Kul­tur­spar­wahn

Um im Labor Bak­te­ri­en zu züch­ten, wel­che gewünscht sind, wird eine Kul­tur ange­setzt, die­se zu ver­meh­ren. Die­se Kul­tur bie­tet die Basis, die Grund­la­ge. Sie ist nicht Schmuck, über­flüs­si­ge Zier­de! Sie ist das, was wach­sen lässt und bin­det! Viel­leicht däm­mert den Poli­ti­kern bald, dass es sich mit der Gesell­schaft eben­so ver­hält! Kul­tur, also Wis­sen­schaft, Bil­dung, Kunst sind nicht schmü­cken­de Rudi­men­te son­dern grund­le­gen­der Nährboden.

In unse­rer Haupt­sa­che geht es dies­mal um Hin­ter­grün­de und Alter­na­ti­ven zum „Kul­tur­spar­wahn“.

Seit zwan­zig Jah­ren fin­det in Deutsch­land ein mas­si­ver Kul­tur­ab­bau statt. In der öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung dar­über wird vor­ge­spie­gelt, dass die Kul­tur rie­si­ge Sum­men am Anteil der Gesamt­haus­hal­te ver­schlingt. Dabei lie­gen sie bei­spiels­wei­se in Sach­sen-Anhalt inzwi­schen ledig­lich bei 1 Prozent.
Die Ver­fech­ter der neo­li­be­ra­len Denk­wei­se sehen die Finan­zie­rung öffent­li­cher Ein­rich­tun­gen nur noch als Hemm­nis für wirt­schaft­li­ches Wachstum.

Die Idee, dass der Reich­tum einer Gesell­schaft unter den Betei­lig­ten die­ses Sozi­al­we­sens gerecht ver­teilt wer­den könn­te, dass alle Güter und aller Reich­tum einer Gesell­schaft auch all ihren Mit­glie­dern in glei­cher Wei­se gehö­ren soll­ten, wird als „uto­pisch“ abge­tan und ver­höhnt. Dabei beinhal­tet eine Uto­pie die Visi­on von einer Gesell­schafts­ord­nung, die nicht an der­zeit herr­schen­de Rah­men­be­din­gun­gen gebun­den ist. Und die­se brau­chen wir ganz drin­gend im Ange­sicht der sich welt­weit zuspit­zen­den sozia­len Unter­schie­de, der öko­lo­gi­schen Kata­stro­phe und der Aus­wir­kun­gen der Computerisierung.

Die jüngs­te Wahl­be­tei­li­gung zeigt, dass eine gro­ße Anzahl von Mit­bür­ge­rin­nen ihre Inter­es­sen nicht durch das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem ver­tre­ten sieht. Was soll man wäh­len, wenn man sowie­so von öffent­li­cher Teil­ha­be aus­ge­schlos­sen scheint? Dabei hat jede/jeder die Chan­ce, sich in den gesell­schaft­li­chen Pro­zess ein­zu­brin­gen, heut­zu­ta­ge auch über das Inter­net. Wie das gelin­gen kann, möch­te unse­re Post-Rubrik ver­mit­teln. Sie wird in den nächs­ten Aus­ga­ben von der Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung mit ent­spre­chen­den Inhal­ten gefüllt.

Vom König, der geizte

Es war ein­mal ein König, der, um sei­nen Reich­tum zu meh­ren, fort­an in sei­nem Lan­de alles ver­bot, was die­sem nicht dien­te: die Poe­sie, die Gesän­ge, das Kunst­werk, jed­we­des Zart­ge­fühl – ver­bo­ten; die Schu­len lehr­ten nur noch, was der Taug­lich­keit eines flei­ßi­gen Unter­ta­nen dien­te – mehr nicht. Kunst und Wis­sen­schaf­ten – ver­bo­ten. Eini­ge Jah­re blüh­te das Land auf. Des Königs Reich­tum wuchs. Nach sie­ben fet­ten Jah­ren aber brach die Not aus: Die Unter­ta­nen waren trä­ge, müde, freud­los. Die Arbeit ging ihnen nicht von der Hand und sie begei­fer­ten sich mit häss­li­chen Worten.
Kurz: All der schö­ne Wohl­stand des König­rei­ches brach zusammen.

Da lud der König den benach­bar­ten König zu sich ein. Die­ser hat­te über die Jah­re nicht alles für sich selbst und die wirt­schaft­li­che Erhal­tung des König­rei­ches aus der Schatz­kam­mer genom­men und mehr in das gesteckt, was den Unter­ta­nen gefiel: Sie durf­ten auf Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten, sie durf­ten in Thea­ter und Muse­en - all die­se „unnüt­zen Din­ge“ waren ihnen gestattet.

Trotz­dem war in die­sem Lan­de grö­ße­rer Reich­tum als bei dem ers­ten König. „Nun“, grins­te der Nach­bar­kö­nig in das ent­setzt stau­nen­de Gesicht des ande­ren: „das Volk braucht Bil­dung, das Volk braucht die Kunst, wenn­gleich nicht JEDER JEDE Kunst. Das Volk braucht Amü­se­ment …“ „Es braucht … Frei­heit?“ „Es braucht das Gefühl, Frei­heit zu haben“, grins­te der Nach­bar­kö­nig noch brei­ter, „dann arbei­tet es bes­ser und mein Reich­tum ...“ Just in die­sem Moment kam ein Ent­de­ckungs­rei­sen­der des Weges, der von sehr weit her­ge­kom­men sein muss­te. Er sah nicht nur anders aus, son­dern eine gelas­se­ne Fröh­lich­keit, Ent­spannt­heit und arg­lo­se Neu­gier zier­ten sein Wesen. König und Nach­bar­kö­nig boten ihm einen Wein an und began­nen, ihn aus­zu­fra­gen. Der Frem­de berich­te­te schier Unglaub­li­ches: In dem Lan­de, aus wel­chem er kommt, gäbe es kei­ne Armut, allen, ALLEN gin­ge es gut. (Das Wort Unter­ta­nen war ihm unbekannt.)

Der König (dort hie­ße das so nicht, aber na ja) der „König“ wache dar­über, dass jedem im Rei­che Glück und Gesund­heit beschie­den. Jeder arbei­te­te was und wann er ger­ne täte. Jeder sorg­te dafür, dass es den ande­ren wohl erge­he. Gier, Hass, Angst und Neid waren Wor­te, die dort Kei­ner kann­te. Und das Ver­blüf­fends­te war, dass der Frem­de behaup­te­te, das gin­ge seit Jahr­hun­der­ten schon so und kei­ner sähe Grund, das zu ändern. Es ist ja genug für ALLE da, wenn alle für alle sor­gen. Nun woll­te er dies ger­ne auch den König­rei­chen hier mit­tei­len. Vol­ler Ent­set­zen tief hin­ter den gro­ßen Pupil­len starr­ten sich die bei­den Köni­ge an. Ohne ein Wort zu wech­seln, waren sie sich einig. Der Gast­ge­ber griff zu sei­nem gol­de­nen Zep­ter und schlug hin­ter­rücks den Fremd­ling tot. Sie begru­ben ihn im Hofe und bau­ten rasch ein Thea­ter dar­über – der König hat­te gelernt.

Über das gute Leben im fer­nen Land des Ent­de­ckungs­rei­sen­den jedoch hat nie wie­der Jemand gehört …

Da sitz ich nun ...

und möch­te einen Bei­trag zur desas­trö­sen Kul­tur­po­li­tik mei­nes Lan­des, mei­ner Stadt schrei­ben, aber aktu­el­le Mel­dun­gen über­schla­gen sich … Was vor zehn Minu­ten zu Papier gebracht, nicht mehr gül­tig; was ich jetzt notie­re, mor­gen über­holt. Ach. „Heu­te will Hal­les Ober­bür­ger­meis­ter die Insol­venz der TOO GmbH durch­set­zen.“ Schock­star­re … Tele­fo­na­te … Wut. Eine Stun­de spä­ter die Mel­dung, der Stadt­rat habe die Insol­venz abge­lehnt. Erleich­te­rung. Kurzzeitig.
Der Druck kommt „von oben“, vom Land.

Sie­ben Mil­lio­nen Euro sol­len ein­ge­spart wer­den in der Kulturförderung.

Sie­ben Mil­lio­nen – mir eine undenk­bar gro­ße Zahl, aber im Rah­men des Gesamt­haus­hal­tes Sach­sen-Anhalts sind dies gera­de mal 0,07 % !!! Das wie­der kann ich „den­ken“, das ist wenig, ein Klacks! Kann man den an ande­rer Stel­le bes­ser spa­ren, mehr sogar?

So ein Haus­halt umfasst mir Mensch­lein unüber­schau­ba­re Fel­der, Gel­der. Wel­che Infor­ma­tio­nen begeg­ne­ten mir bezüg­lich des Lan­des­haus­hal­tes? Da war doch was … Im August z.B. gab es die Mel­dung über die Inves­ti­ti­ons- und Betei­li­gungs­ge­sell­schaft (IBG) des Lan­des, wel­che EU-För­der­mit­tel „besorgt“ und an bedürf­ti­ge Fir­men wei­ter­gibt. Herr Möl­le­ring, unser Streich­mi­nis­ter, behaup­te­te, die Lan­des­ge­sell­schaft sei eine Erfolgsgeschichte.Begründungen dafür fand ich nicht.

Von 2008 bis 2012 wur­den 71 Mil­lio­nen Euro aus EU-Mit­teln in die IBG geholt, aber gleich­zei­tig muss­ten 69 Mil­lio­nen Euro Fehl­be­trag durch den Lan­des­haus­halt aus­ge­gli­chen wer­den! Ich run­de im Kopf auf 70 Millionen.
Hopp­la, dort but­tern wir also 70 Mil­lio­nen zu und für die Kul­tur sind 7 Mil­lio­nen nicht da!

Die Kir­che bekommt pro Jahr vom Land Sach­sen-Anhalt 28 Mil­lio­nen Euro. Staats­leis­tun­gen für Ent­eig­nun­gen, wel­che vor 200 Jah­ren statt­fan­den. (Wie hat­te die­se sich „ganz frü­her“ den Besitz ange­eig­net, drängt sich mir auf.) Die fünf Sze­na­ri­en auf 15 A4-Sei­ten, die Herr Sti­s­ka gezwun­gen wur­de zu ent­wer­fen, scha­den alle auf kur­ze oder län­ge­re Sicht: sowohl dem städ­ti­schen Haus­halt als auch dem kul­tu­rel­len Leben Hal­les (und somit auch Sach­sen Anhalt). In kei­ner der Vari­an­ten wäre ein Qua­li­täts­er­halt des Hän­del- Orches­ters gege­ben, Spar­ten ent­fie­len, die Thea­ter­land­schaft wür­de ver­dor­ren. Und dann, was wird spä­ter weg­ge­spart? Die Muse­en? Die Biblio­the­ken (deren Zahl schon geschrumpft wur­de!)? Die Universität?

Lasst uns auf­wa­chen und gemein­sam suchen: War­um geht es bergab?

Weil die Schul­den berg­auf gehen. Die sol­len gesenkt wer­den. Was zieht uns fes­ter in die Schul­den-Schlin­ge? Nicht allein die Haus­hal­tung ent­schei­det dar­über, son­dern das Sys­tem, in wel­chem wir alle ste­cken – du, ich, die Stadt, das Land. Viel­leicht soll­ten wir mal das Blut des Lebe­we­sens Gesell­schaft, in dem wir eine klei­ne Zel­le sind, unter­su­chen! Das Geld­sys­tem. Kein Sze­na­rio hilft, wenn wir nicht die eigent­li­che Krank­heit diagnostizieren.

Eigen­tum verpflichtet

Im 1886 eröff­ne­ten Stadt­thea­ter von Hal­le befin­det sich heu­te die Oper. Wie lan­ge noch wird dort ein fest ange­stell­tes, pro­fes­sio­nell aus­ge­bil­de­tes Ensem­ble hoch­wer­ti­ge künst­le­ri­sche Pro­duk­tio­nen dar­bie­ten kön­nen? Kurz nach der deut­schen Reichs­grün­dung 1870/71 in der soge­nann­ten Grün­der­zeit wur­de auch in der Saa­le­stadt all das der öffent­li­chen Hand über­tra­gen, was heu­te stark bedroht ist: Nah­ver­kehr, Schu­len, Uni­ver­si­tä­ten, Biblio­the­ken, Parks und Grün­an­la­gen und Kul­tur­ein­rich­tun­gen. Das Bür­ger­tum woll­te sei­ne Macht und sei­nen Ein­fluss in reprä­sen­ta­ti­ven und dem Gemein­wohl die­nen­den Ein­rich­tun­gen darstellen.

KSH
Foto: Strei­fin­ger 10/2013

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