Ein Ralf hat angerufen. Er möchte jemanden von "Attac" in seiner Radiosendung haben. Als dieser Ralf dann eine Woche später die Anmoderation zu seiner monatlich ausgestrahlten Life-Sendung ins Mikro spricht, weiß ich auf einmal Bescheid. IC Falkenberg. Einst Sänger von „Stern Meissen“. Dann tolle Solo-Karriere. Nach der Wende im Geschäft geblieben. Durchaus nachgefragt und immer noch angesagt...
Ein Ralf hat angerufen. Er möchte jemanden von "Attac" in seiner Radiosendung haben. Es geht um die Kampagne „Umfairteilen – Reichtum besteuern”. Sonntagabend 21:30 Uhr. Klar sagen wir zu. Schließlich sind wir unserem freien Radio eng verbunden. Im Studio dann kommt mir dieser für mein Empfinden ausgesprochen gut aussehende Moderator bekannt vor. Ich weiß allerdings nicht, wo ich ihn hinstecken soll. Zweiter Eindruck: Er hat sorgfältig zum Thema „Arm und Reich” recherchiert und ist ein politisch gebildeter Mensch mit Mut zu offenherzigen Bekenntnissen. „Ich glaube grundsätzlich, dass nach neuen Gesellschaftsmodellen gesucht werden muss. Der Kapitalismus, in all seinen Facetten, hat sich als untauglich erwiesen. Die Parteienpolitik vertritt nicht mehr die demokratischen Interessen der Menschen, hat sich von Wirtschaft und Finanzwesen entmachten lassen.”
Ralf alias Falkenberg - mit oder ohne IC
Als Ralf die Anmoderation zu seiner monatlich ausgestrahlten Life-Sendung ins Mikro spricht, weiß ich Bescheid. IC Falkenberg. Einst Sänger von „Stern Meissen“. Dann tolle Solo-Karriere. Nach der Wende im Geschäft geblieben. Durchaus nachgefragt und angesagt. Vom IC in seinem Namen hat er sich vor langer Zeit getrennt. Was macht der hier bei Radio Corax? Warum ist er nicht bei einem kommerziellen Sender? Da hat mich aber die kapitalistische Verwertungslogik voll wieder eingeholt! Aber halt! Das wäre doch eine spannende Geschichte für die Störung. Klar kriege ich die Zusage für ein Date. Und nun sitzen wir im „Fräulein August”. Das Café durfte er auswählen. „Ist gleich um die Ecke von meiner Wohnung. Ich mag es, alles in Laufnähe zu haben. Das ist einer der Vorteile von Halle. Außerdem erinnert mich die Atmosphäre hier drin ein wenig an den Prenzlauer Berg. Den vermisse ich, nach 30 Jahren, schon manchmal.” Seit März 2011 lebt Falkenberg wieder in Halle, wo er als Ralf Schmidt geboren wurde. Sein Titel „Die Stadt, die keiner kennt” vom Album „Freiheit” porträtiert unsere unscheinbare Diva auf das Herzlichste. Eine wirkliche Liebeserklärung, insbesondere an die hier lebenden Menschen, wie ich finde. Vor allem der Süden und die Neustadt haben den Heranwachsenden geprägt.
"Der Kopp geht nicht aus!”
Die musische und humanistische Erziehung wurde ihm von Seiten der mütterlichen Familie vermittelt. Sie war nach Kriegsende aus Riga zugewandert. Das Talent des Jungen, der den ganzen Tag gesungen hat, wurde früh erkannt und gefördert. Er war drei Jahre Mitglied des Stadtsingechores, bekam Klavier- und Gesangsunterricht. Allerdings mochte er die Theorie nicht und hat so etwas wie eine gezielte Ausbildung bewusst vermieden. Der Vater, ein echter Hallenser, entstammte einem „roten”, proletarischen Elternhaus. Er hat seinem Sohn die Bodenhaftung, den kritischen Blick auf die Verhältnisse und den unablässigen Drang nach selbständiger Bildung mitgegeben. „Der Kopp geht nicht aus!” Ständig kommt der Künstler Falkenberg auf neue Ideen. Viele davon lösen sich im Nichts auf, sagt er, andere überleben manchmal Jahre bis zur Realisierung. Er liebt die Zusammenarbeit mit MusikerkollegInnen, genießt die Life-Auftritte und die anschließenden Begegnungen. Aber er puzzelt auch gern für sich allein im Studio. Er fotografiert und produziert Musikvideos. Das technische Know-how hat er sich autodidaktisch angeeignet, genauso wie das Beherrschen verschiedener Instrumente. Musikalisch beeinflusst wurde er durch den Musikgeschmack des älteren Bruders.
Kleine Widerstände und große Karriere
Jesuslatschen, grüne Kutte, lange Haare, Trampen, Blues und Hippie-Musik, eigene Songs, die erste Band, Vernetzung mit der Jungen Gemeinde, Stress mit den Bullen – Opposition gegenüber dem staatlich verordneten Bild von der sozialistischen Jugend. Das waren die siebziger Jahre. Ausbildung zum Schlosser, Armeezeit auf Rügen: „18 Monate gemeinsam gefangen und der Gehirnwäsche ausgesetzt – auf einmal sollte der Feind in Polen stehen.” Dann kam der Punk. Und damit die Freiheit, Zeichen zu setzen. „Wir haben uns kleine Widerstände aus alten Radios ins Ohr gehängt. Ich wollte nach dem DDR-Gesetz ein Asozialer sein.” Zwischendrin immer mal wieder ein Job. Ein bisschen Geld verdienen. Zum Beispiel in Buna: „Hier offenbarte sich die Morbidität des gesamten Systems. Die Arbeiter waren von ihren Maschinen kaum zu unterscheiden. Alles wirkte endzeitmäßig.” Das Gegenprogramm: Instandbesetzung alter Häuser, musikalischer Aufbruch, proben, proben, proben, halb legale Auftritte, Zwangsräumung, Abriss, Neubesetzung. Ein Leben in Anarchie. Entwicklung der eigenen Lebensphilosophie: „Ich habe es immer, so gut es ging, vermieden, mich einzufügen, mitzulaufen, hinterherzurennen.” Mit Anfang 20 lockte das Szene-Leben in Berlin. Der alte Ostteil wurde zum pulsierenden, inspirierenden Lebensmittelpunkt. Dazu lieferte das nördliche Umland den Kontrast. Seen und Wälder vermittelten das Gefühl von Weite und Freiheit. Die Hauptstadt wurde zur Heimat. Alle Welt zieht derzeit nach Berlin. Falkenberg dagegen zurück in die Provinz.
Ab und zu Reset
Wieso das denn? „Man sollte ab und zu ein Reset machen, den Standort und damit den Blickwickel verändern. Berlin ist für mich persönlich nicht mehr das, was ich so viele Jahre übermäßig und kritiklos geliebt habe. Ich musste da raus.“ „In Halle zeigt sich die Problematik unserer Gesellschaft sehr klar. Hier geht es um die Substanz und nicht um einen Großflughafen. Eine Art Äquator durchzieht die Stadt, grenzt den Süden und die Neustadt von den gutbürgerlichen Vierteln ab. Hier sind die Territorien zwischen den Armen und den Bessergestellten fühlbar aufgeteilt. Das ist spannend
für mich als Künstler. “ Wir kommen auf sein Publikum zu sprechen. Es setzt sich aus allen Schichten zusammen. Da gibt es welche, die unter der Armutsgrenze leben und andere, die mit Kohle voll sind bis oben hin. Und sie alle sind unzufrieden mit den Zuständen. „Meine Songs erzählen ihre Geschichten”, so der Künstler.
"Wir brauchen ein Gegengewicht zum Mainstream"
Doch zurück zur Eingangsfrage: Wie ist Falkenberg nun zu Corax gekommen und Corax zu Falkenberg? Antwort: „Manchmal sind Kneipenideen gar nicht so schlecht!” Und ganz im Ernst: „Die alternativen Medien begeistern mich. Etablierte Strukturen müssen aufgebrochen werden. Wir brauchen ein Gegengewicht zum Mainstream, egal ob in den Medien und oder der Kultur.” Die über 200 AktivistInnen von Corax, zu denen mein Gesprächspartner zählt, wollen Ansätze für konstruktive Lösungen publik machen, Diskussionen auslösen und zum eigenen politischen Handeln anregen. Mehr und mehr Menschen stellen das ewige Rumgemecker ein, das eigene Denken an und das System in Frage. Darüber freut sich Ralf Schmidt alias Falkenberg.
Solveig Feldmeier
Foto: Streifinger 2013