Ring frei zur Elefant*innenrunde: 1.StäZ-Wahlforum in der Theatrale

Am 17. Mai lud die 'Städ­ti­sche Zei­tung' zu einem Wahl­fo­rum in die ehe­ma­li­ge Thea­tra­le ein. Vor Ort und im Inter­net-Stream durf­te das Publi­kum eine rich­ti­ge lokal­po­li­ti­sche "Elefant*innenrunde" erle­ben - sou­ve­rän von StäZ-Chef­re­dak­teur Felix Kno­t­he mode­riert. Optisch war die Run­de zwei­ge­teilt in "eta­blier­te" Stadt­rä­te ( Schol­tys­sek: CDU, Meer­heim: LINKE, Wendt: SPD, Ranft:GRÜNE ) und auf der ande­ren Sei­te in "Her­aus­for­de­rer" ( Wol­ter: Mit­Bür­ger, Tho­mas: 'Haupt­sa­che Hal­le', Kad­zi­mirsz: Freie Wäh­ler, Kan­ne: Team Schra­der, Acker-Ehr­hardt : FDP )

Den Ein­stieg in die Dis­kus­si­on lie­fer­te die Online-Rüge einer Face­book-Nut­ze­rin, die den gerin­gen Frau­en­an­teil kri­ti­sier­te. Der hät­te leicht auch bei Null lie­gen kön­nen, wäre bei den Grü­nen nicht kurz­fris­tig Frau Ranft noch in den Ring geschickt wor­den. Immer­hin kamen die Kandidat*innen so gleich zur Sache und die Raum­tem­pe­ra­tur stieg. Ein glei­cher­ma­ßen char­man­ter und sou­ve­rä­ner Mode­ra­tor Felix Kno­t­he gab in der Mit­te die The­men­blö­cke und die Regeln vor.

Hal­les Wirt­schaft und das Gewer­be­ge­biet Tornau

Beim The­ma Wirt­schaft wirk­ten sich alle in der Sache einig, dass Hal­le wei­ter auf 'Wachs­tum' set­zen soll. Andre­as Schol­tys­sek (CDU) bemän­gel­te, dass Hal­le im Wett­be­werb um Indus­trie­an­sied­lun­gen immer noch schlech­ter als Mag­de­burg daste­he. Als Lösung trom­mel­te er für neue Gewer­be­parks wie den in Tornau geplan­ten, um mehr Indus­trie­an­sied­lun­gen in die Stadt zu holen. Sein Cre­do lässt sich leicht zusam­men­fas­sen: Mehr Fir­men, mehr Arbeits­plät­ze, mehr Steu­er­be­trä­ge und dadurch Wachs­tum und Wohl­stand für Hal­le. Maxi­mi­li­an Acker-Ehr­hardt (FDP) ging mit die­sen For­de­run­gen mit und füg­te hin­zu, dass die Infra­struk­tur - Ver­kehrs­we­ge aber auch Inter­net-Breit­band­aus­bau - gestärkt wer­den müsse.

Was den Gewer­be­park Tornau angeht, gab es über­ra­schend ein­stim­mi­gen star­ken Gegen­wind. Nicht nur Bodo Meer­heim von den Lin­ken oder Tom Wol­ter von den Mit­Bür­gern spra­chen sich deut­lich gegen Tornau als neue Gewer­be­flä­che aus. Selbst Sven Tho­mas von 'Haupt­sa­che Hal­le' votier­te eher für die Nut­zung und Stär­kung bestehen­der Gewer­be­ge­bie­te wie Ammen­dorf oder Neu­stadt. Auch die nicht gefrag­te Mela­nie Ranft von den Grü­nen hät­te sich an die­ser Stel­le gegen die Erschlie­ßung von Tornau stark­ge­macht. Schließ­lich unter­stüt­zen sie als Par­tei am engs­ten die Bür­ger­initia­ti­ve Saa­le­tal, die gegen Nord­tan­gen­te und Gewer­be­parks protestiert.

Steu­ern und Finanzen

Als dann die Spra­che not­wen­di­ger­wei­se auf den Schul­den­stand und den Aus­ga­ben­über­schuss kam, brach­te Fal­ko Kad­zi­mirsz (Freie Wäh­ler) eine Stadt­gren­zen-Erwei­te­rung als Opti­on für ein Steu­er-Plus ins Spiel. Schnell wur­de von den „Eta­blier­ten“ aber klar gestellt, dass der Saa­le­kreis sich nicht ein­fach ein­neh­men las­sen will.

Mar­co Kan­ne von der Wäh­ler­grup­pe 'Team Schra­der' wit­tert Ein­spa­rungs­po­ten­zia­le bei der Kul­tur und in der Admi­nis­tra­ti­on – zum Bei­spiel bei künd­ba­ren Bera­ter­ver­trä­gen. Als er sich mit Voka­beln wie „per­vers“ auf die Kul­tur­sub­ven­tio­nen der Stadt ein­schoss, ern­te­te er lei­den­schaft­li­ches Gegen­feu­er von Det­lef Wendt und Bodo Meer­heim. Gan­ze 10 Mil­lio­nen pro Jahr will das Team Schra­der den Stad­thea­tern und der Oper weg­neh­men, um anschlie­ßend hie­si­ge Unter­neh­men steu­er­lich zu ent­las­ten. „Rich­ti­ge Par­ties“ kön­ne man mit dem Geld fei­ern. Auf die hat­ten aber die ande­ren in der Run­de wenig Lust.

Ver­kehr und Mobilität

In Anbe­tracht der wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on von Hal­le stell­te sich auch die Fra­ge nach Mobi­li­tät, wes­we­gen die The­men­punk­te Ver­kehrs­wen­de und Stadt­bahn­pro­gramm den wei­te­ren Ver­lauf der Debat­te domi­nier­ten. Schol­tys­sek (CDU) bezeich­ne­te das The­ma als „heiß umkämpft“ und stell­te den Vor­wurf eines ideo­lo­gi­schen Streits gegen das Auto in den Raum. Gewis­se Unter­stüt­zung gab es hier von Acker-Ehr­hardt (FDP) und Mar­co Kan­ne (Team Schra­der), wel­che sich gegen eine ver­meint­li­che Aus­spie­lung der ver­schie­de­nen Ver­kehrs­teil­neh­mer aussprachen.
Für eine Stär­kung des Umwelt­ver­bunds und Ver­bes­se­rung der Fuß­weg- und Rad­weg­in­fra­struk­tur stan­den Mela­nie Ranft (Grü­ne), Bodo Meer­heim (Lin­ke) und Yvonne Wink­ler (Mit­bür­ger für Hal­le), wel­che inzwi­schen für Herrn Wol­ter ein­ge­sprun­gen war.

Frau Ranft beton­te die all­ge­mei­ne Aus­rich­tung der Grü­nen auf die auto­mo­bil­re­du­zie­ren­de Ver­kehrs­wen­de und for­der­te eine trans­pa­ren­te­re Ver­kehrs­po­li­tik. Auch Frau Wink­ler ver­or­te­te ihre Ver­ei­ni­gung in Sachen Mobi­li­täts­wen­de nah an den Grü­nen. Ihrer Ansicht nach soll­ten moder­ne Mobi­li­täts­kon­zep­te geför­dert wer­den, wie z.B. Fahr­zeugsha­ring. Raum für Rad­fah­rer und Fuß­gän­ger soll erwei­tert, Fahr­zeug­ver­kehr bei Mög­lich­keit zurück­ge­drängt wer­den. Meer­heim for­der­te vor allem den Aus­bau des Bahn­ver­kehrs, beson­ders am Stadt­rand. Auto­ver­zicht soll durch mehr und bes­se­re Nah­ver­kehrs­an­ge­bo­te erzielt wer­den. Der CDU warf Meer­heim vor, kei­nen Aus­gleich anzu­stre­ben, sowie Schol­tys­sek behaup­te­te, son­dern das Auto zu bevor­tei­len. Die Innen­stadt auto­är­mer, bzw. kli­ma­freund­li­cher zu gestal­ten wur­de des­wei­te­ren von Wend (SPD) und Tho­mas (H.i.B.) als erstre­bens­wert erach­tet. Ledig­lich Kad­zi­mirsz bemän­gel­te feh­len­de Inno­va­tio­nen zum Aus­bau des Nah­ver­kehrs­net­zes und for­der­te statt­des­sen die Sanie­rung der bestehen­den Net­ze und Inno­va­tio­nen in Rich­tung Schnellverkehr.

Die Ver­güns­ti­gung oder zumin­dest Stopp der Preis­er­hö­hun­gen im ÖPNV wäre fast Kon­sens in der Debat­te gewor­den, jedoch wider­sprach dem Schol­tys­sek, dass kla­re Regeln zur Finan­zie­rung im Ver­kehrs­bund bestehen und Hal­le allei­ne Preis­er­hö­hun­gen nicht brem­sen kann. Den Dif­fe­renz­be­trag müss­te die Stadt allei­ne tra­gen, was sie sich nicht leis­ten kann und die Kos­ten­stei­ge­rung wäre mit der wach­sen­den Infra­struk­tur inbe­grif­fen. Da die Havag außer­dem zu den Stadt­wer­ken gehört, finan­zie­re sie sich größ­ten­teils selbst, wes­we­gen die Poli­tik dort wenig Spiel­raum hät­te. Wei­te­re Ver­bes­se­run­gen des ÖPNV wur­den aller­dings ein­stim­mig begrüßt.

Gret­chen­fra­ge am Schluss

Den Abschluss der Dis­kus­si­on bil­de­te eine Run­de mit per­sön­li­chen Wahlstate­ments aller Kandidat*innen. Bei einer anschlie­ßen­den Publi­kums­run­de brach­te der Lei­ter der Frei­wil­li­genagen­tur die Fra­ge vor, wie die ein­zel­nen Kan­di­da­ten das ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment in Hal­le zu stär­ken geden­ken. Hier ließ sich Mode­ra­tor Felix Kno­t­he nicht ent­ge­hen dar­auf hin­zu­wei­sen, dass alle Stadt­rä­te grund­sätz­lich ohne Salär im Stadt­rat sitzen.

Zu der gelun­ge­nen Ver­an­stal­tung, die mit viel Inter­es­se live im Netz ver­folgt wur­de, kann man der Städ­ti­schen Zei­tung nur gra­tu­lie­ren. Die­se hat mit Bra­vour einen Leer­stel­le in der öffent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on vor der Kom­mu­nal­wahl ein­ge­nom­men und ein­mal mehr gezeigt, war­um ihre Grün­dung nötig war.

(And­re Sebald / Jörg Wunderlich )

 

Kom­men­tar

In der Debat­te war erfreu­lich zu bemer­ken, dass Bür­ger­an­lie­gen und –pro­tes­te in Hal­les Kom­mu­nal­po­li­tik schein­bar Früch­te getra­gen haben. 2018 und 2019 ste­hen bei­de im Zei­chen des Kli­ma­wan­dels und der Not­wen­dig­keit einer bes­se­ren Umwelt­po­li­tik. Pro­tes­te gegen das „Wei­ter so“ von Indus­trie und dahin­ter­ste­hen­der Poli­tik und es schla­gen sich immer stär­ker im poli­ti­schen Dis­kurs nie­der. Dass die Ent­ste­hung eines rie­si­gen Gewer­be­ge­bie­tes vor Tornau von den meis­ten Dis­kus­si­ons­teil­neh­mern abge­lehnt, statt­des­sen fast ein­stim­mig zur Ver­wen­dung eige­ner Infra­struk­tur auf­ge­ru­fen wur­de, war ein gutes Zei­chen. Dass dies noch­mal zur Debat­te kam und ein Umden­ken mög­lich wird, ist vor allem der Bür­ger­initia­ti­ve Saa­le­tal zu ver­dan­ken. Die­se Ent­wick­lung könn­te wich­ti­ge Grün­flä­chen ret­ten, wel­che durch den Gewer­be­park und die durch ihn not­wen­dig wer­den­de Nord­tan­gen­te dau­er­haft zu ver­schwin­den dro­hen. Auch wur­de deut­lich, dass selbst CDU und FDP nicht mehr an dem The­ma Mobi­li­täts­wen­de vor­bei kom­men. Auch wenn sie sich als Schutz­pa­tron der Auto­fah­rer dar­stel­len, ste­hen sie den­noch deut­li­chen For­de­run­gen nach ver­bes­ser­ten Nah­ver­kehrs­op­tio­nen, Aus­bau für Fuß­gän­ger und Rad­fah­rer und kli­ma­freund­li­cher Ver­kehrs­po­li­tik gegen­über. Die­se For­de­run­gen wer­den beson­ders von jun­gen Men­schen in Initia­ti­ven und Groß­be­we­gun­gen, wie Fri­days For Future wei­ter ange­facht und sind längst kein Wider­hall in der Echo­kam­mer eini­ger Öko-Ver­bän­de. Das Bewusst­sein für Umwelt und Nach­hal­tig­keit wird stär­ker und lau­ter und kann nicht mehr belä­chelt wer­den ohne sich öffent­li­chen Zuspruch zu ver­spie­len. Die Ver­tie­fung sol­cher Inhal­te im poli­ti­schen Dis­kurs, dank einer akti­ver wer­den­den Gesell­schaft, soll­te uns wei­ter moti­vie­ren aktiv, laut und auch unbe­quem zu blei­ben. Alle Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer gaben den Appell her­aus, dass wir, egal wen wir wäh­len, unbe­dingt am 26.05. zu Wahl gehen sol­len. Dem schlie­ße ich mich an, jedoch soll­te man es dabei nicht belas­sen, son­dern auch nach der Wahl eigens den poli­ti­schen Dis­kurs antrei­ben, aktiv sein, Initia­ti­ve zei­gen und auch mal auf Kon­fron­ta­ti­ons­kurs gehen. Erst dann geben wir unse­rer Demo­kra­tie ihre See­le. (And­re Sebald)

Kommentar verfassen