Mit der unmissverständlichen Versicherung des britischen Verteidigungsministers Michael Fallon in dieser Woche, wonach Großbritannien bis 2018 für einen Krieg mit Russland gerüstet sei, haben die Kriegsrhetoriken der gegenseitigen Abschreckung einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht. Parallel dazu versetzt die Nato eine bereits im Osten an Russlands Grenzen stationierte multinationale Armee von 300.000 Soldaten in Alarmbereitschaft.
"Bereit zum Krieg"
Das Magazin "Fokus" meldete in dieser Woche: Bereit für Krieg mit Russland. Diese Zeile hätte so niemals von einem Journalisten in die Tastatur getippt, von einer Redaktion abgesegnet und von einer Leserschaft hingenommen werden dürfen. "Bereit zum Krieg“ hieß es offen und unverblümt kurz vor 1914 und heimlicher aber nicht weniger deutlich auch vor 1939. Immerhin steht an Russlands Grenzen mittlerweile eine Präventivarmee von einem Zehntel der Truppenstärke bereit, die 1941 beim Unternehmen „Barbarossa“ aufgeboten wurde. Seit 2014 rollen Panzer um Panzer auf Schienen nach Osten ins Baltikum, nach Finnland, Polen und in die Ukraine.
Derzeit verfahren die rüstenden Mächte in West und Ost einzig dem Muster, einer behaupteten Bedrohung durch den jeweils anderen zu antworten. Dieses archetypische gefährliche Spiel gilt auf der Straße zwischen rivalisierenden Gangs genau so wie in der großen multioligarchen Weltpolitik. Wer aber mag am Tag X noch von Schuld sprechen, wenn ein Eskalationsszenario – ob nun durch technische Fehler oder kalkulierte Absicht einer Seite - erst einmal in Gang gesetzt ist und niemand es mehr aufhalten kann?
Kein Abo auf Verschonung
Wir Europäer hatten Glück in der Kubakrise und Glück am Checkpoint Charlie – aber auf dieses Glück haben wir kein Dauerabo. Andere Regionen und Länder zeigen uns, dass alles Undenkbare möglich ist und dass auch wir keine natürlich verbriefte Garantie auf ewigen Frieden und Wohlstand haben. Wo aber ist in dieser Stunde eine größere Friedensbewegung, wie es sie noch Ende der Achtziger Jahre mächtig und wirksam gegeben hat? Ist es der Weisheit letzter Schluss, allen die danach rufen andere Absichten zu unterstellen und selbst weiterhin nichts zu tun? Wie lange noch können wir es uns leisten uns aus ideologischen Gründen nicht an Friedensaktionen zu beteiligen? Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese Ressentiments häufig als pure Anpassung an vorgegebene Meinungen. Weil X oder Y nach Frieden ruft, muss es doch irgendwie „pfui“ sein.
Immerhin gab es mit der Demonstration "Die Waffen nieder!" vom 8. Oktober in Berlin einen ersten erfolgreichen Versuch, als breiter aufgestellte Friedensbewegung Flagge zu zeigen. Dies und noch mehr ist dringend nötig.
Denn in der Politik ist leider kein Willy Brand, Michael Gorbatschow, Mahatma Gandhi oder andere Heilsfiguren in Sicht, die den Mut und die Größe hätten, die Hand über den Graben zu reichen. Sind solche Politiker bereits unmöglich gemacht, weil sie sich in ihren Parteien und im Medienshitstorm schon nicht mehr durchsetzen können? In welch absurden und verrückten Zeiten wir stehen, zeigt sich schon daran, dass ausgerechnet ein exzentrischer polternder Milliardär, der zufällig nicht der Rüstungsbranche angehört, nun eine echte Friedenshoffung darstellt, weil er die Militärdoktrin der USA überprüfen und abändern will.
Gefährliches Schweigen
Es ist derzeit nahezu unmöglich, sich über die Medien ein objektives Bild zu machen, da alle Seiten die volle Klaviatur von Demagogie und Progaganda nutzen. Viel zu viele sind davon total verunsichert im Meinungsgestrüpp, vertrauen blind dem einen oder anderen Kanal oder warten ab und trauen sich lieber nicht aus der Deckung.
Diese für unsere Zeit so typische (Un)Haltung, die Jochen Distelmeyer treffend in einem Song als „Diktatur der Angepassten“ bezeichnete, ist ein gefährlich lähmender Zustand.
Da halte man sich doch lieber an Tucholsky, der sagte: „Ich glaube jedem der die Wahrheit sucht, aber keinem der behauptet sie gefunden zu haben.“
Redebeitrag von >>Sarah Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, auf der Demo vom 8. Oktober
Foto oben: Seit 2014 rollen Panzer gen Osten - auch am Hauptbahnhof Halle