Die allwöchentlichen Festivititäten auf dem Marktplatz bestehen zumeist aus Ansammlungen von Händler- und Imbissbuden, ergänzt durch Fahrgeschäfte und Bühnen-Entertainment. Am letzten Aprilwochenende war das anders. Unzählige freiwillige Aktive ermöglichten die „Fashion-Revolution“ als kleines Festival der Nachhaltigkeit.
Neben dem geschlossenen Galeria-Kaufhaus ein Bauzaun, dahinter Tische und Kleiderständer. Menschen bringen Schätze aus ihren privaten Schränken und geben sie ab. Dafür können sie sich aus tausenden ausliegenden Kleidungsstücken bedienen. Kaum jemand, der hier nicht fündig wird.
Von Kleidertausch bis Pupp' 'n Roll
Drum herum auf dem Platz wird genäht, gestickt, gestopft und gezuppelt. Neugierige Rentnerpaare bleiben stehen, fühlen sich angesprochen. Man kann aber auch Nähmaschinen zur Reperatur bringen oder eine nachhaltige Haushaltsauflösung anmelden. Neben dem Händeldenkmal wölben sich zwei Kuppelzelte empor – bestehend aus verblüffend simplen modularen Holzelementen und überdacht mit bunten Klamotten aus der Wegwerfbox. Im Innern laufen Videos, Kurse und eine Zukunftswerkstatt: Die anonymen Shopaholics treffen sich zum reflektieren ihres Kaufverhalten, Upcycling-Künstlerinnen verraten ihre Tricks und eine Puppenspielerin näht mit ihren Gästen aus Textilabfällen neue Hauptdarsteller. Wenig später sind solche Upcycling-Puppen als hinreißende Hauptdarsteller in einem musikalischen Stück auf der Hauptbühne zu erleben – Pupp' 'n Roll!
Optimistischer Subtext im Politischen
Über allem schwebt eine deutliche Botschaft: Kleidung ist politisch. Was ich kaufe, von wem auf welche Weise produziert und wie gehandelt, das hat Auswirkungen auf unsere Welt und die Gesellschaft. Doch man sieht weit und breit keine gestrengen asketischen Priesterinnen im ärmlichen Moralkostüm. Im Gegenteil: Das Ganze ist eine riesige Party, ein Fest – organisiert und ermöglicht durch viele Freiwillige.
Und selbst im Talkformat bleibt die Botschaft dieses Tages erfrischend optimistisch: Aktivistin Luisa Wonneberger nennt beeindruckende Zahlen: Ein Fünftel aller Deutschen würde Textilien durch gegenseitigen Tausch statt Kauf erwerben wollen. Wenn diese Menschen auch nur 25 Prozent ihrer Kleidung nicht länger neu kaufen würde, könnte man mit dem auf diese Weise eingesparten Wasser die halbe Weltbevölkerung ein Jahr lang mit Wasser versorgen.
Leihen und Tauschen statt Binch-Shopping
Wer keine neuen Klamotten aus Chemiefasern erwirbt und wegwirft, spare zu dem ungemein viele fossile Ressourcen. Denn die im 20. Jahrhundert erfundenen und heute so omnipräsenten Fasern wie Nylon oder Polyacryl werden aus Erdöl hergestellt. Unsere Waschmaschinen produzieren deshalb jeden Tag tonnenweise Mikroplastik, das nicht mehr aus dem Wasserkreislauf entfernt werden kann.
Tauschen, leihen und Wiederverwerten hilft also gewaltig, den Planeten zu erhalten, und es sei an der Zeit, dass die Textilwirtschaft sich umstellt. Die großen Textilketten mit ihren vielen Filialen hätten dazu die besten Voraussetzungen und könnten den Kunden Rücknahme und Wiederverwertung getragener Produkte anbieten und einpreisen. Im Kleinformat als so genannte „Kleiderei“ existierten solche Konzepte schon in vielen Metropolen und könnten längst auch wirtschaftlich arbeiten. Wir seien hier gerade am Wendepunkt, sagt Lusia Wonneberger.
Dass die Fashion Revolution in diesem Jahr nicht mehr als kleinteilige Veranstaltungswoche, sondern als zentrales publikumswirksames Event stattfand, hat das Thema zentral aufs Tableau gehoben. Die Macherinnen von „Losmachen.org“ haben Maßstäbe gesetzt.