Die Ret­tung der Welt

Schon vor ein­ger Zeit, genau genom­men am 6. Dezem­ber 2013, war ich ein­ge­la­den, bei einer Aus­stel­lungs­er­öff­nung im <rotor> einen Kurz­vor­trag zu hal­ten. Das Mot­to der Aus­stel­lung war “Maß­nah­men zur Ret­tung der Welt” und ich bekam vor der Eröff­nung eine per­sön­li­che Ein­füh­rung in die Aus­stel­lungs­ob­jek­te. Die­se inspi­rier­ten mich für mei­nen Vor­trag, der so begann: Ideen zur Ret­tung der Welt, die gibt es ja heu­te zur Genü­ge, man­che ver­su­chen es zwar mit Ret­tungs­boo­ten (so wie dem hier auf dem Bild, das Teil der Aus­stel­lung war), aber da gibt es noch ande­re viel­ver­spre­chen­de Ideen.

Zum Bei­spiel: Die Bie­nen ster­ben aus – was für ein Glück! Wir kön­nen sie durch künst­li­che Droh­nen erset­zen, die die Bäu­me bestäu­ben, das ist eine teu­re Tech­no­lo­gie, bringt Wirt­schafts­wachs­tum und Arbeitsplätze!

Oder: Arbeit, Schu­le und Stu­di­um machen immer mehr Men­schen krank? Alz­hei­mer und Herz-Kreis­lauf­erkran­kun­gen neh­men zu? Was für ein Glück – dadurch kann Gesund­heit zu einem Zukunfts­markt wer­den und die Wirt­schaft ankur­beln. Inves­to­ren pum­pen rie­si­ge Sum­men in die Phar­ma­in­dus­trie, Gen­for­schung ver­spricht indi­vi­du­ell ange­pass­te Medi­ka­men­te, bald wer­den wir ewig leben und die Ren­di­ten wer­den sprudeln!

Das Trink­was­ser ist ver­schmutzt? Das kommt von der Über­dün­gung der Böden durch die indus­tri­el­le Land­wirt­schaft, aber auch das ist kein Pro­blem. Veo­lia (und ver­mut­lich auch ande­re Kon­zer­ne) ent­wi­ckelt hoch­spe­zia­li­sier­te Was­ser­rei­ni­gungs­an­la­gen, ihre Anwen­dung braucht viel Che­mie und kos­tet viel Geld. Dass Was­ser nach Chlor schmeckt, ist für uns ein Qua­li­täts­merk­mal, sagt die Pres­se­spre­che­rin von Veo­lia in dem Film „Water makes money“. Dass das Was­ser dadurch auch immer teu­rer wird, freut zwar die Kon­su­men­tIn­nenen nicht, dafür ist es gut fürs Wirtschaftswachstum.

Und eine Ener­gie­wen­de, die brau­chen wir natür­lich auch – hur­ra, auch da muss viel inves­tiert wer­den. Grü­ne Ener­gie, das ist die Zukunft. Wir bau­en Solar­kraft­wer­ke in der Saha­ra und Wind­parks in der Nord­see und tau­sen­de Kilo­me­ter lan­ge Hoch­span­nungs­lei­tun­gen. Dass der Bau die­ser Din­ge wie­der jede Men­ge Ener­gie ver­schlingt, wen stört’s, solan­ge die Ren­di­te stimmt.

Alle die­se Ideen, so wird uns ver­spro­chen, sol­len die Welt zu ret­ten. Die Ret­tung, oder zumin­dest die Ver­bes­se­rung der Welt ist offen­sicht­lich kein Allein­stel­lungs­merk­mal von poli­ti­schen Akti­vis­tIn­nen oder Kul­tur­schaf­fen­den. Aber sol­che Ret­tungs­ver­su­che rufen irgend­wie unbe­hag­li­che Gefüh­le her­vor, bei mir zumindest.

Ist das die Art wie wir geret­tet wer­den wol­len? Und wer soll über­haupt geret­tet wer­den und vor wem? Die Welt – wenn damit die Welt außer­halb von uns gemeint ist, die Natur, die Umwelt, der Pla­net – die­se Welt brau­chen wir nicht zu ret­ten. Die wird es noch geben, wenn der Mensch schon lan­ge aus­ge­stor­ben ist. Was eher bedroht ist, ist eben die­ser, der Mensch. Es ist nicht so sehr “die Welt”, die wir mit unse­rer Pro­duk­ti­ons­wei­se zer­stö­ren, als viel­mehr unse­re Lebens­grund­la­gen, die phy­si­schen und die psy­chi­schen. Die Ret­tung der Welt gerät dann zur Selbst­ret­tungs­ak­ti­on. Und dann wird schon ver­ständ­li­cher, war­um es so unter­schied­li­che Kon­zep­te für die Ret­tung der Welt gibt. Jede und Jeder ver­su­chen zuerst ein­mal, sich selbst zu ret­ten. Sei­ne sozia­le Posi­ti­on, ihr Ein­kom­men, sei­nen Job, ihren Pos­ten, sei­ne Absi­che­rung, ihre Zukunft – auch wenn das auf Kos­ten der Zukunft ande­rer geht. Gibt es eine Zukunft für alle Men­schen? Oder gibt es ver­schie­de­ne Zukünf­te für ver­schie­de­ne Men­schen? Und wer bestimmt, wel­che Zukunft es für wen gibt?

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Wenn wir die Ret­tungs­ver­su­che anse­hen, die ich vor­hin geschil­dert habe, dann fällt zwei­er­lei auf:

Ers­tens: Gesucht wer­den tech­ni­sche und markt­för­mi­ge Lösun­gen – mehr vom Glei­chen, mehr von dem, das die Schä­den ver­ur­sacht hat.

Zwei­tens: Die­se Lösun­gen ver­spre­chen zwar Wirt­schafts­wachs­tum, die­ses Wirt­schafts­wachs­tum ent­steht aber nur mehr durch die Repa­ra­tur der Schä­den, die wir vor­her sel­ber ange­rich­tet haben oder die Lösung für ein Pro­blem ver­schlim­mert ein ande­res oder bei­des. Ob es um Arbeits­lo­sig­keit geht, oder um Staats­schul­den, öko­lo­gi­sche Aspek­te, Gesund­heit, Bil­dung oder Pfle­ge – über­all kön­nen wir sol­che Effek­te erken­nen, was ein Pro­blem löst, ver­schärft ein ande­res, je mehr wir vor­her kaputt machen, des­to bes­ser für die Wirt­schaft. Nega­ti­ves, endo­ge­nes Wachs­tum nennt das der ita­lie­ni­sche Öko­nom Ste­fa­no Bar­to­li­ni.

Und wenn uns dabei Unbe­ha­gen beschleicht, dann lie­gen wir nicht so falsch damit. Das ist das Hap­py­ness-Para­dox sagt Bar­to­li­ni. Die posi­ti­ven Wohl­fahrts­ef­fek­te durch Wachs­tum wer­den mit der Zeit (über-) kom­pen­siert durch die nega­ti­ven Effek­te der Ver­schlech­te­rung der zwi­schen­mensch­li­chen Bezie­hun­gen, der Gesund­heit und der Umwelt. Der gesun­de Haus­ver­stand liegt manch­mal viel näher an der bes­se­ren Lösung als Exper­ten und Exper­tin­nen, denn deren Lösun­gen haben gleich meh­re­re blin­de Flecken.

Sie suchen nur nach tech­ni­schen Lösungen
Sie kurie­ren nur Sym­pto­me, anstatt Ursa­chen zu beseitigen
Sie ver­su­chen immer noch mehr Berei­che in den Markt hin­ein­zu­ho­len – Abhol­zung von Regen­wald wird eben­so in Geld gemes­sen wie Bio­di­ver­si­tät, dadurch wer­den immer mehr Din­ge zu Waren, denen die Markt­lo­gik gar nicht gut tut.
Und sie sind immer nur Exper­tIn­nen für einen ganz engen Bereich und fin­den Lösun­gen für die­sen einen Bereich und sind blind für sys­te­mi­sche Zusam­men­hän­ge und Wech­sel­wir­kun­gen, sie sehen den Wald vor lau­ter Bäu­men nicht.

Die Droh­ne statt der Bie­ne soll unse­re Obst­bäu­me bestäu­ben. So weit so gut. Aber die Bie­ne bestäubt nicht nur Obst­bäu­me, sie tut auch noch ande­re Din­ge und hat ganz spe­zi­fi­sche Rol­len im Netz­werk des Lebens. Sie macht Honig und Wachs, sie ist Nah­rung für ande­re Tie­re, kurz­um, wie jedes ande­re Lebe­we­sen, auch wir selbst, ist sie Teil eines aus­ge­klü­gel­ten stoff­li­chen Kreis­laufs, haupt­säch­lich von Koh­len­stoff­mo­le­kü­len. In die­sen Kreis­lauf kön­nen sich die Droh­nen nicht ein­klin­ken. Wenn die Bie­nen feh­len, wird er unter­bro­chen. Nun kann man sagen, eine sol­che Unter­bre­chung ist kei­ne Kata­stro­phe. Das stimmt wohl, nur die Bio­di­ver­si­tät nimmt dras­tisch ab, und nie­mand weiß, wann der Punkt gekom­men ist, wo alles kippt. Es geht also nicht nur um die Bienen.

Eine bes­se­re Her­an­ge­hens­wei­se als Schä­den zu repa­rie­ren und Zer­stör­tes durch noch Ener­gie­auf­wän­di­ge­res zu erset­zen, wäre nach Ursa­chen zu for­schen. Da lan­den wir schnell bei der Lebens­mit­tel­pro­duk­ti­on und damit bei einem ande­ren mei­ner Bei­spie­le, dem Was­ser. Die Stadt Mün­chen, zum Bei­spiel. geht einen ande­ren Weg als Veo­lia. Sie kauft die Grund­stü­cke im Ein­zugs­be­reich ihrer Quel­len auf oder unter­stützt die dort leben­den Bau­ern, auf bio­lo­gi­schen Land­bau umzu­stel­len. Das kos­tet zwar in der ers­ten Zeit, ist auf Dau­er aber bil­li­ger, weil kein Dün­ger gebraucht wird (und damit auch Öl ein­ge­spart wird), weil das Was­ser von sel­ber sau­ber bleibt und nicht gerei­nigt wer­den muss. Die Stadt Mün­chen wird mit gesun­der Nah­rung aus der Regi­on ver­sorgt, das spart noch ein­mal Öl und damit viel­leicht auch das Kraft­werk in der Saha­ra. Und das Was­ser bleibt für alle leistbar.

Sol­che Lösun­gen haben aus der Per­spek­ti­ve der Main­stream­öko­no­mie und der meis­ten unse­rer Poli­ti­ke­rIn­nen aller­dings einen Haken – sie sind bil­li­ger als tech­ni­sche Lösun­gen, sie tra­gen nichts zum Wirt­schafts­wachs­tum bei und mög­li­cher­wei­se ver­nich­ten sie sogar Jobs. Viel­leicht, wenn die Men­schen sich dar­über freu­en könn­ten, dass sie weni­ger arbei­ten müs­sen, und sich nicht davon stres­sen lie­ßen, wür­den sie nicht mehr so häu­fig krank. Dann stün­de es aber schlecht um die Ren­di­ten der Phar­ma­in­dus­trie, weil die gibt es nur, wenn es vie­le kran­ke und pfle­ge­be­dürf­ti­ge Men­schen gibt. So hängt alles mit allem irgend­wie zusammen.

Das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem ist in einer Sack­gas­se. Solan­ge die Ret­tung der Welt nur inner­halb die­ser Logik ver­sucht wird, wird sie nicht glü­cken, nicht ein­mal die Selbst­ret­tung. Die Ret­tung der Welt wird sich nicht im stei­gen­den Brut­to­so­zi­al­pro­dukt aus­drü­cken und nicht in den Bör­sen­kur­sen. Die Ret­tung der Welt geht anders und es gibt nicht die eine und ein­zi­ge Lösung dafür, son­dern vie­le, für jede Situa­ti­on, für jede Regi­on, für jedes Pro­blem eine ande­re. Aber eines ist allen gemein­sam: sie haben nicht als obers­tes Ziel Pro­fit zu machen und sie schau­en aufs Gan­ze, auf die Bezie­hun­gen und Wech­sel­wir­kun­gen, nicht auf Lösun­gen für ein Pro­blem, die dafür ande­re Pro­ble­me schaffen.

Sol­che Vor­schlä­ge gehen von einem ande­ren Men­schen­bild aus und haben ein ande­res Ver­ständ­nis vom Ver­hält­nis zwi­schen Mensch und Natur. Man­che spre­chen von einer „Auf­klä­rung der Auf­klä­rung“ (z.B. Hans Peter Dürr und ande­re im Pots­da­mer Mani­fest). Es ist das ratio­na­le, quan­ti­ta­ti­ve Den­ken der Auf­klä­rung, das alles in sei­ne Ein­zel­tei­le zer­le­gen will, um die Welt zu ver­ste­hen; das die Natur als min­der­wer­tig und ver­bes­se­rungs­be­dürf­tig ansieht und Men­schen­ge­mach­tes als bes­ser und moder­ner; das Men­schen für iso­lier­te Indi­vi­du­en hält und alles einer rein mecha­nis­ti­schen Ratio­na­li­tät unter­ord­net, und das eine wesent­li­che Ursa­che ist für das Dilem­ma in dem wir ste­cken. Aus der befrei­en­den und immer noch gül­ti­gen Auf­for­de­rung Kants, den MUT zu haben, den EIGENEN Ver­stand zu gebrau­chen, wur­de eine blin­de Wis­sen­schafts­gläu­big­keit, der ZWANG der VERNUNFT zu gehor­chen, auch wenn es gar nicht die eige­ne ist, und alles, was sich nicht in die­ses redu­zier­te Rea­li­täts­ver­ständ­nis ein­ord­nen lässt, aus­zu­blen­den. Wir müs­sen wie­der her­ein­ho­len, was wir ver­ges­sen haben – auch den EIGENEN Gefüh­len fol­gen und Kom­ple­xi­tät und Viel­falt zulas­sen, nicht alles ver­ein­heit­li­chen, nor­mie­ren, stan­dar­di­sie­ren und quantifizieren.

Lebens­för­dern­des Wirt­schaf­ten heißt, dass nicht für Pro­fit pro­du­ziert wird, son­dern ent­spre­chend den Bedürf­nis­sen und unter Nut­zung aller Res­sour­cen und Fähig­kei­ten. Gera­de weil Men­schen so ver­schie­den sind, weil wir unter­schied­li­che Bedürf­nis­se und Fähig­kei­ten haben, kann es funk­tio­nie­ren, dass genug für alle da ist.

Vie­le Men­schen ver­su­chen das in Gemein­schafts­gär­ten und Tran­si­ti­on-Initia­ti­ven, in offe­nen Werk­stät­ten und soli­da­ri­scher Land­wirt­schaft, mit Car-Sharing und Couch­sur­fing, mit frei­er Soft­ware und Open Source Hard­ware und fin­den dabei ihre eige­nen Lösun­gen. Sie erfül­len ihre Bedürf­nis­se mit den Res­sour­cen, die da sind, selbsst­or­ga­ni­siert und “jen­seits von Markt und Staat”, wie die Com­mons-For­sche­rin und Wirt­schafts­no­bel­preis­trä­ge­rin Eli­nor Ostrom es aus­drückt. Durch Ein­brin­gen ihres Wis­sens und ihrer Fähig­kei­ten, durch Kom­mu­ni­ka­ti­on und Koope­ra­ti­on fin­den sie Lösun­gen, die zwar nicht zum Wirt­schafts­wachs­tum bei­tra­gen, aber zur Erhö­hung der Lebens­qua­li­tät und zur Ver­rin­ge­rung des öko­lo­gi­schen Fuß­ab­drucks, zur Stär­kung sozia­ler Bezie­hun­gen und zur Scho­nung von Res­sour­cen – und oft genug macht das auch noch viel mehr Spass als Lohn­ar­beit. Die Welt ret­ten sie damit ver­mut­lich nicht, aber sie machen sie um ein gan­zes Stück wohn­li­cher und das ist gar nicht so wenig.

Ver­öf­fent­licht am 17. Janu­ar 2014 von Bri­git­te Kratz­wald aud ihrem Blog.

Fotos: J.J. Kucek
Titel: Mar­je­ti­ca Potrč, aus der Serie "The Rural Con­nec­tion", 2012. Cour­te­sy: Gale­rie Nor­den­ha­ke, Berlin/Stockholm ©: Wen­zel Mraček

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