Die klei­ne Uni und das gro­ße Kürzen/ Ein Kom­men­tar zum Strei­chungs­wahn an der Martin-Luther-Universität

Um die 2800 Stu­den­ten ström­ten letz­tes Jahr an die Mar­tin-Luther-Uni­ver­si­tät nach Hal­le, an die Saa­le. Mit ins­ge­samt knapp 20000 Stu­den­ten und geschätzt 5500 Mit­ar­bei­tern ist die Uni also gar nicht so klein wie die Über­schrift ver­mu­ten lässt. Gegen die Lan­des- bzw. Kon­ti­nen­ta­lideo­lo­gie des Kür­zens, poli­ti­cal cor­rect auch Spa­ren genannt (dazu spä­ter), wirkt die Uni­ver­si­tät den­noch klein.

Kon­kret wird der­zeit auf die Medi­en - und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler gezielt (lie­be­voll auch „MuK­ler“ genannt). Und in der Tat  gleicht der Kür­zungs­kurs des Rek­to­rats der eines Jägers. Die Inge­nieurs­wis­sen­schaf­ten fie­len bereits 2006 - letzt­lich ohne die erhoff­te finan­zi­el­le Ent­las­tung. Mit sehr viel Anstren­gung schlu­gen die Medi­zi­ner im letz­ten Jahr vie­le Haken, sodass der Kür­zungs­jä­ger sein Visier auf ande­re Opfer lenk­te. Dabei fällt auf, dass er nicht gera­de über­legt mit allen Zünf­ten berät, wel­che Insti­tu­te gesch(l)ossen wer­den soll­ten, son­dern ein­fach auf alles schießt, was zu alt ist um sich zu weh­ren. Da boten sich die Medi­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaf­ten an, wo gleich drei Pro­fes­so­ren alters­be­dingt ihre Stel­len ver­las­sen. Eine klei­ne Chro­no­lo­gie mit den wich­tigs­ten Höhe- und Tief­punk­ten des letz­ten Jah­res fin­den Sie im Kasten.

Die Senats­ab­stim­mung hat­te dabei über den eigent­lich sehr tech­ni­schen Antrag zur Rege­lung der Stu­den­ten­neu­zu­gän­ge einen Span­nungs­bo­gen wie ein End­zeit­fuß­ball­spiel mit ordent­lich viel Publi­kum, wel­ches sich in den Saal drän­geln muss­te. Kamen nicht nur der­lei Argu­men­te für bei­de Mög­lich­kei­ten aufs Feld, wur­den mit allen Tricks gespielt: So durf­te sehr sel­te­ner Wei­se auch ein Nicht-Senats­mit­glied reden. Der ent­schei­den­de Antrag muss­te geheim auf Mehr­heits­wunsch der Sena­to­ren erfol­gen, was aus der Men­ge sofort mit „Schis­ser“ quit­tiert wur­de. Und die Abstim­mungs­mo­da­li­tä­ten muss­ten noch­mals anhand der Geschäfts­ord­nung über­prüft wer­den, sodass nach lan­gem hin und her mit einem Ergeb­nis von 12 zu 11 Stim­men der aka­de­mi­sche Senat sich für den Erhalt der Medi­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaf­ten aus­sprach und die Abwick­lung des Dezer­na­tes also vor­erst ver­hin­dert wur­de. Dies war ein Etap­pen­sieg für die Stu­den­ten. Aller­dings sind die Muk­ler bereits schon jetzt im April erneut dem Angriff des Rek­to­rats auf der nächs­ten Senats­sit­zung ausgesetzt.

Die Argu­men­ta­ti­on der Kür­zungs­be­für­wor­ter war ziem­lich fra­gil. Zum einen wur­de gemeint, mit irgend­ei­nem Bereich müs­se man anfan­gen, und die MuKs pas­sen halt gut. Zum ande­ren wur­de ver­sucht den Bereich mit der Aus­set­zung der Imma­tri­ku­la­ti­on nicht gleich als abge­schrie­ben zu bezeich­nen. Immer­hin hät­te man ja die Pro­fil­dis­kus­si­on noch nicht geführt.

Mit die­ser ist das übri­gens auch so eine Sache. Seit knapp zwei Jah­ren schiebt das Rek­to­rat einen sinn­vol­len Plan und des­sen Dis­kus­si­on dar­über wel­che wis­sen­schaft­li­chen Berei­che weg­fal­len sol­len vor sich her. Dr. Ger­hard Lam­pe, Pro­fes­sor im Depart­ment für Medi­en und Kom­mu­ni­ka­ti­on, kom­men­tier­te dies schlicht mit: „Dem Rek­to­rat wur­de Stüm­pe­rei vor­ge­wor­fen.“ (das exklu­si­ve Inter­view fin­den Sie auf der Inter­net­sei­te der Hal­le­schen Störung).

Die Senats­ver­tre­tung der Stu­den­ten und des Per­so­nals spre­chen sich für die­se Struk­tur­dis­kus­si­on aus, die die Suche nach den For­schungs­in­hal­ten vor die Finan­zie­rung stellt – und nicht umge­kehrt die bio­lo­gi­schen Zufäl­le alters­be­ding­ter Ent­las­sun­gen bestim­men lässt, wel­ches Insti­tut denn bit­te zuerst gehen soll. Wie das Rek­to­rat auf der Sit­zung mit­teil­te, wird die­se nun auf Initia­ti­ve des Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­ums zwi­schen April und Okto­ber erzwun­gen. Ergo dür­fen sich Stu­den­ten auf einen hei­ßen Som­mer ein­stel­len, wel­cher offen­ba­ren wird was nun in den nächs­ten Jah­ren abge­schafft wer­den soll und was nicht.

Des­to­trotz ist das was am kon­kre­ten Uni-Puz­zle­teil der Medi­en­wis­sen­schaf­ten pas­sier­te ein glo­ba­les Phä­no­men, wel­chem die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung, so scheint es, bei­pflich­tet: Das Kür­zen. Dabei wird es in „Spa­ren“ umbe­nannt, um sei­ne destruk­ti­ve Wir­kung zu ver­harm­lo­sen und Zustim­mung zu schaf­fen. Lie­be Leser, Spa­ren bedeu­tet etwas Über­schüs­si­ges für spä­ter auf­zu­be­wah­ren. Wer­den die Medi­en­wis­sen­schaf­ten auf spä­ter ver­scho­ben? Dem wird wohl kaum so sein! Im Neu­sprech wird inner­halb des Spa­rens das Über­schüs­si­ge zum Über­flüs­si­gen trans­for­miert – und das in einem Wort. Ein Wort mit also zwei gegen­läu­fi­gen Bedeu­tun­gen soll dazu die­nen die Zukunft zu beschreiben.

Dar­um, lie­ber Leser, ent­schei­den Sie beim nächs­ten Mal selbst was damit gemeint ist, wenn von Spar­plä­nen, Spar­zwän­gen oder Spar­auf­la­gen gefa­selt wird: Ent­we­der etwas auf­be­wah­ren (spa­ren) oder etwas weg­neh­men (kür­zen). Und wenn Sie sich nicht sicher sind, dann kom­men Sie ger­ne ins Gespräch mit Stu­den­ten ihrer benach­bar­ten Uni­ver­si­tät, denn die­se ler­nen den Unter­schied am eige­nen Fach kennen.

Anmer­kung des Redak­teurs: Die inter­es­san­tes­te Rol­le im Senat neh­men übri­gens die Deka­ne der Fakul­tä­ten ein. Sie sit­zen zwi­schen Baum und Bor­ke ihrer For­schungs- und Fakul­täts­in­ter­es­sen und den Kür­zungs­plä­nen aus der Poli­tik, was dazu führt, dass im Ver­lauf der Debat­ten es sich um ein Mini­mum-Wett­kür­zen han­delt, in wel­chem jeder ver­sucht zu viel wie mög­lich sei­nes Berei­ches zu erhal­ten. Was ver­steckt in ihren Atem­pau­sen schwebt wenn sie über die eige­nen Ent­beh­run­gen und das For­schen am finan­zi­el­len Limit reden, ist mei­nes Erach­tens etwas was sich kei­ner im Land traut offi­zi­ell zu äußern: Die Mar­tin-Luther Uni­ver­si­tät ist insolvent!

von Mat­thi­as Woelki

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Chro­no­lo­gie:

März 2013: Das Land will von 2015 bis 2025 die Uni­ver­si­täts­bud­gets um 225 Mil­lio­nen Euro kürzen.
April 2013: Minis­ter­prä­si­dent Haseloff ent­lässt Wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin Wolff, nach­dem sie öffent­lich ein klei­ne­res Kür­zungs­vo­lu­men vorschlägt.
Mai 2013: Nach Pro­tes­ten lenkt die Regie­rung ein. Das Kür­zungs­vo­lu­men wird auf den gan­zen Wis­sen­schafts­etat ausgeweitet.
Juli 2013: Der Wis­sen­schafts­rat emp­fiehlt die Schlie­ßung der Uni­ver­si­täts­me­di­zin. Neu­er Wis­sen­schafts­mi­nis­ter Möll­ring lehnt ab.
Sep­tem­ber 2013: Eine „Streich­lis­te“ taucht im Minis­te­ri­um auf. Möll­ring spricht ihr jede Ver­bind­lich­keit ab. Es han­de­le sich nur um einen frü­hen stra­te­gi­schen Entwurf
Novem­ber 2013: Die Hoch­schu­len ent­wi­ckeln einen eige­nen Kür­zungs­plan mit 75 Mil­lio­nen Euro bis ein­schließ­lich 2024, wel­cher von Minis­ter­prä­si­dent Haseloff akzep­tiert wird (Bern­bur­ger Frie­den genannt).
Febru­ar 2014: Das Rek­to­rat gibt einen Antrag in den aka­de­mi­schen Senat, der vor­sieht die Medi­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaf­ten zu schlie­ßen. Der Ver­dacht liegt sehr nahe, dass dies nicht auf­grund struk­tu­rell-stra­te­gi­scher Erwä­gun­gen pas­siert, son­dern auf­grund alters­be­dingt aus­lau­fen­der Professorenverträge.
März 2014: Wie oben erläu­tert ent­schied der Senat mit knap­per Mehr­heit die Imma­tri­ku­la­ti­on für die Medi­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaf­ten wei­ter zu führen.

Sie­he auch: Im Inter­view mit Prof. Lam­pe über die aktu­el­le Kür­zungs­run­de an der MLU

Dazu ein in Hör­bei­trag unter lokal.radiocorax.de.

Ihren Pro­test haben die Stu­die­ren­den der Medi­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaf­ten bei der Senats­sit­zung mit­tels eines selbst­pro­du­zier­ten Kurz­films demonstriert:

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