Die Zukunft als Glas­mensch. Ein Kommentar

Es ist jetzt 5:41 Uhr und ich bin seit 41 Minu­ten schon wach, obwohl ich die Kin­der erst in 45 Minu­ten wecken muss. Seit einem Jahr ste­he ich viel frü­her auf, als ich müss­te. Leb­te ich in Chi­na, könn­te mir das bald schon Bonus­punk­te ein­brin­gen. Wie ich näm­lich gera­de bei BILD online gele­sen habe, will die Volks­re­pu­blik ein Punk­te-Sys­tem ein­füh­ren, um ihre Ein­woh­ner zu bewerten.

Zu Beginn erhält man 1.000 Punk­te und je nach Ver­hal­ten wer­den wel­che abge­zo­gen, oder man ver­dient sich wel­che dazu. Aus den Punk­ten wird ein Sco­ring­wert gene­riert, den dann Arbeit- oder Kre­dit­ge­ber, Eltern, die einen Mann für ihre Toch­ter suchen oder ande­re sich­ten, um den Men­schen hin­ter dem Wert zu beur­tei­len. Mich erin­nert das stark an das Buch Zero von Marc Eisen­berg, in dem Men­schen nicht nur bewer­tet, son­dern per App auch noch zu bes­se­rem Ver­hal­ten ange­lei­tet wur­den. Ich habe das Buch nicht gele­sen, die Vor­stel­lung schreck­te mich ab und gru­se­li­ge Zukunfts­ideen schie­be ich gern von mir weg.

"Der glä­ser­ne Mensch ist da.
Und er ist voll­kom­men in der Hand einer Macht."

Ich kann mor­gens kurz vor sechs eine sol­che Nach­richt belä­cheln und mir aus­rech­nen, wie schnell ich mei­ne 1.000 Punk­te los wäre: Mein Zaun ist seit Mona­ten kaputt, mein Rasen ist nicht ordent­lich gemäht, ich koche nicht gesund, ich trin­ke manch­mal, ich rau­che manch­mal, ich flu­che und lese ver­bo­te­ne Din­ge im Netz. Hei­ra­ten wür­de mich ziem­lich schnell nie­mand mehr. Aber: So wirk­lich wit­zig fin­de ich die­se News nicht. Denn im Arti­kel steht, dass die Grund­la­ge der Men­schen­be­wer­tung alle vor­han­de­nen Daten sind. Das heißt, dass sowohl Kran­ken-, als auch Arbeit­neh­mer­kar­tei­en und sämt­li­che Daten, also Äuße­run­gen, aus den sozia­len Netz­wer­ken mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den sol­len. Der glä­ser­ne Mensch ist da. Und er ist voll­kom­men in der Hand einer Macht. Mir fällt eine wei­te­re Mel­dung ein: In Sau­di Ara­bi­en hat gera­de Sophia, eine künst­li­che Intel­li­genz, die Staats­bür­ger­schaft erhalten.

"Wir Glas­men­schen versuchen,
alles rich­tig zu machen."

Wie wird unse­re Zukunft aus­se­hen? Viel­leicht so: Wir Glas­men­schen ver­su­chen, alles rich­tig zu machen und es den gerad­li­ni­gen Robo­tern gleich­zu­tun. Die­se wer­den aber immer „bra­ver“ sein, als wir, weil sie kei­ne Gefüh­le und Affek­te haben. Also pas­sen sie viel­leicht irgend­wann auf uns auf, lei­ten uns an, ste­hen über uns und gestal­ten unse­ren Alltag.

Ist das abwe­gig? Kann sein. Aber ich habe bei sol­chen Mel­dun­gen, die ich viel zu früh am Mor­gen im lau­tes­ten Medi­en­blatt des Lan­des lese, oft das Gefühl, dass ich in zehn Jah­ren genau dar­an zurück­den­ke und mir erstaunt sage: „Wow, das ist ja wirk­lich wahr geworden.“

 

Julia­ne Uhl

 

Kommentar verfassen