Es hätte ein wirksames Lebenszeichen der deutschen Friedensbewegung werden können. Denn mehr als 500 Organisationen und Friedensgruppen hatten bundesweit unter dem Motto „Nie wieder kriegstüchtig!“ zu gemeinsamen Protestkundgebungen in Berlin und Stuttgart aufgerufen. Gekommen waren nur wenige Zehntausende.
Breitestes Bündnis seit Golfkriegen
Ob das nun am kompletten Totschweigen in der Vorberichterstattung der "Leitmedien" lag, an den üblichen moralisierenden Distanzierungen oder an einer zunehmenden Resignation und Demo-Müdigkeit im Zusammenhang mit einem Langen Wochenende zu Beginn der Herbstferienzeit, mag dahingestellt bleiben. Fakt ist trotzdem: Ein solch breites Friedensbündnis hat es seit den Golfkriegen nicht mehr gegeben: Friedensorganisationen wie der deutsche Friedensrat, das Netzwerk Friedenskooperative oder IPPNW Deutschland, linke und pazifistische Parteien, christliche und gewerkschaftliche Verbände, darunter DGB und ver.di, aber auch Attac und Ärzte ohne Grenzen, feministische, internationalistische, antimilitaristische, anarchistische und antifaschistische Gruppen sowie zahlreiche weitere lokale Initiativen und Bündnisse beteiligten sich an dem >> Aufruf. Zu dessen Kernforderungen gehörten Hochrüstungsstopp und Dialogbereitschaft, ein Nein zur Wehrpflicht, Militarisierung und Kriegswirtschaft, ein Verzicht auf das Recht des Stärkeren und ein Festhalten an der UN-Charta, eine Kehrtwende der deutschen Nahostpolitik im Gaza-Krieg, ein Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag sowie Asyl für Kriegsverweigerer und -betroffene.

In der gegenwärtigen Phase der Konfrontation und Eskalation betraten Rednerinnen und Redner die Bühne, welche für die Rückkehr zu Verhandlungen und eine gemeinsame Sicherheitspolitik stark machen, darunter der SPD-Abgeordnete und ehemalige Innenminister von Schleswig-Holstein Ralf Stegner, die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, der BSW-Generalsekretär Christian Leye oder aus USA per Video der ehemalige UN Sonderbeauftragte Jeffrey Sachs.
Von geschürter Kriegsangst zur Vorkriegsstimmung
Margot Käßmann begann ihre Rede auf dem auf dem Stuttgarter Schlossplatz mit einem Zitat von Ingeborg Bachmann. Die Geschichte lehre "andauernd, doch sie findet keine Schüler“.
Kurz und knapp listete sie die verantwortungslosen Entgleisungen deutscher Spitzenpolitker auf: einen Regierungschef Merz, der mal eben verlautbart, dass Deutschland „nicht mehr im Frieden“ sei, einen Außenminister Wadephul, der eine ewige Feindschaft mir Russland beschwört, einen "Lieblingspolitiker" Pistorius, der zur Kriegsertüchtigung bläst und einen Hardliner Kiesewetter, der mit dem Ausrufen des NATO Spannungsfalls nach Artikel 4 die nächste Eskalationsstufe zünden will. So werde "Kriegsangst geschürt und Vorkriegsstimmung erzeugt", konstatierte die Theologin nüchtern und wirkungsvoll. Für die deutsche Friedensbewegung in der Tradition von Wolfgang Borchert aber müsse die Antwort „Nein“ sein, rief sie den 15.000 versammelten Menschen zu.
"Mehr Frankreich wagen"
BSW-Generalsekretär Christian Leye geißelte auf dem Berliner August-Bebel-Platz die unverholenen Profite der neuen Kriegsindustrie und verwies auf den Zusammenhang zwischen Krieg und der Klassenfrage. Denn es gehe bei Krieg niemals um "Wir gegen die" sondern um "Oben gegen unten", stellte der Ex-Landeschef der NRW-Linken unter Beifall fest. Das zeige eine simple Aufrechnung der gewaltigen Resssourcen, die nach dem Fünf-Prozent-Beschluss nun jährlich in den Kriegssektor fließen sollen. Fünf Prozent von 4,3 Billionen ( BIP 2024) - das seien 216 Milliarden Euro, was nahezu der Hälfte aller verfügbaren Steuereinnahmen entspreche. Mit dieser Summe könnte man nicht nur das deutsche Schienennetz und den gesamten ÖPNV auf Vordermann bringen, so Leye weiter, sondern auch noch viele Milliarden in Soziales und Bildung geben. Das Land könnte ein anderes, ein gerechteres werden, doch anstelle nehme man uns die Zukunft. Der offene Angriff auf den Sozialstaat sei die direkte Folge der Scholzschen "Zeitenwende" und Merzschen "Epochenbruchs". Die politischen Pläne dafür hätten in der Schublade gelegen und seien von SPD und Union im Bundestagswahlkampf verschwiegen worden. In Frankreich könne man gegenwärtig breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen diese Politik erleben. Das sei auch in Deutschland vonnöten, um einen "Herbst des Widerstandes" von unten anstatt eines "Herbstes der Reformen" von oben.
Resignation auch unter Aktivisten
Mit dabei vor Ort in Berlin war auch der parteilose Friedensaktivist Jan-Peter Kross (Name redaktionell geändert) aus Halle. Auf die Frage, warum es nur ein verhältnismäßig schwaches Echo auf den breiten Aufruf gab, antwortete er, dass sich die Kräfte bei mehreren Großdemos im September und Oktober wohl zerteilt hätten.
Weiterhin könne sich verständlicherweise auch ein Moment der Resignation breit gemacht haben. Auch ihn selbst beschleiche "trotz vieler guter und richtiger Worte der Redner" das Gefühl, dass mittlerweile zwei aufeinanderrasende Züge unaufhaltsam immer mehr Fahrt aufnehmen. Nach dem Gipfel in Alaska habe es "keinerlei Entgegenkommen von Putin gegenüber Trump" gegeben, nicht mal das geringste Zeichen. Aus Enttäuschung habe dieser nun eine Kehrtwende vollzogen, nachdem er einen echten Schritt auf Putin zugegangen war, ist sich Kross sicher. "Wo soll das alles hinführen?" fügt er nachdenklich hinzu. Die Antwort gibt die Geschichte.







