In memo­ri­am Ute Loh­se. Ein Nachruf

Zum ers­ten Mal sah ich Ute Loh­se 1971: Mit einem rie­si­gen Baby­bauch kam sie in den Burg­hof der Kunst­hoch­schu­le Gie­bichen­stein gera­delt und ich bestaun­te ihre Fähig­keit, das Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Weni­ge Tage spä­ter stand ein Zwil­lings­wa­gen vor der Kera­mik­werk­statt. Zwei sehr unter­schied­li­che Knäb­lein hat­ten das Licht der Welt erblickt – blond der eine, dun­kel­haa­rig der ande­re. Eine Her­aus­for­de­rung für die Zukunft. Nun muss­ten Kin­der, Kunst, Lie­be, Freund­schaf­ten und Geld­ver­die­nen zusam­men­ge­bracht werden.

Ute schaff­te nicht nur das. Sie wider­setz­te sich zeit­le­bens auch den Zumu­tun­gen der lin­ken Dik­ta­tur, die schöp­fe­ri­sche, freie Geis­ter (nicht zu Unrecht) als ihre natür­li­chen Fein­de betrach­te­te. Aber leicht war das nicht. 1973 wur­de der Vater der Kin­der fest­ge­nom­men und nach zwei Jah­ren poli­ti­scher Haft in die Bun­des­re­pu­blik verkauft.
Es lag an dem gro­ßen, hilfs­be­rei­ten Freun­des­kreis gleich­ge­sinn­ter Frei­heits­süch­ti­ger, dass es sich letzt­lich trotz aller äuße­ren Drang­sa­lie­run­gen auch in der DDR gut leben ließ.

Ute war ein in alle Rich­tun­gen offe­ner und wiss­be­gie­ri­ger Mensch. Da man in der DDR offi­zi­ell nur mar­xis­tisch gefil­ter­tes Wis­sen erwer­ben konn­te, lud sie Inter­es­sier­te regel­mä­ßig in ihre Woh­nung ein, um über Phi­lo­so­phie­ge­schich­te zu reden. Da gab es den Tee aus fei­nen Ute-Scha­len. Wer Gele­gen­heit hat­te, ihr beim Dre­hen die­ser Klein­ode auf der Töp­fer­schei­be zuzu­se­hen ver­stand, dass bei ihr Fein­füh­lig­keit nicht nur eine inner­li­che, son­dern auch eine hand­werk­li­che Fähig­keit war. Nur Weni­ge kön­nen Ton so dünn­wan­dig dre­hen, dass er, mit fei­ner Gla­sur gebrannt, gegos­se­nem Por­zel­lan nahe­kommt. Und neben die­se zar­ten Gebil­de kamen spä­ter die groß­for­ma­ti­gen Arbei­ten im öffent­li­chen Raum.

1982 unter­schrieb sie ohne Zögern einen Pro­test­brief gegen das neue Wehr­dienst­ge­setz der DDR, das die Mus­te­rung und Ein­be­ru­fung von Frau­en in die Natio­na­le Volks­ar­mee ermög­li­chen soll­te. Das war die Geburts­stun­de der FRAUEN FÜR DEN FRIEDEN – einen losen, DDR-wei­ten Ver­bund wider­stän­di­ger Frau­en, der 1989 ins NEUE FORUM mün­de­te und die Revo­lu­ti­on vor­be­rei­ten half. Ute war bei allen Aktio­nen dabei, auch 1995 als Grün­dungs­mit­glied des „Zeit-Geschichte(n) – Ver­ein für erleb­te Geschich­te“.

Bei mei­nem Besuch am 6.November 2022 auf der Strah­len­the­ra­pie­sta­ti­on spra­chen wir nur kurz über den Krebs. Wozu auch. Sie wuss­te, dass da nichts mehr zu machen war. Am nächs­ten Tag wür­de ich zur Trau­er­fei­er für Chris­toph Prü­fer gehen. Sie wäre gern mit­ge­kom­men und ließ alle Freun­de und Bekann­ten grü­ßen. Wir spra­chen über die Vie­len, die schon nicht mehr da sind – Ladis­lav, Lud­wig und Mari­an­ne, den klei­nen Phil­ipp, BAADER, Ram­mi, Ger­traud und Otto, Bär­bel, Tobi­as und Vere­na, die Mam, Rei­be, Elle und Pel­le, Lui­se, Sabi­ne, meh­re­re Jür­gen, die Babí und Opa Lada, Vaclav, Uli, Frank, Bea­te, Chris­toph … wir erin­ner­ten uns an skur­ri­le Epi­so­den und lach­ten viel. Es war eine schö­ne Ruhe und Gelas­sen­heit im Raum. Ute wuss­te, dass sie jetzt an der Rei­he war und schien damit ein­ver­stan­den und mir schien es der letz­te Akt im „Ver­such, in der Wahr­heit zu leben“. Vaclav Havels gleich­na­mi­ges Buch hat­te vie­len Men­schen in der DDR Hoff­nung gege­ben, weil „ Hoff­nung ist nicht die Über­zeu­gung, dass etwas gut aus­geht, son­dern die Gewiss­heit, dass es Sinn hat, egal wie es ausgeht.“

Dass Ute auch jün­ge­ren Leu­ten viel bedeu­tet hat, fin­det Nie­der­schlag in der schö­nen Dank­sa­gung aus der Aka­de­mie der Küns­te Sach­sen-Anhalt:

„Dan­ke für die Ernst­haf­tig­keit, mit wel­cher Du dei­ne eige­ne künst­le­ri­sche Arbeit betrie­ben hast, und dabei jeder­zeit für Hil­fe­stel­lun­gen aller Art im Umfeld dei­ner Freun­de bereit stan­dest. Dan­ke für Dei­nen unnach­ahm­li­chen erfri­schen­den Humor, die Jugend­lich­keit Dei­nes Den­kens, Dei­ne Neu­gier­de auf alles, was auf Bes­se­res hin­wei­sen konn­te. Dan­ke, daß Du unse­rer Aka­de­mie 8 Jah­re lang ein Quell von Wär­me und fro­hem Bei­ein­an­der­sein gewe­sen bist.“

Ich ver­mu­te, dass die von Ute ent­wi­ckel­ten drei­di­men­sio­na­len Struk­tu­ren – zuerst in der Flä­che, dann im Raum – auch ein Bild dafür sind, wie sie per­sön­li­chen Zer­ris­sen­hei­ten eine lebens­be­ja­hen­de Form geben konn­te. Nun ist eine wei­te­re Dimen­si­on dazu­ge­kom­men. In mei­nem Her­zen bleibt dein sub­ver­siv-anar­chis­ti­sches Kichern…

Leb wohl, Ute!

Hei­di Bohley

( Foto: Sabi­ne Hartmann )

 

 

 

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