Landschaftspflege mit Biss/ Fressen für die Artenvielfalt
Am Anfang war der Frust, der sich schon jahrelang angestaut hatte: Zahlreiche ursprünglich buntblütige Hänge und Hügel mit Mager- und Trockenrasen verloren Jahr für Jahr an Flächengröße und Qualität. Auf einigen Flächen breitete sich Jungwuchs von Robinie, Weißdorn, Wildrosenarten oder Esche aus, auf anderen vergrößerten Brombeere, Glatthafer oder Brennnessel erfolgreich ihre Wuchsflächen. Fast überall häufte sich eine mehr oder weniger dicke Schicht aus alten Pflanzenteilen an. Für die typische Trockenrasenvegetation blieb immer weniger Platz übrig. Und dabei waren diese Lebensräume Aushängeschilder des Naturschutzes, gerade im Großraum Halle oft mit bundesweit bedeutenden Vorkommen seltener Tier- und Pflanzenarten und obendrein meist innerhalb ausgewiesener Schutzgebiete. Doch ihr Schutzstatus nützt diesen Biotopen nicht ausreichend, wenn die grundlegende Voraussetzung für ihren Erhalt fehlt: die traditionelle Bewirtschaftung, sprich Beweidung. Auch die zigmal wiederholte Pflege per Hand (Entbuschung) war auf Dauer aussichtslos.
Vor diesem Hintergrund begann der BUND-Regionalverband gemeinsam mit der Hochschule Anhalt (Bernburg) und weiteren Partnern im Jahr 2006 ein Beweidungsprojekt zum Erhalt wertvoller Offenlandbiotope im Unteren Saaletal, später vor allem vom Landschaftspflegeverein Saaletal e.V. fortgeführt. Ziel des Projektes war und ist die Wiederherstellung und Pflege von artenreichen Trockenrasenstandorten. Innerhalb dieses Projektes wurden zur Beweidung vorrangig Ziegen eingesetzt, da diese bevorzugt Gehölze verbeißen und dadurch auch in schon stark mit Gehölzen zugewucherten Bereichen wieder offene Standorte für Magerrasen schaffen können. Dauerhafte fest installierte Weideflächen für die Ziegen wurden u.a. in der Franzigmark (Brachwitzer Alpen) und im Salzatal zwischen Köllme und Langenbogen eingerichtet. Weitere wichtige Weideflächen entstanden im Nelbener Grund bei Könnern, im ehemaligen Steinbruch gegenüber Rothenburg, am Saalehang nördlich Dobis und nordwestlich Friedeburg. Die Bewirtschaftung erfolgt neben dem genannten Landschafts pflegeverein teilweise auch durch regionale Landwirte.
Beim NABU Halle-Saalkreis e.V. entstand um 2008 die Idee, eine eigene mobile Schafherde zu halten!
Denn damit konnten auf einen Schlag gleich mehrere der mit der Pflege einhergehenden Probleme bewältigt werden: Die Magerrasen werden in etwa so gepflegt, wie sie durch die vorherige Jahrhunderte lange Bewirtschaftung entstanden und geprägt worden sind. Der Pflanzenaufwuchs, der andernfalls aufwändig zu entsorgen wäre, würde unmittelbar einer sinnvollen Verwendung zugeführt. Die zwischen den einzelnen Weideflächen wechselnden Schafe würden zielgerichtet Samen und Früchte und vielleicht auch einzelne Kleintiere transportieren, wodurch automatisch ein gewünschter genetischer Austausch zwischen den Artvorkommen stattfände.
Zwischen der fixen Idee und der Umsetzung standen noch ein Haufen nichttrivialer Probleme. Es mussten Schafe angeschafft werden, die notwendige technische Ausstattung und das Know-how für ihre Haltung natürlich auch, Arbeitsstellen mussten geschaffen werden für die Betreuer der Tiere und vieles mehr. Und nicht zuletzt musste das nötige „Kleingeld“ besorgt werden. Nachdem alle Vorbereitungen erledigt, und urplötzlich gleich zwei parallel laufende Projektanträge bewilligt waren, folgte der Sprung ins kalte Wasser: Für die Beteiligten gab es noch schnell einen Crashkurs in Sachen Schafhaltung, dann wurden 40 Schafe angekauft und am 11. September 2009 auf die erste Weidefläche im Dieskauer Park gebracht.
Die ersten Monate boten gleich das volle Programm an Herausforderungen: Ein Schaf verendete auf der Weide, drei weitere wurden gestohlen, ein Reh verfing sich im Elektrozaun, die Schafe brachen aus der Koppel aus und mussten kilometerweit verfolgt werden, und die Betreuer (und die Tiere!) mussten lernen, wie die Herde von der Koppel wieder in den Transporter verfrachtet werden konnte.
Durch die NABU-Schafherde werden Trockenrasen auf Porphyrhügeln in Halle und im Saalkreis sowie einige Streuobstwiesen beweidet. Ausgewählt wurden vorrangig kleinflächige und isolierte Weideflächen, welche für Haupterwerbsschäfer nicht rentabel zu bewirtschaften sind. Weideflächen befinden sich z.B. auf dem Brandberg und dem Dautzsch in der Stadt Halle, auf dem Spitzberg bei Landsberg, auf Porphyrkuppen bei Niemberg und am Petersberg. Trotz aller Startschwierigkeiten konnte das Projekt bis heute erfolgreich weitergeführt und sogar um einige Weideflächen erweitert werden: aktuell ist die Finanzierung noch bis September 2014 gesichert.
Inzwischen sind auch die Erfolge sichtbar. Die jetzt mehrjährig beweideten Flächen haben sich in ihrer Vegetation stabilisiert, die Gehölzanteile gehen zurück – letzteres ist ausdrücklich gewünscht. Geschützte oder gefährdete Arten dieser Lebensräume wie Zauneidechse oder Kleines Knabenkraut nehmen zu. Sehr erfreulich und als Erfolg zu verbuchen ist es, wenn positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung kommen. Das kann der ältere Mann sein, der sich freut, dass eine Fläche nach nunmehr Jahrzehnten wieder beweidet wird, eine freiwillige Feuerwehr, die bei der Wiedereinrichtung der zugewachsenen Streuobstwiese mit anpackt (so geschehen in Kütten) oder einfach Kinder, die sich über die Schafe in der Landschaft freuen.
Die geschilderten Projekte machen dennoch ein grundlegendes Problem bei der Landschaftspflege zum Erhalt der Artenvielfalt deutlich: Unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist die für den Erhalt wertvoller Offenlandbiotope notwendige angepasste Beweidung auf vielen Flächen betriebswirtschaftlich nicht rentabel. Die nachhaltige Nutzung/ Pflege solcher Flächen ist daher immer auf eine Projektförderung angewiesen. ABER: diese Pflege ist eine Daueraufgabe. Und Projektgelder gibt es nicht für Daueraufgaben, sondern nur für „Innovatives“ bzw. „Pilotprojekte“, also zeitlich begrenzt. Wie die Kulturlandschaftspflege dauerhaft auf feste Füße gestellt werden kann, bleibt daher offen. Dies gilt vermutlich auch für diese beiden mit enormem persönlichem Engagement betriebenen Projekte.
Jens Stolle, Sebastian Voigt
Titelfoto: Volker Schmidt/ Mitte: Die NABU-Schafherde beim Beweiden von Trockenrasen bei Niemberg (Saalkreis) Foto: Susanne Wilke