. Achtundsiebzig Prozent der grünen Wählerschaft sprechen sich für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aus, mehr als die Anhänger jeder anderen Partei. Doch nur 9 Prozent sind bereit, Deutschland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen – weniger als die Anhänger anderer Parteien. Die Ideologie des Kriegs im Namen der „westlichen Werte“ wird inzwischen akzeptiert – zumindest, solange es andere sind, die dafür sterben.
In Bezug auf die Ukraine wird die Nähe der Grünen zu den außenpolitischen Positionen der Neokonservativen besonders offensichtlich. Annalena Baerbocks Bemerkung, es gehe darum, „Russland zu ruinieren“, führte Jürgen Trittin am 6. April 2022 im Bundestag weiter aus: „Wir schicken das Russland von Wladimir dem Schrecklichen zurück in die Zeit der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts!“ Die Sanktionen, so fügte er hinzu, sollten dauerhaft, also auch über die Beendigung des Kriegs hinaus gelten.
"Die grün-neokonservative Außenpolitik kettet Deutschland fatalerweise an das im Niedergang begriffene US-Imperium"
Damit wird deutlich, dass es in der Ukraine keineswegs vorrangig um die Verteidigung von Völkerrechtsprinzipien geht – die im Fall von Gaza ohnehin missachtet werden –, sondern um die Durchsetzung geopolitischer Interessen. Dazu gehören vor allem die Schwächung Russlands und der Bruch der Verbindung zwischen Russland und der EU, hier insbesondere Deutschland – ein Ziel, das die USA seit Jahrzehnten verfolgen. Dementsprechend haben die Grünen auch stets Bemühungen um eine diplomatische Lösung abgelehnt, selbst dann noch, als die Stabschefs der USA und der Ukraine längst zugegeben hatten, dass es sich um eine militärische Pattsituation handle.
Die Kurzsichtigkeit dieser Strategie zeigt sich darin, dass dadurch Russland in die Arme Chinas getrieben wird und eine Allianz entsteht, die nicht nur die Vormachtstellung der USA, sondern auch die jahrhundertelange Dominanz des Westens im Ganzen immer weiter untergräbt. Die grün-neokonservative Außenpolitik kettet Deutschland fatalerweise an das im Niedergang begriffene US-Imperium, statt Europa als vermittelnde und friedensstiftende Kraft in einer neuen geopolitischen Realität zu positionieren. Dadurch wird Deutschland immer tiefer in einen Strudel aus ökonomischem Verfall, politischem Chaos und Doppelmoral gerissen.
Mit der zweiten Amtszeit von Donald Trump verschärft sich diese Lage noch. Statt vom transatlantischen Partner für Treue belohnt zu werden, droht Trump nun mit Zöllen gegen die EU, was den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands weiter beschleunigen würde. Hinzu kommt, dass Deutschland sich – auch hier den Vorgaben aus Washington folgend – immer weiter von China abkoppelt, das die Bundesregierung inzwischen als „systemischen Rivalen“ einstuft. Deutschland sieht sich damit zunehmend allein zwischen den großen Blöcken.
30 Prozent des Bundeshaushalts für Militär?
Für die Grünen geschieht dies alles nicht ohne Kosten. Die herben Stimmenverluste der Partei bei den Europa- und Landtagswahlen haben gezeigt, dass auch ein Teil der Wähler abtrünnig wird, besonders bei der Jugend. Dass im November der Vorstand der Grünen Jugend nicht nur geschlossen zurück-, sondern gleich ganz aus der Partei austrat, war ein weiteres Fanal. An eine außenpolitische Kurskorrektur allerdings denkt in der grünen Führung niemand. Im Gegenteil: Robert Habeck fordert, dass Deutschland 3,5 Prozent seines Bruttoinlandproduktes für das Militär ausgibt. Das würde bedeuten, dass 30 Prozent des Bundeshaushalts für den umwelt- und klimaschädlichsten aller Wirtschaftssektoren aufgewendet würden. Der grüne Lack ist gründlich ab.
Der Berliner Autor Fabian Scheidler ist international bekannt geworden mit seinem Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“.
Im Jahr 2009 bekam er den Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus.
Zuletzt erschien bei Piper „Der Stoff, aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen“.
Der mit freundlicher Genehmigung des Autors hier veröffentlichte Text erschien zuerst in französischer Sprache in Le Monde diplomatique 2/2025 sowie auf deutsch in der Berliner Zeitung vom 15. 02.2025.