Ist Gen­dern Irr­sinn? Kommt drauf an!

Zunächst die Fra­ge: Wo kommt das her? Wann nahm das Ver­wir­ren­de dar­um sei­nen Anfang? Fast jedes Kaba­rett­pro­gramm berei­tet sei­nem Publi­kum Freu­de mit einer Glos­se zum The­ma. Das ist auch gut so, aber Geschlechts­iden­ti­tä­ten oder das Rol­len­spiel der Geschlech­ter soll­ten viel­leicht nicht die gesam­te Kom­mu­ni­ka­ti­on über­stra­pa­zie­ren und verkomplizieren.

Doch zum ernst­haf­ten Hin­ter­grund: Dazu möch­te ich einen Blick zurück in das Jahr 1987 wer­fen. Damals enga­gier­te ich mich in der  evan­ge­li­schen Stadt­mis­si­on und setz­te mich für Akzep­tanz und Tole­ranz Homo­se­xu­el­ler ein. So etwas war in der DDR nur unter dem Dach der Kir­che mög­lich. Als Athe­is­tin wur­de ich für die­ses Enga­ge­ment gera­de­zu in die Kir­che hin­ein­ge­trie­ben, was ich auch Erich Hon­ecker (Vor­sit­zen­den des Staats­ra­tes) wis­sen ließ, denn das konn­te doch wohl nicht das Ansin­nen sei­ner Par­tei sein. Wir wur­den über­wacht und geduldet.

Zu die­ser Zeit begeg­ne­te mir erst­ma­lig eine femi­nis­tisch enga­gier­te Frau, die einer Gäs­te­lis­te eine „Gäs­tin­nen­lis­te“ hin­zu­füg­te. Ups, was soll­te das denn? Damals stand ich auf der Sei­te der schwu­len Män­ner und wuss­te nicht, dass die­se Sprach­form in alten Mär­chen gebräuch­lich gewe­sen war. Das ist nun bald vier­zig Jah­re her, und ich habe dazu gelernt, ganz all­mäh­lich. Als ich dann 2002 in Mer­se­burg Sexu­al­päd­ago­gik stu­dier­te, stör­te es mich gewal­tig, dass der Dekan uns nur als "Stu­den­ten" begrüß­te. Denn die Grup­pe bestand vor­wie­gend aus Frau­en. Zum Abschluss des Stu­di­ums kon­zi­pier­te ich eine Aus­stel­lung zum The­ma „Geschlecht und Spra­che“, die danach auf Rei­sen ging. Der Dekan mein­te damals, dass das alles eine Mode­er­schei­nung sei... Bei Radio Corax in Hal­le begann ich in die­ser Zeit in einer eige­nen Sen­dung den Fokus eben­falls auf geschlech­ter­ge­rech­te­re Spra­che zu legen, dem Femi­ni­num in der deut­schen Spra­che zu sei­nem Recht zu ver­hel­fen. Inzwi­schen sind wie­der zwan­zig Jah­re ver­gan­gen. Noch immer kann ich fest­stel­len, dass vie­le älte­re Leu­te, vor allem im Leh­rer­be­ruf, lern­re­sis­tent sind, wäh­rend die Genera­ti­on Z sich mit dem The­ma Gleich­be­rech­ti­gung in der Spra­che überschlägt.

Ein lan­ger Weg

Spra­che hat sich mit dem Homo sapi­ens vor rund 300 000 Jah­ren ent­wi­ckelt. Und seit Jahr­tau­sen­den leben wir in einer patri­ar­cha­len Gesell­schaft. Von jeher gab es aller­or­ten Frau­en, die ver­such­ten, zu mehr Gleich­be­rech­ti­gung zu gelan­gen; und das Rin­gen um eine Spra­che, in der sie ent­spre­chend sicht­bar sind gehört zu die­sem Pro­zess dazu. Immer­hin dis­ku­tie­ren wir heu­te schon dar­über. Es war ein lan­ger Weg bis zur ers­ten Welt­frau­en­kon­fe­renz, die 1935 in Istan­bul statt fand. Die zwei­te gab es 1975 in Mexi­co-Stadt im Rah­men des "Inter­na­tio­na­len Jahr der Frau". Bei einer wei­te­ren 1985 in Nai­ro­bi gab es ers­te kon­kre­te­re Umset­zungs­plä­ne für die Gleich­stel­lung von Frau­en. Und 1995 in Peking wur­de bei der dor­ti­gen Welt­frau­en­kon­fe­renz schließ­lich "Gen­der Main­strea­ming" auf den Weg gebracht, unmit­tel­bar gefolgt von ers­ten Ver­su­chen damit in den skan­di­na­vi­schen Ländern.

Was bedeu­tet Gen­der Mainstreaming?

Gen­der: bio­lo­gi­sches und sozia­les Geschlecht; Main­stream: Haupt­strom, das ist klar. Doch was bedeu­tet es?
Es han­delt sich um eine Dop­pel­stra­te­gie zur Gleich­stel­lungs­po­li­tik, in wel­cher die unter­schied­li­chen Lebens­rea­li­tä­ten und Inter­es­sen von Frau­en und Män­nern und die Ein­fluss­nah­me auf Gleich­stel­lung von vorn­her­ein und selbst­ver­ständ­lich in der Pla­nung, Durch­füh­rung, Über­wa­chung und Aus­wer­tung aller poli­ti­schen Vor­ha­ben berück­sich­tigt wer­den müs­sen. Kri­te­ri­en und Instru­men­te zur Umset­zung sind dabei vorgegeben.
Mit dem Ams­ter­da­mer Ver­trag, Arti­kel 2, Absatz 13, 137… wur­de die Anwen­dung die­ses Prin­zips zur gesetz­li­chen Ver­pflich­tung für die Mit­glied­staa­ten 1999 erho­ben. Das ist sehr kurz gefasst. Die mehr wis­sen wol­len kön­nen nachlesen.

Am 2. Mai 2000 war Sachsen–Anhalt das ers­te Bun­des­land in Deutsch­land mit einem Kon­zept zur Umset­zung von Gen­der Main­strea­ming in der Ver­wal­tung. Mei­ne ers­te Wei­ter­bil­dung zur geschlech­ter­ge­rech­ten Spra­che für Pro­jekt­an­trä­ge besuch­te ich 2001, die von einem Mann gelei­tet wur­de, der sich damit immer­hin schon ein Hono­rar verdiente.

Zuneh­mend kam bei Gleich­stel­lungs­the­men die Spra­che ins Spiel, und auch das Gen­der-Pay-Gap, das den Ver­dienst­ab­stand zwi­schen Frau­en und Män­nern beschreibt. Mit den Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten kamen The­men wie Frau­en­gesund­heit, Mäd­chen­pro­jekt­ta­ge, Nein zu Gewalt an Frau­en, One Bil­li­on Rising und, und, und auf den Plan. Und lang­sam wehr­ten sich die ver­ges­se­nen Män­ner, teil­wei­se zurecht. Es wur­de immer häu­fi­ger kon­tro­vers dis­ku­tiert, das Gleich­stel­lungs­the­ma oft dabei ins Lächer­li­che gezo­gen, sowohl von Män­nern als auch von Frau­en. Es ist etwas Neu­es in Bewe­gung, das hof­fent­lich nicht nur von den Kriegs­trei­ben­den und Macht­hung­ri­gen der Welt ablenkt.

Zurück­bli­ckend hat­ten wir in den 60er Jah­ren die Bür­ger­rechts­be­we­gung, eine Anti­kriegs­be­we­gung gegen den Viet­nam­krieg, gegen die Mili­tär­jun­ta in Latein­ame­ri­ka, spä­ter die Anti-Atom­kraft-Bewe­gung. Dann waren da noch die Stu­den­ten­be­we­gung, Frau­en­be­we­gung, die Sexu­el­le Revo­lu­ti­on und immer ging es auch um gesun­des und frei­es Leben auch für anders den­ken­de. Mit Rock’n Roll und Beat kamen die älte­ren schon nicht mehr mit. Bereits in der Hip­pie­be­we­gung wur­de die Regen­bo­gen­fah­ne geschwenkt. Flower Power- Blüm­chen und Dro­gen, und es ging wei­ter, Rock, Punk, Metal, Hip- Hop , Rap und was es sonst noch so gab und gibt, immer irgend­ei­ne Bewe­gung und fast alle haben zum Teil gemein­sa­me Wur­zeln. Will damit sagen, dass es immer auch eine Auf­leh­nung gegen eine bie­de­re Gesell­schaft, gegen die Eltern, gegen Unge­rech­tig­keit und kapi­ta­lis­ti­sche Zwän­ge waren und sind. Es wird ein ewi­ger Kampf um Gerech­tig­keit blei­ben. Was eini­gen genug ist, reicht ande­ren noch lan­ge nicht. Die, die da mit allen ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln, wie auch dem Grund­ge­setz, vor­an pre­schen, haben nicht bedacht, dass eine Gesell­schaft nur lang­sam lernt, und Neue­run­gen ihre Zeit brauchen.

Heu­te nun sind wir vom Popfe­mi­nis­mus umge­ben, der die aktu­el­le Gen­der­de­bat­te, wie sie gera­de abläuft, ins Rol­len brach­te. Geset­ze wur­den ver­ab­schie­det, die mehr­fa­che Namens­än­de­run­gen mit ver­än­der­ter Geschlechts­iden­ti­tät ermög­li­chen. Die­se Errun­gen­schaft hat ihre Wur­zeln in der Queer- Bewe­gung oder LGBTQ – Bewe­gung, die damit begann, dass schwu­le Män­ner und les­bi­sche Frau­en Rech­te ein­for­der­ten, die auch ande­ren zustan­den. Erst 1994 wur­de in der Bun­des­re­pu­blik der Para­graf 175 abge­schafft, der schwu­le Män­ner dis­kri­mi­nier­te. Bis zur heu­ti­gen Lebens­wei­se für Homo­se­xu­el­le in unse­rem Land war es ein har­ter Weg, der vor­wie­gend von Män­nern erkämpft wur­de. Das Mas­ku­li­ne zu erhal­ten, nicht nur sprach­lich, war lan­ge Zeit qua­si Gesetz. Sexua­li­tät unter Frau­en wur­de nicht wirk­lich ernst genom­men, stell­te für die Gesell­schaft also auch nie die glei­che "Gefahr" dar. Homo­se­xua­li­tät soll­te aller­dings nicht zur Nach­ah­mung verführen.

"Es waren vor allem les­bi­sche Frau­en, die immer häu­fi­ger dar­auf dräng­ten, Frau­en in der Spra­che sicht­ba­rer zu machen"

Mitt­ler­wei­le wur­den Regen­bo­gen­fa­mi­li­en erkämpft, die  gleich­ge­schlecht­li­che Ehe ist Rea­li­tät. Den­noch häu­fen sich Sin­gle-Dasein und Patch­work­fa­mi­li­en und immer mehr Identitätsfindungen.Immer noch ist jede Gesell­schafts­ord­nung an Nach­kom­men­schaft inter­es­siert, sei es zum Zweck als Sol­da­ten oder als Nach­wuchs zur wirt­schaft­li­chen und sozia­len Repro­duk­ti­on der Gesell­schaft. Frau­en hat­ten und haben dabei anch wie vor die "Arsch­kar­te". Mit Mut­ter­kreuz und Kin­der­geld las­sen sich Frau­en nicht eman­zi­pie­ren. Lei­der blei­ben die meis­ten Frau­en, auch als Müt­ter noch vor­wie­gend in ihrem alt­her­ge­brach­ten Rollenmustern.
Sprach­lich ver­schwan­den, ganz beson­ders in der DDR, Frau­en immer mehr hin­ter männ­li­chen Syn­ony­men, trotz ihrer Leis­tun­gen. Sie waren als Leh­rer, Erzie­her oder Inge­nieur tätig, brach­ten Kin­der, Haus­halt, Beruf und Stu­di­um unter einen Hut und kamen sich gleich­be­rech­tigt vor mit ihrer ver­meint­li­chen öko­no­mi­schen Unabhängigkeit.

Bei­spiel: Erst war ich Arbeits­grup­pen­lei­ter in einer Obst­bau­bri­ga­de, danach "FDJ Sekre­tär", dann brauch­ten sie mich im Gemü­se­an­bau. Ich habe 24 Mann in mei­ner Bri­ga­de, 23 davon Frauen.
(Inter­view mit einer Arbei­te­rin aus der DDR 1990)

So etwas zeigt mir, dass Spra­che sehr wohl eine Rol­le in der Eman­zi­pa­ti­on spielt. Es waren vor allem les­bi­sche Frau­en, die immer häu­fi­ger dar­auf dräng­ten, Frau­en in der Spra­che sicht­ba­rer zu machen, wie auch die Lin­gu­is­tin Lui­se F. Pusch.

Man kann schon sagen, dass die Frau­en­be­we­gung mit der Homo­se­xu­el­len­be­we­gung ein­her ging, in den USA und auch sonst in der Welt. Mit dem CSD (Chris­to­pher Street Day) wird all­jähr­lich an den stei­ni­gen Weg erin­nert, den vie­le für ihre Lie­be, Sexua­li­tät und Gleich­stel­lung gegan­gen sind. 1969 aus­ge­löst durch einen gewalt­tä­ti­gen Über­fall der Poli­zei auf Homo­se­xu­el­le und quee­re Min­der­hei­ten in der New Yor­ker Chris­to­pher Street. In die­sem Geden­ken gibt es all­jähr­lich den CSD, der inzwi­schen man­cher­orts zu einer Sauf- und Schul­par­ty mutier­te. Eine Regen­bo­gen­ma­nie ist gera­de­zu aus­ge­bro­chen und es ist chic queer oder divers zu sein. Nicht nur die gesell­schafts­po­li­ti­sche Situa­ti­on von Frau­en ist dadurch aus dem Fokus gerückt, sie sprach­lich sicht­ba­rer wer­den zu las­sen eben­falls. Immer­hin gibt es jetzt 72 Geschlechts­iden­ti­tä­ten, die alle Beach­tung fin­den möch­ten.  Ab 14, mit Ein­ver­ständ­nis der Eltern, kön­nen alle den Geschlechts­ein­trag ändern las­sen, ein­fach so, wofür ande­re zuvor jah­re­lang kämp­fen muss­ten. Das das nun seit 2024 in unse­rem Land gleich drei­mal mög­lich ist, das wird lus­tig!!! Ers­te Blü­ten wer­den schon sicht­bar. Die­se Ent­wick­lung hal­te ich für eine Über­sprungs­hand­lung, die der Gesell­schaft nicht gut tut.

Bei jeder Umge­stal­tung soll­ten alle mit­ge­nom­men wer­den. Da die Frau­engleich­stel­lung bis­her nicht gelang - ich muss dazu doch sicher kei­ne Bei­spie­le auf­zäh­len, kann ich mir nicht vor­stel­len, dass Glot­tis­schlag, Dop­pel­punkt, Schräg­strich, Unter­strich, Stern­chen, oder was auch immer die Frau­en­eman­zi­pa­ti­on vor­an­brin­gen. Das mit dem Knack­laut oder Glot­tis­schlag ist wohl die unver­schäm­tes­te Krö­nung. Selbst beim Spiegel:Ei. gibt es zwei Sub­stan­ti­ve. Als Frau muss ich mich schon mit dem Anhäng­sel an’s Mas­ku­li­num zufrie­den geben. Das ist schon Zuge­ständ­nis genug. Dann bit­te doch nicht noch gestot­tert. Lei­der hat die gan­ze Gen­der- Dis­kus­si­on zur Fol­ge, dass Kon­ser­va­ti­ve und Reak­tio­nä­re, die schon lan­ge in den Start­lö­chern ste­hen, auch das zum Vor­wand neh­men, um das Rad der Geschich­te zurück zu drehen.

Es wird spannend!

Moni­ka Heinrich

Kommentar verfassen