Hal­le­sches Pla­ne­ta­ri­um erlebt sei­nen 40. Geburts­tag nicht mehr

Aus trau­ri­gem Anlass doku­men­tie­ren wir die

Stel­lung­nah­me der Denk­ma­lin­itia­ti­ve Scha­len­dom zum Abriss des Raum­flug­pla­ne­ta­ri­ums in Halle

Am 10. Novem­ber vor 40 Jah­ren wur­de das Raum­flug­pla­ne­ta­ri­um Sig­mund Jähn auf der Peiß­nitz in Hal­le (Saa­le) ein­ge­weiht. In der zurück­lie­gen­den Woche wur­de es abge­ris­sen. Die media­le Empö­rung dar­über ist aktu­ell groß, kommt aber drei Jah­re zu spät. Jetzt kön­nen wir nur noch beim Ver­schwin­den des Gebäu­des zuschau­en und prü­fen­de Bli­cke auf die ver­spro­che­ne Ber­gung von Bau­tei­len richten.

In Erin­ne­rung bleibt das Pla­ne­ta­ri­um in Erzäh­lun­gen von Zeit­zeu­gen, in archi­tek­tur­his­to­ri­schen For­schun­gen, in Foto- und Film­do­ku­men­ten, in wei­te­ren Archi­va­li­en und als 3D-Modell. Das Ori­gi­nal, ein ein­zig­ar­ti­ges Bau­werk der Ost-Moder­ne, wird in weni­gen Wochen unwie­der­bring­lich zer­stört sein. Die gebor­ge­nen Relik­te kön­nen über die­sen Total­ver­lust nicht hin­weg­trös­ten. Sei­nen 40. Geburts­tag wird das Pla­ne­ta­ri­um nun – anders als wir 2015 noch hoff­ten – bedau­er­li­cher­wei­se nicht mehr erleben.

Stadt Hal­le (Saa­le) und Land Sach­sen-Anhalt tra­gen gemein­sam die Verantwortung

Bereits vor dem Hoch­was­ser vom Juni 2013 fris­te­te das Raum­flug­pla­ne­ta­ri­um "Sig­mund Jähn" ein von sei­nem Betrei­ber und Eigen­tü­mer, der Stadt Hal­le (Saa­le), ver­nach­läs­sig­tes Dasein. Obwohl das dar­in ange­sie­del­te Pro­jekt "Astro­li­nos" im Jahr 2008 eine Aus­zeich­nung im Rah­men des Pro­gramms "Land der Ideen" erhielt, blieb durch die über­hol­te Tech­nik, die unzu­rei­chen­de Per­so­nal­aus­stat­tung, das ein­sei­ti­ge Ange­bot und das kaum spür­ba­re Mar­ke­ting sein Poten­ti­al unge­nutzt. Ein lapi­da­rer Satz auf der Home­page des Raum­flug­pla­ne­ta­ri­ums im Som­mer 2013 ließ bereits Schlim­mes befürch­ten: "Auf­grund der ver­hee­ren­den Hoch­was­ser­schä­den muss­te das Raum­flug­pla­ne­ta­ri­um geschlos­sen wer­den. Die Stadt Hal­le bemüht sich um Mit­tel aus dem Hoch­was­ser-Hilfs­fonds, um in einem abseh­ba­ren Zeit­raum ein neu­es Pla­ne­ta­ri­um errich­ten zu können."

Schnell wur­de ein Neu­bau mit aktu­el­ler Tech­nik und zukunfts­wei­sen­dem Kon­zept anvi­siert. Dies erschien uns eben­so schlüs­sig wie eine sinn­vol­le Nach­nut­zung für das außer­ge­wöhn­li­che Gebäu­de auf der Peiß­nitz. Doch an let­ze­rem war die Stadt­ver­wal­tung nicht inter­es­siert, son­dern setz­te kate­go­risch auf den Abriss. Das vom Land Sach­sen-Anhalt auf­ge­leg­te und EU-finan­zier­te Flut­hil­fe­pro­gramm soll­te dazu genutzt wer­den, einen Neu­bau für ein Pla­ne­ta­ri­um an güns­ti­ge­rem Stand­ort zu errich­ten und den hoch­was­ser­ge­schä­dig­ten Bau auf der Peiß­nitz zu besei­ti­gen. Die Fest­le­gung auf die­se Argu­men­ta­ti­on des Ersatz­neu­baus inklu­si­ve Besei­ti­gung des Alt­baus war spä­tes­tens mit der Bewil­li­gung durch das Lan­des­ver­wal­tungs­amt und der Zustim­mung des Stadt­ra­tes besiegelt.

Wäre im Flut­hil­fe-Antrag eine Nach­nut­zung des Pla­ne­ta­ri­ums für einen ande­ren Zweck oder auch nur der Erhalt als Hül­le um ihrer selbst Wil­len for­mu­liert wor­den, so hät­te das Gebäu­de eine reel­le Chan­ce gehabt, wie ein Mit­ar­bei­ter des Lan­des Sach­sen-Anhalt bestä­tig­te. Doch die Stadt fürch­te­te eine Modi­fi­zie­rung des Antra­ges und beschwor die Ableh­nung des Gesamt­pro­jek­tes, also vor allem das Ende des Ersatz­neu­baus im ehe­ma­li­gen Gaso­me­ter auf dem Holz­platz. Eine nach­träg­li­che Ände­rung des Antrags auf­grund deut­lich erhöh­ter Bau­kos­ten für das Neu­bau­pro­jekt stell­te aller­dings für die Stadt kei­ne Hür­de dar.

Die­ses Par­odox hat eine Par­al­le­le in der über­re­gio­na­len Wert­schät­zung, die der Erbau­er Her­bert Mül­ler und die von ihm per­fek­tio­nier­te HP-Scha­len­bau­wei­se zur glei­chen Zeit erfuhr. Wäh­rend die "Mit­tel­deut­sche Zei­tung" gro­ßes Ver­ständ­nis für die von Stadt­ver­wal­tung und Stadt­rat ver­folg­te Linie zeig­te, ver­stärk­te sich inner­halb der Fach­öf­fent­lich­keit von Archi­tek­ten und Archi­tek­tur­his­to­ri­kern, die sich für eine Wür­di­gung der "Ost-Moder­ne" stark machen, die Kri­tik am geplan­ten Abriss. Dies blieb lei­der ohne aus­rei­chen­de Wir­kung auf die poli­ti­schen Entscheidungsträger.

Ber­gung von Bauteilen

Ein Stadt­rats­be­schluss vom 26.10.2016 gab der Stadt­ver­wal­tung den Auf­trag, die Spit­ze des Kup­pel­baus (ein Metall­kranz des Künst­lers Knut Mül­ler) zu sichern und anschlie­ßend in geeig­ne­ter Form dau­er­haft aus­zu­stel­len, sowie zu prü­fen, ob die Scha­len­kon­struk­ti­on oder ein­zel­ne Ele­men­te von die­ser erhal­ten wer­den kön­nen. Auf die Prü­fung folg­te die Absa­ge der Stadt­ver­wal­tung, da beim Ent­fer­nen ein­zel­ner HP-Scha­len deren Bruch befürch­tet wur­de und die­se Form der Ber­gung Mehr­kos­ten ver­ur­sa­chen wür­de, die nicht för­der­fä­hig waren.

Dem­ge­gen­über sag­te die Stadt­ver­wal­tung der Denk­ma­lin­itia­ti­ve Scha­len­dom in einer Bür­ger­sprech­stun­de die Ber­gung wei­te­rer Tei­le sowie deren Prä­sen­ta­ti­on als Relik­te im Ersatz­neu­bau zu. Dies betrifft zwei Zeu­gen der Tech­nik­ge­schich­te, den Pla­ne­ta­ri­ums­pro­jek­tor des gro­ßen Kup­pel­saa­les und den Cou­dé-Refrak­tor der Stern­war­te, sowie den Schrift­zug "Raum­flug-Pla­ne­ta­ri­um" über dem Ein­gangs­por­tal . Offen blieb, ob auch das Kup­pel­dach der Stern­war­te auf der Ber­gungs­lis­te ste­hen würde.

Im Janu­ar 2018 wur­den die ein­zel­nen Plat­ten des Metall­kran­zes ent­fernt und ein­ge­la­gert. Ihre Ein­be­zie­hung in den Ersatz­neu­bau wur­de von der Stadt­ver­wal­tung in der ver­gan­ge­nen Woche eben­so erneut zuge­si­chert wie die dor­ti­ge Prä­sen­ta­ti­on einer von drei eben­falls gesi­cher­ten Son­nen­uh­ren, des gebor­ge­nen Schrift­zu­ges "Raum­flug-Pla­ne­ta­ri­um" sowie der Ele­men­te von Pro­jek­tor und Refraktor.

Der kul­tur­his­to­ri­sche Wert des Einzeldenkmals

Der ein­zig­ar­ti­ge drei­tei­li­ge Kom­plex aus einem stei­len Rund­bau und einem nied­ri­gen recht­ecki­gen Funk­ti­ons­trakt, der sich in Rich­tung Stern­war­te in die Höhe schwingt, wur­de im Juni 2015 auf die Denk­mal­lis­te des Lan­des Sach­sen-Anhalt gesetzt.

Für die Aus­wei­sung als Ein­zel­denk­mal war nicht nur sei­ne tech­nisch-for­ma­le Gestal­tung, son­dern eine Viel­zahl von Eigen­schaf­ten aus­schlag­ge­bend: etwa die eigen­stän­di­ge For­men­spra­che in dem von Her­bert Mül­ler ent­wi­ckel­ten HP-Scha­len-Sys­tem, das typi­sche Erschei­nungs­bild der 1970er Jah­re, die von Klaus Diet­rich ent­wor­fe­ne spre­chen­de Archi­tek­tur, wel­che Asso­zia­tio­nen an Raum­kap­seln weckt. Das Bau­werk trug dazu bei, die Errun­gen­schaf­ten der DDR und der UdSSR in Raum­fahrt und Astro­no­mie publik zu machen und spie­gelt zugleich die Raum­fahrt­be­geis­te­rung in Ost und West – auch unter den Vor­zei­chen des Kal­ten Krie­ges – wider. Als Bestand­teil des ehe­ma­li­gen Kul­tur­parks auf der Peiß­nitz war es für vie­le Hallenser*innen und Besucher*innen ein zen­tra­ler Bil­dungs- und Erlebnisort.

Die kon­struk­ti­ve und for­ma­le Lösung ist deutsch­land­weit ein­zig­ar­tig. Es han­delt sich bei dem Gebäu­de, anders als bei den meis­ten Plat­ten­bau­ten oder Gebäu­den mit HP-Scha­len, um ein Uni­kat. Sei­ne bau­li­che Hül­le war bis zuletzt weit­ge­hend authentisch.

Die Denk­ma­lin­itia­ti­ve Schalendom

Die Denk­ma­lin­itia­ti­ve Scha­len­dom (DI Scha­len­dom) grün­de­te sich 2015, um für den Erhalt die­ses Gebäu­des zu kämp­fen. In ihr schlos­sen sich zahl­rei­che Bürger*innen sowie die vier Ver­ei­ne Arbeits­kreis Innen­stadt, Peiß­nitz­haus, Kunst­platt­form Sach­sen-Anhalt und Freun­de der Bau- und Kunst­denk­ma­le Sach­sen-Anhalt zusam­men, um ihrem gemein­sa­men Bestre­ben in gebün­del­ter Form Aus­druck zu verleihen.

Mit dem Begriff "Scha­len­dom" woll­te die Initia­ti­ve die Per­spek­ti­ve auf das Gebäu­de ver­schie­ben: weg von der Nut­zung als Pla­ne­ta­ri­um hin zur Form des Gebäu­des, zu sei­ner ein­zig­ar­ti­gen archi­tek­to­ni­schen Erschei­nung, die sogar als unge­nutz­te Hül­le eine wich­ti­ge Funk­ti­on hät­te über­neh­men kön­nen: ein Denk­mal ihrer selbst zu sein. Die­ses Kon­zept war als ein Brü­cken­schlag zu den poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern gedacht, die jeg­li­che wei­te­re Nut­zung als unmög­lich bezeich­net hat­ten, um durch das Flut­hil­fe­pro­gramm einen Ersatz­neu­bau an ande­rer Stel­le finan­zie­ren zu können.

Die DI Scha­len­dom führ­te am 10. Novem­ber 2015 eine Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung vor dem Denk­mal durch, die von einer Licht­in­stal­la­ti­on des hal­le­schen Künst­lers Ist­ván Sei­del und einem Fach­vor­trag der Lan­des­kon­ser­va­to­rin für Denk­mal­pfle­ge Dr. Ulri­ke Wend­land beglei­tet wur­de. Am Tag des offe­nen Denk­mals vom Sep­tem­ber 2016 zeig­te die DI Scha­len­dom eine Aus­stel­lung am Gebäu­de und führ­te stünd­lich Füh­run­gen für die zahl­rei­chen Besucher*innen durch.

Gesprä­che mit Vertreter*innen der hal­le­schen Stadt­ver­wal­tung ver­moch­ten nicht für einen Sin­nes­wan­del zu sor­gen, obwohl die DI Scha­len­dom bereit war, eine Paten­schaft für das Gebäu­de zu über­neh­men. Zwar konn­te in die Abwä­gung über den Abriss­an­trag durch das Lan­des­ver­wal­tungs­amt noch das Inter­es­se der Bevöl­ke­rung und der archi­tek­tur­his­to­ri­schen Fach­ge­mein­de am Erhalt ein­be­zo­gen wer­den, bei­des hat­te aber letzt­lich nicht genü­gend Gewicht.

Kon­takt:
Denk­ma­li­ni­ta­ti­ve Schalendom
Ruth Heftrig
0176-24101732
mail@schalendom.de

Foto: DI Schalendom

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