Oster­mär­sche als Viel-Wege-Alli­anz auf Zeit - Ein Nachtrag

Peter Kube ist Pfar­rer im Ruhe­stand und nahm als Frie­dens­be­auf­trag­ter des Kir­chen­krei­ses Hal­le-Saal­kreis am dies­jäh­ri­gen Oster­marsch teil, an wel­chem sich zwi­schen­zeit­lich bis zu 420 Men­schen betei­lig­ten. In einem öffent­li­chen Nach­trag fasst er sei­ne Hal­tung und sei­ne Gedan­ken zu den Oster­pro­tes­ten der Frie­dens­be­we­gung zusammen. 

"Die Wahr­heit ist, dass seit Jah­ren nie­mand mehr weiß, was er den­ken soll" (Juli Zeh in "Lee­re Herzen")

"Die Feig­heit fragt: Ist es sicher?
Die Erfah­rung fragt: Scheint es poli­tisch sinnvoll?
Die Eitel­keit fragt: Ist es beliebt?
Das Gewis­sen muss fra­gen: Dient es der Gerech­tig­keit? Und hier kommt die Situa­ti­on, wo wir Stel­lung bezie­hen müs­sen und han­deln, obwohl unser Han­deln nicht sicher, poli­tisch sinn­voll scheint oder popu­lär ist, ein­fach weil es der Gerech­tig­keit dient."

(Mar­tin Luther King - Für den 20.4. in mei­nem Friedenskalender)

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1
Es gibt Demons­tra­tio­nen und Bekun­dun­gen, da bin ich nur mit vie­lem, nicht mit allem ein­ver­stan­den, was pla­ka­tiert und skan­diert, gespro­chen oder gesun­gen wird. Das war auch am ver­gan­ge­nen Oster­sonn­tag so.
Da muss ich über­le­gen, war­um auch ich mit genau die­sen so unter­schied­li­chen, sogar deut­lich Anders­den­ken­den unter­wegs bin. Uns ver­bin­det etwas, das Tren­nen­des über­brückt und zugleich nicht nivel­liert, son­dern auf ein wesent­li­ches, ein wert­vol­les Gut hin aus­hal­ten will: Frie­den. Da muss mir klar sein, dass nicht jede For­de­rung den Dia­log för­dert und nicht jede Ansa­ge ihre kla­re Par­tei­nah­me zurück­hält "um des lie­ben Frie­dens willen".
Es war und ist im Rück­blick kei­ne diplo­ma­ti­sche Kuschel­ver­an­stal­tung. Es ist die manch­mal unter Trä­nen, manch­mal mit Wut und Zorn, manch­mal pro­gram­ma­tisch vor­ge­brach­te Hal­tung zur Bedro­hung. Die­se Haltung(en) wird den Fak­ten nicht voll­kom­men und wohl nie umfas­send gerecht. Sie for­dert die macht­po­li­tisch Ver­ant­wort­li­chen zur Abrüs­tung in Wort und Tat, im Den­ken und den Ver­zicht auf eige­ne Vorteile.

2
Der Oster­marsch lebt davon, dass aus bedroh­lich wahr­ge­nom­me­nen Ent­wick­lun­gen im Land und geo­po­li­ti­schen Wech­sel­wir­kun­gen die Sehn­sucht nach fried­li­chem Zusam­men­le­ben eine Gemein­schaft sucht.
Ostern (christ­lich ver­stan­den) lebt auch dadurch wei­ter, dass wir mit dem Auf­stand gegen töd­li­che Bedro­hun­gen und Ver­stri­ckun­gen die Auf­er­ste­hungs­bot­schaft über­set­zen. Reli­gi­on kein Opi­at, son­dern trös­tend, all­tags­taug­lich und visio­när zugleich. So ist es der lebens­be­ja­hen­de Auf­stand der mit­füh­len­den und mit­den­ken­den Men­schen. Im "Ja und Amen" ver­har­ren? Nein - um Got­tes Wil­len. Ja aber - was folgt daraus?
Oster­mar­schie­ren­de wol­len, sie müs­sen aus die­sem Ansatz (war­um sonst ums Oster­fest her­um?) den poli­ti­schen Sack­gas­sen ver­korks­ter Diplo­ma­tie samt Inter­es­sen­ver­schleie­rung und den waf­fen­star­ren­den Bedro­hun­gen samt Kriegs­ge­winn­ler­tum etwas ent­ge­gen­hal­ten. Sie, das sind auch wir gewe­sen und blei­ben die, die sich auf den Weg mach­ten. Die, die ein­ge­la­den haben, wol­len den Frie­den als ein hohes Gut und Fun­da­ment des Zusam­men­le­bens aus dem Bewusst­sein in die öffent­li­che Wahr­neh­mung rücken. Auch über­setz­te Ohn­machts­ge­füh­le in die Stadt­ge­sell­schaft tra­gen gehört dazu. Die Sehn­sucht nach ein­fach umsetz­bar erschei­nen­den ("Frie­den schaf­fen ohne Waf­fen") und ehr­lich erhoff­ten Los-Lösun­gen aus in-direk­ten Kriegs­ver­stri­ckun­gen wird zumu­tend ein­ge­for­dert. Nicht bes­ser­wis­se­risch, aber bes­ser aus­ge­spro­chen als run­ter­ge­schluckt, bes­ser auf­ge­mal­ter Slo­gan als weder spre­chen noch sin­gen noch diskutieren.

3
Ein Freund sag­te mir am Tele­fon, es sei doch wohl zu wenig an soli­da­ri­schen Wor­ten Rich­tung Ukrai­ne gesagt wor­den. Die sich ver­tei­di­gen, sie haben das Recht auf ihrer Sei­te. Wo, wann und wodurch beginnt Angriff? Wird vor dem hei­ßen Krieg nicht ideo­lo­gisch auf­ge­rüs­tet, stra­te­gisch fehl­ge­lei­tet und medi­al vereinseitigt?
Ein ande­rer sag­te mir, wir kön­nen nicht mit­ge­hen, weil es zu vie­le Put­in­ver­ste­her dort gebe. Und die­se wür­den in wohl ehr­li­cher Frie­dens­sor­ge eher einem post­so­wje­ti­schen lmpe­ri­ums- und Sicher­heits­den­ken einen appease­ment-Cha­rak­ter verleihen.
Bis­her ist es Kon­sens: Der Ein­marsch in der Ukrai­ne war und ist nicht zu recht­fer­ti­gen als wäre es ein alter­na­tiv­lo­ses Kriegshandeln.
Seit ich so vie­le mir herz­lich nahe Men­schen aus der Ukrai­ne ken­ne, kann ich ihre rei­ßen­de Sehn­sucht nach Hei­mat mit allen dort leben­den Men­schen nur ach­ten und ver­ste­hen. Hilft das? Seit ich Men­schen ken­ne, die Russ­land als Kind­heit und spä­ter als Erwach­se­ne in ihrer Bio­gra­phie wahr- und mit­ge­nom­men haben, höre ich so unter­schied­lich inten­si­ve Sor­gen um die Zukunft - aber die Ableh­nung des Krie­ges als Mit­tel. Immer wie­der mit einem "wenn doch end­lich..." ver­bun­den. Hilft das?

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Was ist mit Völ­ker­recht? Was mit den Grenz­ga­ran­tien für die Ukrai­ne? Was mit Selbst­ver­tei­di­gungs­rech­ten Ange­grif­fe­ner? Wer beschreibt die Ursa­chen und Aus-Wir­kun­gen rich­tig, zeit­ge­schicht­lich ein­ord­nend und ana­ly­tisch sauber?
Wen inter­es­siert das ange­sichts der Angst um eige­ne Enkel?
Und was ist mit Gaza und was ist mit dem aus unse­rer Per­spek­ti­ve Nahen Osten und was ist mit Sudan, Kon­go und was ist mit Kasch­mir und was ist mit Mol­da­wi­en, Geor­gi­en und was ist mit den je nach Kri­te­ri­en 20 bis über 50 Krie­gen und kriegs­ähn­li­chen Konflikten?
Und spricht etwas dage­gen, die Bezie­hung zu (all) den Kon­flik­ten mit erfah­rungs­ge­stütz­ter Ver­ant­wor­tung in Deutsch­land zu bespre­chen? In einer glo­ba­li­sier­ten Bedro­hungs­la­ge ist weder mit einem trumpeln­den MAGA-ähn­li­chen Geschäfts- sor­ry: Frie­dens­sinn noch mit einem "sol­len se ihre Schei­ße selbst aus­löf­feln" - Den­ken gehol­fen. Grö­ßen- und Rück­zugs­wahn steu­ern bei­de in alter­na­tiv­lo­se Aus­weg­lo­sig­keit und Resi­gna­ti­on. Kein befes­tig­tes und teils wie­der ein­ge­mau­er­tes Deutsch­land, kei­ne Fes­tung Euro­pa kann soli­tär Frie­den für sich bean­spru­chen. Aber schon da sind wir unter­schied­li­cher Meinung.

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Wer die "Nar­ren und Idio­ten" in der Frie­dens­de­bat­te sind, das bestim­men nicht die selbst­zu­frie­de­nen Zuschau­er, die Anti-Anti...Festhalter (n)ostalgischer Sys­te­me, die "die-wer'ns-nie-begreifen" Ab- und Einsch(w)ätzer. Es bestim­men schon gar nicht die Bedro­hungs­her­bei­red­ner, wenn es um Kriegs­di­vi­den­de geht.
Als Nar­ren und Idio­ten wer­den oft die bezeich­net, wel­che den kon­se­quent in ver­trau­li­cher und/oder offen und ehr­li­cher Frie­dens­di­plo­ma­tie und basis­de­mo­kra­ti­schen Struk­tu­ren Arbei­ten­den den Rücken stär­ken. Die also, die macht­po­li­ti­sche Kal­kü­le und Ter­ror­ori­en­tier­te aus der Per­spek­ti­ve der Opfer ent­lar­ven und ihre Aus­weg­lo­sig­keit anzeigen.
Dre­he ich doch den (groß­ar­ti­gen) Wen­zel­text um, indem ich öster­lich das Bibli­sche "...denn wir sind Nar­ren um Chris­ti wil­len" auf den kon­se­quent frie­dens­stif­ten­den Mit­men­schen (Bru­der Jesus) bezie­he. Dann ste­he ich an der Sei­te der "Com­ba­tants for peace", der "Beit Ha'Gefen" work­shops, der Platt­form "Dooz", um nur ein­mal den Bereich des Krie­ges im gro­ßen Umland Jeru­sa­lems zu benen­nen. Frie­den als Ziel, Ver­söh­nung in Akzep­tanz und Lebens­chan­cen in gleich­be­rech­tig­ter Nach­bar­schaft. Auch das wird unter­schied­lich inter­pre­tiert. Ich idea­li­sie­re nicht, son­dern suche mit Men­schen ande­rer Reli­gio­nen die heu­te gül­ti­ge Essenz für ein gemein­sa­mes Wir­ken. Und ich weiß, es gibt für gegen­tei­li­gen Aus­sa­gen zu vie­le Zita­te aus hei­li­gen Schrif­ten, die kon­text­los ver­wen­det und über­tra­gen wer­den. Poli­ti­sier­te fun­da­men­ta­lis­ti­sche Reli­gi­on ver­lässt die Zie­le ihrer Stif­ter. Zu oft bedient sie einen ver­bräm­ten Egoismus.

6
Immer wie­der traf mich auch des­halb wäh­rend des Oster­mar­sches der Gedan­ke, dass wir zu wenig Brü­cken bau­en. Unse­re Frie­dens­for­de­rung hat zu oft etwas fast "Vor­mund­schaft­li­ches". Wir wis­sen, was nötig ist, manch­mal bes­ser als die Betrof­fe­nen und immer bes­ser als die poli­tisch Verantwortlichen.
Hät­te ich doch deut­lich durchs Mikro­phon gesagt, dass wir die Men­schen und Grup­pen, die dort in den Kri­sen- und Kriegs­ge­bie­ten für waf­fen­freie Kon­flikt­lö­sun­gen oft ihr Leben ein­set­zen, die dem "Feind" das Mensch­sein nicht abspre­chen, die Rechts­ge­fü­ge zur Kon­flikt­lö­sung nut­zen wol­len, die sich kei­ner Kriegs­rhe­to­rik im All­tag, in der Erzie­hung, Bil­dung und Kul­tur bedie­nen - all denen soll­ten wir mit Wor­ten und prak­tisch mög­li­chen Schrit­ten die Hand reichen.

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Hier in Deutsch­land sind es die Foren für Frie­dens­fä­hig­keit und Kon­flikt­be­ar­bei­tung, in denen Hass­re­den und Pau­schal­ab­wer­tun­gen als Pro­blem gese­hen und so gehört, bear­bei­tet, aus­ge­spro­chen, aber nie für gül­tig und ziel­füh­rend erklärt wer­den. När­risch in die­sem Sin­ne sind Geduld und Spür­sinn für Ansät­ze des zum Ver­trau­en füh­ren­den Zuhö­rens. Frust muss raus und den­noch führt er allein in ein Aus­ein­an­der­bre­chen des Mitmenschlichen.
Auch in Hal­le han­deln Men­schen so, wer­den sol­che For­ma­te ent­wi­ckelt und ange­bo­ten, sehen sich als "Frie­dens­stif­ten­de" im Regio­na­len und in geo­po­li­ti­schen Zusam­men­hän­gen. Der "Frie­dens­kreis", die "Frie­dens­werk­statt", die Gesprächs­krei­se und work­shops, die (end­lich) ent­wi­ckel­ten Ange­bo­te für gesell­schaft­li­che Dis­kur­se für Auf­ar­bei­tung und Zukunfts­trag­fä­hig­keit ... Das läuft nicht auto­ma­tisch gut und irr­tums­frei. Das kos­tet Zeit, Mut-Wil­len und Empathiefähigkeit.

8
Oster­marsch ist ein Bei­spiel. Nicht Gleich­schritt, son­dern Viel-Wege-Alli­anz auf Zeit. Ein Moment für Wahr­neh­mung und Inne­hal­ten, für Hören und Ver­ste­hen­wol­len. Eine Pha­se im Frie­dens­weg, die Jahr­zehn­te aus­dau­ernd for­dernd sagt: Ohne Gerech­tig­keit und ohne Über­win­dung des Macht- und Aneig­nungs­ego­is­mus als Basis eines gerech­ten Frie­dens wird es nicht gehen. Ja - und mit Teil­schrit­ten, die Schmer­zen nicht ver­mei­den las­sen. Para­dies ist Uto­pie im Wortsinn.
Doch mit Kon­zen­tra­ti­on auf die Schein­si­cher­heit res­sour­cen­schlu­cken­der Waf­fen­tech­nik, aus­ge­klü­gel­ten Ver­nich­tungs­sys­te­men und per­fek­tio­nier­ten Abschre­ckungs­sys­te­men wer­den die Quel­len (source) fried­li­chen Zusam­men­le­bens aus­ge­trock­net. Und mit immer neu gerahm­ten Fein­bil­dern wer­den wir den Enkeln kei­ne lebens­wer­te Erde hin­ter­las­sen. Sie muss für die nächs­ten paar hun­dert­tau­send Jah­re statt in glo­ba­ler Abhän­gig­keit in glo­ba­lem Zusam­men­hang wech­sel­sei­ti­ger Lebens­er­mög­li­chung ent­wi­ckelt und hin­ter­las­sen werden.

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"Pro­tes­te.
Auch wenn sie in der Sache wir­kungs­los geblie­ben sind. Sie sind in den Gesamt­haus­halt unse­rer Gesell­schaft ein­ge­gan­gen. Sie haben unse­re Hir­ne wacher und unse­re Herzen
wär­mer gemacht." (Rosa Luxemburg)

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Peter Kube
Pfar­rer i.R.
Beauf­trag­ter für Friedensfragen
Kir­chen­kreis Halle-Saalkreis.1

 

 

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