Die schö­ne Stadt Dessau

Unter dem Titel „Hei­mat­kun­de“ erzäh­le ich Geschich­ten aus mei­nen frü­hen Kin­der­jah­ren. Vor allem erin­ne­re ich mich dabei an mei­nen Uropa Her­mann. In des­sen Haus in Meins­dorf, das heu­te zu Des­sau-Ross­lau gehört, ver­brach­te ich die­se Zeit.

Mein Urgroß­va­ter wur­de noch im 19. Jahr­hun­dert in Wör­pen im Nie­de­ren Flä­ming gebo­ren und sprach das Flä­min­ger Platt. Er besuch­te die Dorf­schu­le und muss­te nach dem Unter­richt von klein auf in der Land­wirt­schaft arbei­ten. Beson­ders gut kann­te er sich mit Pfer­den aus und begab sich als jun­ger Mann auf die Wan­der­schaft. Bei rei­chen Bau­ern ver­ding­te er sich als Knecht und haus­te über dem Pfer­de­stall. Dann dien­te er in der kai­ser­li­chen Armee und war in Des­sau kaserniert.Vermutlich ver­wan­del­te sich in der Stadt sei­ne Lie­be zu Pfer­de­fuhr­wer­ken. Er folg­te dem Ruf in eine neue Zeit, wur­de Bahn­be­am­ter und lieb­te seit­her sei­ne Deut­sche Reichs­bahn. Das sicher­te ihm ein ordent­li­ches Ein­kom­men und er konn­te end­lich die Mar­tha hei­ra­ten. Sie stamm­te auch aus Wör­pen und war als Dienst­mäd­chen in Cos­wig ange­stellt. Nun muss­ten die Zwei sich nicht mehr schlecht von ihren jewei­li­gen Dienst­her­ren behan­deln las­sen. Sie grün­de­ten eine Fami­lie. Drei Söh­ne wur­den ihnen gebo­ren. Her­mann, Erich und Otto, mein Groß­va­ter, den ich nie ken­nen­lern­te. Erst leb­ten sie zusam­men in einem Stre­cken­wär­ter­haus und spä­ter zogen sie nach Meins­dorf. Dort hat­ten sie ein eige­nes Haus mit Neben­ge­lass und gro­ßem Gar­ten erwor­ben und wei­te­re Grund­stü­cke. Sie waren Selbst­ver­sor­ger. Das heißt, alles, was sie zum Leben brauch­ten, bau­ten sie selbst an. Für den Win­ter sorg­ten sie vor, indem sie Obst und Gemü­se ein­koch­ten oder gut im Kel­ler lager­ten. Fleisch lie­fer­ten die Kanin­chen. Die drei Söh­ne mach­ten eine Leh­re und soll­ten, wenn sie hei­ra­te­ten, ein Stück Land erhal­ten, um ein Haus dar­auf zu bau­en. Nur einer hat gehei­ra­tet und kei­ner von ihnen hat je ein Haus gebaut. Und schuld dar­an waren Hit­ler und sei­ne brau­ne Ban­de, die Nazis, so jeden­falls drück­te sich Opa Her­mann aus, wenn er sich „gräm­te“.

Eines Tages, ich war etwa sechs Jah­re alt, nahm er mich mit in die gro­ße Stadt Des­sau. Wir fuh­ren natür­lich mit der Eisen­bahn. Und ich war sehr auf­ge­regt. Zum ers­ten Mal in die gro­ße, schö­ne Stadt Dessau!

Des­sau 1967. Das war zunächst ein gro­ßer Bahn­hof mit vie­len Bahn­stei­gen und einem lan­gen Tun­nel. Dar­in hall­ten Schrit­te und Stim­men von vie­len Men­schen. Auf einer brei­ten Trep­pe gelang­ten wir wie­der ans Tages­licht. Oben gab es ein Restau­rant, einen War­te­raum, die Gepäck­ab­fer­ti­gung und vie­le Schal­ter, an denen Fahr­kar­ten ver­kauft wur­den. So klei­ne recht­ecki­ge Papp­stü­cke, auf denen Abfahrts- und Ziel­ort auf­ge­druckt waren. Im Zug muss­ten wir sie dem Schaff­ner vor­zei­gen und der knips­te mit sei­ner Zan­ge ein klei­nes Loch hinein.
Wir durch­schrit­ten die Vor­hal­le des Bahn­hofs, die von mäch­ti­gen Säu­len getra­gen wur­de. Noch nie­mals zuvor war ich in einem so rie­si­gen Haus gewe­sen. Und davon soll­te es in Des­sau noch viel mehr geben! Des­sau ist ne schö­ne Stadt, die auch hohe Häu­ser hat, hieß es im Kinderlied.
Und dann ver­lie­ßen wir das Gebäu­de und blick­ten über eine wei­te lee­ren Flä­che, auf der sich eine Stra­ßen­bahn ver­lor. Nein, kei­ne hohen Häu­ser, son­dern Haus­res­te stan­den an ihren Rän­dern. Grau­schwarz und zer­stört. Mit lee­ren Fens­ter­höh­len. Opa bemerk­te mein Erschre­cken. „Das sin die Rui­nen“, sag­te er. „Rui­nen“, wie­der­hol­te ich das selt­sa­me Wort. „War­um sind da die Rui­nen, Opa?“ „Das waren die Flie­jer mit ihren Bom­ben. Die sin in die Häu­ser ein­je­schla­ren. Und dann is allet ver­brannt.“ „Haben da Leu­te gewohnt?“ „Ja. Vil­le.“ „Und wo sind sie jetzt?“ „Eini­je konn­ten sich ret­ten, haben sich im Luft­schutz­kel­ler vas­teckt. Aber vil­le sin jestor­ben. Ich habe von Meins­dorf aus jese­hen, wie Des­sau jebrannt hat. Es war een rie­si­jet Feu­er­meer.“ „Wer hat die Bom­ben geschickt?“ „Ach, der Hit­ler war schuld. Der hat den Kriech anje­fan­gen! Und dann is et so ausjejangen“.

 

 

Des­sau­er Rui­nen nach dem Bom­ben­an­griff am 7.3. (Quel­le: Face­book, Des­sau - His­to­ri­sche Ansichten)

 

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