Nach uns die Wüs­te? Ein Plä­doy­er für mehr gemein­sa­me Boden-Haftung

Das Jahr 2015 wur­de von der UN zum "Jahr des Bodens" aus­ge­ru­fen. Dies lässt auf eine neue poli­ti­sche Agen­da hof­fen: Bis­her wur­de im Kampf gegen Kli­ma­wan­del und Umwelt­zer­stö­rung meist auf Reduk­ti­on des CO2-Aus­sto­ßes gesetzt und nach­wach­sen­de Ener­gie­trä­ger erforscht. Es lohnt sich jedoch, den Blick auf die Bedeu­tung der Humus­sphä­re im Lebens­netz unse­res Pla­ne­ten zu richten. 

Die in Jahr­tau­sen­den bis Jahr­mil­lio­nen ent­stan­de­ne Humus­schicht ist die Grund­la­ge des Über­le­bens auf der Erde, letzt­end­lich wach­sen alle unse­re Lebens­mit­tel dar­in. Sie fil­tert und spei­chert pro Kubik­me­ter bis zu 200 Liter Was­ser und drei mal mehr Koh­len­di­oxid als die gesam­te leben­de Bio­mas­se. In einer Hand­voll Erde leben mehr Orga­nis­men als Men­schen auf der Erde.

Die Boden­le­be­we­sen stel­len eine Art pla­ne­ta­ri­sches Ver­dau­ungs­sys­tem dar. Der gesam­te Stoff­wech­sel der Bio­sphä­re wird durch sie betrie­ben und die Ver­sor­gung von Pflan­zen mit Nähr­stof­fen ermög­licht, ähn­lich wie die Mikro­or­ga­nis­men in unse­rem Ver­dau­ungs­sys­tem. Trotz die­ser beein­dru-cken­den Fak­ten behan­deln wir unse­re Lebens­grund­la­ge nach­läs­sig: Wir tram­peln unbe­darft dar­auf her­um, ver­dich­ten durch schwe­re Maschi­nen, ver­gif­ten durch Dün­ger und Pes­ti­zi­de, för­dern Ero­si­on durch häu­fi­ges Pflü­gen und ver­sie­geln jedes Jahr rie­si­ge Flä­chen. Wir nut­zen die Böden also, als wären sie uner­schöpf­lich. So gehen uns welt­weit jedes Jahr 24 Mrd. Ton­nen frucht­ba­re Erde ver­lo­ren, und das nicht nur „anders­wo“: Die Wüs­ten­bil­dung schrei­tet auch bei uns in Euro­pa voran.

Die öko­lo­gi­schen Fol­gen indus­tri­el­ler Land­wirt­schaft und der enor­me Bedarf an fos­si­ler Ener­gie wer­den in ihrer Trag­wei­te immer wei­ter bekannt und zwin­gen zum Umden­ken. Denn je inten­si­ver die land­wirt­schaft­li­che Nut­zung, des­to schnel­ler schrei­tet auch der Humus­ver­lust vor­an. Die Nach­fra­ge nach Agrar­flä­che für Fut­ter­mit­tel, Agrar­treib­stof­fe und ande­re Bio­mas­se wächst ste­tig und ist in den USA und in der EU längst nicht mehr im eige­nen Land zu stil­len. Damit ein­her geht also auch ein glo­ba­ler Ver­tei­lungs­kampf um Land, der auf dem Rücken von über 500 Mio. ein­hei­mi­schen Klein­bau­ern und indi­ge­nen Bevöl­ke­rungs­grup­pen aus­ge­tra­gen wird.

Neu­er Umgang mit der Res­sour­ce Boden

Die Agrar­in­dus­trie hat ein bis­her nicht gekann­tes Wachs­tum der Mensch­heit ermög­licht. Heu­te aber ist unklar, wie aktu­ell 7,3 Mrd. Men­schen wei­ter­hin ernährt wer­den kön­nen. Der Kli­ma­wan­del wird als zen­tra­le Her­aus­for­de­rung der Mensch­heit gese­hen, und es stellt sich die Fra­ge, ob hier bio­lo­gi­sche Ener­gie­trä­ger und Umwelt­tech­no­lo­gie allein Abhil­fe schaf­fen kön­nen. Ich plä­die­re hier für ein neu­es Para­dig­ma im Umgang mit Böden und Was­ser und möch­te dafür eini­ge aktu­el­le Bei­spie­le und Kon­zep­te als prak­ti­schen Aus­weg anführen.

Öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft för­dert Boden­le­ben, Arten­viel­falt und natür­li­che Kreis­läu­fe. Ein gesun­der Boden mit rei­cher Vege­ta­ti­on hilft gegen extre­me Kli­ma­ef­fek­te wie Über­schwem­mung, Dür­re und Erd­er­wär­mung und spei­chert Koh­len­di­oxid aus der Atmo­sphä­re. Nach den Metho­den der Per­ma­kul­tur kön­nen dau­er­haf­te und pfle­ge­leich­te Kul­tur­land­schaf­ten aus ess­ba­ren Pflan­zen z.B. in Form eines Wald­gar­tens geschaf­fen wer­den. Obwohl bis­her flä­chen­mä­ßig unbe­deu­tend, wer­den hier glei­che und höhe­re Erträ­ge als beim kon­ven­tio­nel­len Anbau erreicht – bei sehr gerin­gem Ver­brauch von fos­si­ler Ener­gie. Spe­zi­ell durch Anwen­dung von Was­ser-Reten­ti­ons­tech­ni­ken (z. B.: Ter­ras­sie­rung, Ver­si­cke­rung von Regen­was­ser, Gra­ben­sys­te­me und pflanz­li­che Boden­be­de­ckung) kann Ero­si­on gestoppt und kon­ti­nen­ta­le Was­ser­kreis­läu­fe kön­nen wie­der in Gang gesetzt wer­den. So kön­nen auch stark zer­stör­te Land­schaf­ten wie­der rege­ne­riert wer­den, wie z. B. die Pro­jek­te von John D. Liu in Chi­na zei­gen. Die gro­ßen, unfrucht­ba­ren Tro­cken­ge­bie­te der Erde könn­ten durch nach­hal­ti­ge For­men mobi­ler Tier­hal­tung pro­duk­tiv für Mensch und Kli­ma genutzt wer­den. In den Mägen von Wie­der­käu­ern wird das sonst nicht ver­wert­ba­re Heu und Gestrüpp zu nähr­stoff­rei­chem Dün­ger umge­wan­delt, wäh­rend ihre Hufe ver­krus­te­ten Boden aufbrechen.

Gebot der Stun­de: Mehr Ver­ant­wor­tung übernehmen

Letzt­end­lich muss aber auch jeder bei sich selbst anfan­gen, anstatt sich zu beschwe­ren, dass Alter­na­ti­ven nicht umge­setzt wer­den. Das heißt kon­kret durch bewuss­te­ren Kon­sum mehr Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men für die eige­nen Bedürf­nis­se und deren Fol­gen: So sai­so­nal und regio­nal wie mög­lich ein­kau­fen, Orga­ni­sa­ti­on in Ver­brau­cher­ge­mein­schaf­ten, weni­ger Fleisch und Milch­pro­duk­te usw. Alles selbst Pro­du­zier­te oder Gesam­mel­te muss nicht ange­baut, geern­tet, trans­por­tiert, gela­gert sowie gekühlt wer­den. Das kann in Form eines eige­nen Gar­tens, Gemein­schafts­gär­ten oder als klei­ne Per­ma­kul­tur auf Bal­kon und Fens­ter­bank begin­nen. Spa­zier­gän­ge und Aus­flü­ge las­sen sich wun­der­bar mit dem Sam­meln von hei­mi­schen Wild­kräu­tern und Obst kom­bi­nie­ren. Wer immer noch meint, so kön­ne kein ent­schei­den­der Bei­trag zur Ernäh­rung geleis­tet wer­den, soll­te sich vor Augen füh­ren, dass rus­si­sche Klein­gärt­ner mehr als zwei Drit­tel ihrer Lebens­mit­tel selbst anbau­en. Das fol­gen­de Argu­ment kann man schließ­lich nur durch eige­ne Erfah­rung prü­fen: Der Unter­schied in Geschmack und Wir­kung von frisch gepflück­ten oder selbst gezo­ge­nen Früch­ten, Bee­ren, Gemü­sen und Kräu­tern im Gegen­satz zu gekauf­ter Ware.

Aktivist_innen der SoLaWi-Initiative GartenWerkStadt Halle e. V. bei der Bodenvorbereitung

Aktivist_innen der SoLa­Wi-Initia­ti­ve Gar­ten­Werk­Stadt Hal­le e. V. bei der Bodenvorbereitung

Schre­ber adé: Neu­es Gärt­nern in Halle

Das Gärt­nern macht für mich eine Grund­di­men­si­on mensch­li­cher Erfah­rung aus – die Freu­de am Gestal­ten und Schöp­fen sowie dem gemein­sa­men Betrach­ten des Geschaf­fe­nen. Dies zeigt sich auch in vie­len neu­en For­men städ­ti­schen Gärt­nerns, die mehr und mehr auch in Hal­le Ein­zug hal­ten. Alle Inter­es­sier­ten und Moti­vier­ten sei­en nun auf fol­gen­de neue und bestehen­de Pro­jek­te ver­wie­sen: Der Ver­ein Gar­ten­Werk­Stadt Hal­le e. V. initi­iert gera­de eine Soli­da­ri­sche Land­wirt­schaft zur öko­lo­gi­schen Selbst­ver­sor­gung der Mit­glie­der. In Hal­le Neu­stadt soll ein inter­kul­tu­rel­ler Gemein­schafts­gar­ten mit Kin­der­be­reich ent­ste­hen, um den Leer­stand dort krea­tiv und gemein­schafts­bil­dend zu nut­zen. Immer mehr Leu­te orga­ni­sie­ren ihre Lebens­mit­tel­ver­sor­gung selbst in bis­lang drei Ver­brau­cher­ge­mein­schaf­ten („Rüb­chen“, „Cha­lott­chen“ und „Radies­chen“) sowie im über­re­gio­na­len Ver­brau­cher­netz­werk „Stern­gar­ten­o­dys­see“ mit Abhol­stel­len in Halle.

Ein not­wen­di­ger Bewusst­seins­wan­del deu­tet sich an, der jetzt pro­duk­tiv für eine zukunfts­fä­hi­ge Stadt- und Gesell­schafts­ent­wick­lung genutzt wer­den kann.

Maik Wut­tig

 Mitmachen:
- Gar­ten­Werk­Stadt Hal­le e. V. (auf Face­book / per Mail:  gartenwerkstadt_halle@posteo.de)
In der Druck­aus­ga­be des Hef­tes Som­mer 2015 ist die E-Mail-Adres­se lei­der falsch abge­bil­det. Die kor­rek­te Adres­se ist die oben genannte.
- Stermgar­ten­o­dys­see
- Radieschen.halle@web.de

Anre­gun­gen:
- Boden­at­las 2015: www.boell.de/bodenatlas
- Her­weg Pome­re­sche: Humussphäre
- Michal Krav­cik: Water for the Reco­very of the Climate
- Wla­di­mir Meg­re: Ana­sta­sia (Bd. 1-10)
- John D. Liu : Vide­os auf Youtube








 

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