Frei­heit und Ver­trau­en in unsi­che­ren Zei­ten: Was bedeu­ten uns die Grundrechte?

Wie sehr sind wir bereit, im Zuge der Coro­na-Pan­de­mie auf unse­re Grund­rech­te zuguns­ten von Gemein­wohl­zie­len zu ver­zich­ten? Und wovon hängt unser Ver­trau­en in die Poli­tik in Kri­sen­zei­ten ab? Die Non-pro­fit Orga­ni­sa­ti­on WIR MACHEN DAS ging die­sen Fra­gen gemein­sam mit der Uni Bie­le­feld in einer sozio­lo­gi­schen Stu­die nach. Wir spra­chen mit der Pro­jekt­lei­te­rin Uta Rüchel über die Ergeb­nis­se und Konsequenzen.

STOE: Die Ein­schrän­kung von Grund­rech­ten unter dem Vor­be­halt einer 'Pan­de­mi­schen Lage natio­na­ler Trag­wei­te' wer­den schein­bar von der über­gro­ßen Mehr­heit in Deutsch­land hin­ge­nom­men. Wird die­ser vor allem medi­al ver­mit­tel­te Ein­druck durch Eure Stu­die bestätigt?

Foto: Rüdi­ger Disselberger

Uta Rüchel: Die ver­fas­sungs­recht­li­chen Regeln der Not­stands­ver­fas­sung wur­den bis­lang nicht in Anspruch genom­men. Den­noch sind wir mit einer Rei­he von Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen kon­fron­tiert. Im Rah­men unse­res Pro­jekts "Demo­kra­tie? Eine Fra­ge der Ver­fas­sung!" haben wir im Som­mer 2020 eine Umfra­ge gestar­tet und danach gefragt: Wie wer­den die Frei­heits­rech­te von den Bürger*innen ver­stan­den und in der Pan­de­mie gewichtet?

Für die abso­lu­te Mehr­heit sind die Grund­rech­te und das Gemein­wohl von zen­tra­lem Wert. 84 Pro­zent sagen, die Ein­schrän­kung von Grund­rech­ten muss gut begrün­det und jeder­zeit zu hin­ter­fra­gen sein. Mehr als zwei Drit­tel nei­gen zu einer auf das Gemein­wohl ori­en­tier­ten Ethik. Das sind die ermu­ti­gen­den Ergeb­nis­se. Auf der ande­ren Sei­te zeigt sich eine gesell­schaft­li­che Span­nung: Das Ver­trau­en in die Regie­rung und die öffent­lich-recht­li­chen Medi­en ist offen­bar ungleich verteilt.

STOE: Bei den Ergeb­nis­sen dif­fe­ren­ziert Ihr in ein "Ver­trau­ens­mi­lieu" und ein "Miss­trau­ens­mi­lieu" - wie groß sind die­se Grup­pen jeweils und inwie­weit las­sen sich auch Bezü­ge zu Lebens­ver­hält­nis­sen oder Regio­nen herstellen?

Uta Rüchel: Viel­leicht erst­mal zur Über­sicht: Ins­ge­samt haben wir vier Grup­pen unter­schie­den. Sie haben ver­schie­de­ne Posi­tio­nen in Bezug auf ihr Ver­trau­en in die poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen, ihre Wert­schät­zung der Grund­rech­te und ihre Ein­stel­lung zum Umgang mit Risi­ko­grup­pen. Und wir haben gese­hen, dass das Ver­trau­en in Insti­tu­tio­nen und Medi­en in der Kri­se von zen­tra­ler Bedeu­tung ist. Denn je mehr Ver­trau­en da ist, des­to weni­ger füh­len die Per­so­nen sich von den Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen per­sön­lich betroffen.

"Es gibt einen sehr deut­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen dem Ver­trau­en in die Poli­tik und der Reprä­sen­tanz der eige­nen Mei­nung in den öffent­li­chen Medien".

Beson­ders aus­ge­prägt ist das Ver­trau­en unter gut gebil­de­ten Per­so­nen aus dem urba­nen Milieu (18 %). Unter den­je­ni­gen, die den Insti­tu­tio­nen wenig Ver­trau­en ent­ge­gen­brin­gen (31 %), sind die wenigs­ten Hoch­schul­ab­sol­ven­ten und die meis­ten Per­so­nen aus klei­ne­ren Orten. Doch auch die­ses Milieu ist kei­nes­wegs gering gebil­det oder streng kon­zen­triert auf den länd­li­chen Raum.

Und noch ein ganz wich­ti­ger Punkt: Es gibt einen sehr deut­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen dem Ver­trau­en in die Poli­tik und der Reprä­sen­tanz der eige­nen Mei­nung in den öffent­li­chen Medi­en. Wer sei­ne Mei­nung dort nicht wie­der­fin­det, holt sei­ne Infor­ma­tio­nen eher aus den sozia­len Medi­en. Und beson­ders die­je­ni­gen, die die­se Medi­en viel nut­zen, geben eine star­ke Betrof­fen­heit von den Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen an. Nicht zuletzt ver­wei­sen die Unter­schie­de im Ver­trau­en nicht nur auf for­ma­le Bil­dungs­ab­schlüs­se, son­dern auch auf Her­kunft. So ist das Ver­trau­en unter Ost­deut­schen – übri­gens auch schon vor der Pan­de­mie – deut­lich gerin­ger und unter Men­schen mit Ein­wan­de­rungs­ge­schich­te etwas höher.

STOE: Inwie­weit unter­schei­det sich die Hal­tung der Befrag­ten bei ande­ren Kri­sen­the­men, etwa beim Klima ?

Uta Rüchel: Wir hat­ten drei offe­ne Fra­gen in unse­rem Fra­ge­bo­gen. Eine davon war: Wären Sie bereit, ähn­li­che oder ande­re Ein­schrän­kun­gen Ihrer indi­vi­du­el­len Grund­rech­te hin­zu­neh­men, wenn dies zur Durch­set­zung von Zie­len für das Gemein­wohl sinn­voll wäre (Errei­chen der Kli­ma­zie­le, Bekämp­fung von Flucht­ur­sa­chen, sozia­le Gerech­tig­keit)? Knapp über zwei Drit­tel ant­wor­te­ten mit einem kla­ren JA, vie­le beton­ten dabei vor allem die Kli­ma­zie­le. Das hört sich erst­mal ermu­ti­gend an, auch wenn wir nicht wis­sen, ob auf die ver­kün­de­te Bereit­schaft, eige­ne Pri­vi­le­gi­en auf­zu­ge­ben im kon­kre­ten Fall wirk­lich Ver­lass wäre.

"Das Bewusst­sein in Bezug auf die Grund­rech­te ist nicht in jedem Fall so dif­fe­ren­ziert, auf­ge­klärt und kri­tisch ist, wie es zunächst viel­leicht erscheint."

Im Übri­gen war die Zustim­mung in Milieu 1 bis 3 sehr groß, wäh­rend Milieu 4 hier – wie auch in ande­ren Fra­gen – eine Son­der­stel­lung ein­nahm und mehr­heit­lich nicht zustimm­te. Aber was aus mei­ner Sicht noch erwäh­nens­wert ist: Nur sehr Weni­ge wie­sen dar­auf hin, dass für das Errei­chen der genann­ten Zie­le gar kei­ne Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen nötig sei­en, da es eigent­lich um Pri­vi­le­gi­en gehe, auf die nie­mand ein Anrecht habe. Das zeigt mir, dass das Bewusst­sein in Bezug auf die Grund­rech­te nicht in jedem Fall so dif­fe­ren­ziert, auf­ge­klärt und kri­tisch ist, wie es zunächst viel­leicht erscheint. Und in die­sem Zusam­men­hang ist dann sehr inter­es­sant, dass es in dem gut gebil­de­ten, urba­nen Milieu 2 nur 8 % waren, die so argu­men­tier­ten und in Milieu 4 immer­hin auch 5,6 %.

STOE: Was lässt sich zum Set­ting Eurer Befra­gung sagen - wie wur­den die Teil­neh­men­den ermit­telt und kontaktiert?

Uta Rüchel: Unse­re Umfra­ge Freiheit(en) in unsi­che­ren Zei­ten lief im Juni und Juli 2020 über die online-Platt­form lime­s­ur­vey. Um sie zu bewer­ben, haben wir unser Netz­werk akti­viert. Außer­dem haben wir in fünf Orten, in denen wir ursprüng­lich Ver­an­stal­tun­gen durch­füh­ren woll­ten, ver­schie­dens­te Ver­ei­ne kon­tak­tiert und über face­book-posts gewor­ben. Dadurch konn­ten wir doch eine gewis­se Hete­ro­ge­ni­tät errei­chen und mit­tels sta­tis­ti­scher Ver­fah­ren, die Ergeb­nis­se schließ­lich so gewich­ten, dass wir davon aus­ge­hen kön­nen, dass sie ziem­lich reprä­sen­ta­tiv sind.

STOE: Was pas­siert mit den nun gewon­nen Erkennt­nis­sen, gibt es ers­te Deu­tungs­schlüs­se und wo sind sie zu lesen?

Uta Rüchel:Wie schon gesagt - das Ver­trau­en in Poli­tik und Medi­en über­schnei­det sich sehr stark und es ist ungleich ver­teilt. Außer­dem fiel auf, dass ins­be­son­de­re die­je­ni­gen, die kein Ver­trau­en haben und ihre Mei­nung in den Medi­en nicht reprä­sen­tiert sehen, ihrer­seits erwar­ten, dass der Staat ihnen traut und die Ein­hal­tung der Maß­nah­men nicht über­wacht. Aber Ver­trau­en kann natür­lich kei­ne Ein­bahn­stra­ße sein! Das wirft letzt­lich ver­schie­de­ne Fra­gen auf: Mög­li­cher­wei­se ist das Ver­trau­en, aber auch die Ori­en­tie­rung auf das Gemein­wohl dort beson­ders schwach, wo Men­schen ihre eige­nen Inter­es­sen nicht wahr­ge­nom­men sehen oder nicht mehr den Ein­druck haben, Teil des Gemein­wohls zu sein.

"Wir brau­chen eine Ver­stän­di­gung dar­über, was jede*r von uns eigent­lich unter Frei­heit und Ver­ant­wor­tung versteht."

Mei­nes Erach­tens zeigt sich hier ein gewis­ser Riss in der Gesell­schaft, der schon län­ger exis­tiert, aber in einer Pan­de­mie noch ein­mal ganz ande­re Aus­wir­kun­gen hat. Außer­dem ist für mich deut­lich gewor­den: Wir brau­chen eine Ver­stän­di­gung dar­über, was jede*r von uns eigent­lich unter Frei­heit und Ver­ant­wor­tung ver­steht. Peter Slo­ter­di­jk sag­te dazu kürz­lich so schön, dass „man nicht allein immun ist, son­dern Men­schen nur dann leben kön­nen, wenn sie sich gegen­sei­tig so viel Sicher­heit geben, dass sie frei sind zum Spie­len“. Was solch ein Satz in der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on kon­kret bedeu­tet – dar­über muss öffent­lich gestrit­ten wer­den, mit dem gebo­te­nen Respekt vor der Mei­nung des Anderen.

Die Ergeb­nis­se der Stu­die wie auch zwei Essays dazu sind auf unse­rer Home­page von WIR MACHEN DAS zu fin­den. Eine ers­te öffent­li­che Aus­ein­an­der­set­zung dazu hat­ten wir kürz­lich in einer online-Ver­an­stal­tung mit der Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Ulri­ke Gué­rot, dem Sozio­lo­gen Armin Nas­sehi sowie dem Ober­bür­ger­meis­ter von Neu­bran­den­burg, Sil­vio Witt, und dem Chef­re­dak­teur des Schles­wig-Hol­stei­ni­schen Zei­tungs­ver­lags, Ste­fan Hans Klä­se­ner.

 

 

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