Intensiv-Landwirtschaft und Industrialisierung haben zu einem weitgehenden Verschwinden der Ackerbegleitflora geführt, auf modernen Äckern sind kaum noch Wildkräuter/Unkräuter zu finden. Eine dieser fast schon ausgestorbenen Arten ist jetzt zurückgekehrt und breitet sich wieder rasant auf mittelostdeutschen Äckern aus. Die Roggentrespe (Bromus secalinus) ist eine Grasart und ein alter Begleiter des Roggens. Seit der Steinzeit hat sie ihr Fortpflanzungsverhalten an den Roggen angepasst, u. a. durch Wegfall des Keimverzugs und größere Körner in festeren Ährchenspindeln, die erst beim Dreschen zerfallen. Die Samen von Roggen und Roggentrespe vermischten sich so und wurden im nächsten Jahr zusammen wieder ausgesät. Schon im Neolithikum gab es Formen der Saatgutreinigung, doch die Roggentrespe wurde bewusst geduldet, teilweise sogar gezielt mit ausgesät. Als Ausfall-Versicherung konnte sie immer noch geerntet und gegessen werden, wenn der Roggen durch Witterungsunbilden oder Gewalteinwirkung nicht reif wurde. Trespenkörner und -mehle finden sich in den Mägen vieler beliebter Moorleichen. Mittelalterliche bis frühneuzeitliche Mystiker beschäftigten sich mit der interessanten Roggentrespe, Lyssenko-Schüler entwickelten abenteuerliche Theorien.
Mit dem Tiefpflügen und moderner Saatgutreinigung verschwand die Roggentrespe von 1870 bis 1900 weitgehend von unseren Äckern, um 1950 galt sie als bedrohte Art und wurde in Erhaltungskulturen aufgenommen. Nach der politischen Wende hielten auch bei uns pfluglose Bodenbearbeitungsmethoden Einzug. Der Boden wird nur noch oberflächlich angeritzt und nicht mehr umgeworfen. Bald nach der Grenzöffnung wanderte auch die Roggentrespe als "Alteigentümer" wieder in ihre Stammlande ein. Hinzu kam, dass das Wissen über Saatgutreinigung schwand. Um zweifelhalte Nachbaugebühren der Saatzucht-Konzerne zu vermeiden, entnehmen viele Landwirte ihre Saat unkontrolliert und ungereinigt aus dem eigenen Erntegut. Zwar werden heute viel mehr Herbizide, Insektizide, Fungizide usw. auf den Äckern ausgebracht, doch als einkeimblättrige Planze stört das die Roggentrespe nicht weiter. Bromus secalinus ist heute wieder flächendeckend in den "blühenden Landschaften" verbreitet, was nicht nur aus Gründen der Arterhaltung zu begrüßen ist. In möglichen Katastrophenzeiten steht wieder ein alter Nothelfer für unsere Ernährung zur Verfügung.
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