Oran­ge am Stein­tor - Akti­ons­tag gegen Kri­mi­na­li­sie­rung der Seenotrettung

In mehr als 70 Städ­ten wur­den am 6. Juli Demons­tra­tio­nen, Kund­ge­bun­gen und Aktio­nen gestal­tet, dar­un­ter auch in Hal­le. Unter dem Mot­to „Brü­cken bau­en statt Gren­zen zie­hen“ fand vor der Stein­tor­pas­sa­ge eine Kund­ge­bung statt mit Info­stän­den, Musik und Ansprachen.

Caro­la Racke­te. In den letz­ten zwei Wochen konn­te man die­sen Namen täg­lich in den Schlag­zei­len lesen. Die See­not­ret­te­rin, wel­che am 29. Juni dem Ver­bot der ita­lie­ni­schen Regie­rung trotz­te und mit 40 geret­te­ten Flücht­lin­gen an Bord teils gegen Wider­stand in Lam­pe­du­sa anleg­te, hat das The­ma See­not­ret­tung wie­der in aller Mun­de gebracht. Das Bild der Hel­din Racke­te steht in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung seit­her im Schlag­ab­tausch mit dem Vor­wurf der kri­mi­nel­len Schlep­pe­rei. Laut ARD Deutsch­land­trend erklärt sich die Bevöl­ke­rung hier­zu­lan­de mehr­heit­lich soli­da­risch mit der pri­va­ten See­not­ret­tung (72%), Nur etwa ein Vier­tel spricht sich für die Blo­cka­de­hal­tung Ita­li­ens aus.

Hal­le seit 2018 ein 'siche­rer Hafen'

„Unser Ziel ist es öffent­li­che Auf­merk­sam­keit für die See­not­ret­tung zu schaf­fen und Miss­stän­de auf­zu­zei­gen“, sagt Kon­rad , der zu den Orga­ni­sa­to­ren der Kund­ge­bung in Hal­le gehört und sich zufrie­den mit dem Erfolg der Akti­on zeigt. Immer­hin 80 bis 100 Besu­cher suchen aktiv das Gespräch mit den Ver­an­stal­tern, die auch Spen­den für die See­not­ret­ter ein­sam­meln. Dank Caro­la Racke­te gebe es wie­der eine brei­te Medi­en­prä­senz für die See­not­ret­tung. „Das ist gut, denn das Ertrin­ken im Mit­tel­meer muss unbe­dingt in das öffent­li­che Bewusst­sein eindringen.“

Die „See­brü­cke“ gibt es in meh­re­ren deut­schen Städ­ten und sorgt dafür, dass sich Kom­mu­nen zu siche­ren Häfen erklä­ren und bereit sind aus See­not geret­te­te Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men. Hal­le gehört seit Dezem­ber 2018 dazu. Die Bemü­hun­gen der Akti­vis­ten rich­ten sich dar­auf, auch auf Bun­des­ebe­ne und in der euro­päi­schen Flücht­lings­po­li­tik Druck auf die Öffent­lich­keit aus­zu­üben. Pri­va­te See­not­ret­tung soll mög­lichst nir­gend­wo mehr durch Straf­ver­fol­gung be- oder ver­hin­dert, son­dern auf allen poli­ti­schen Ebe­nen unter­stützt wer­den. „Es muss eine Garan­tie für die gerech­te Ver­tei­lung der Flücht­lin­ge und fai­re Asyl­ver­fah­ren her.“, fasst Kon­rad die Zie­le zusammen.

See­not­ret­ter müs­sen Euro­pa ansteu­ern, um ihre huma­ni­tä­re Pflicht erfül­len zu können.

Was die öffent­li­che Wahr­neh­mung der See­not­ret­tung betrifft, geben die Kom­men­ta­re auf Face­book und auf Nach­rich­ten­sei­ten ein völ­lig fal­sches Gesell­schafts­bild wie­der, erklärt Kon­rad. Der rechts­po­pu­lis­ti­sche Vor­wurf der Schlep­pe­rei wer­de kei­ner Fak­ten­la­ge gerecht. Beson­ders absurd aber ist die stän­dig wie­der­hol­te Flos­kel, war­um die See­not­ret­ter die Geflüch­te­ten nicht nach Liby­en zurück­brin­gen. Denn nicht nur, dass die lybi­sche Küs­ten­wa­che kei­ner­lei Ambi­tio­nen zur See­not­ret­tung hat und Flücht­lin­ge an den Küs­ten ertrin­ken lässt - sie greift auch teil­wei­se ohne Vor­war­nung die Schif­fe der See­not­ret­ter an. Von den Zustän­den in den Flücht­ling­la­gern, wo Fol­ter und Ver­ge­wal­ti­gung an der Tages­ord­nung sind wur­de in den Medi­en berich­tet. „Liby­en ist alles ande­re, als ein siche­rer Hafen.“ Tat­säch­lich bestä­tigt dies sogar Ita­li­ens Außen­mi­nis­ter Enzo Moavero Mila­ne­si - gegen die Auf­fas­sung sei­nes rechts­po­pu­lis­ti­schen Kol­le­gen Sal­vi­ni, der Liby­en zyni­scher­wei­se als sicher einstuft.

Auch Tune­si­en führt die­sel­be Blo­cka­de­hal­tung wie Ita­li­en aus und ver­bie­tet das Anle­gen der Ret­tungs­schif­fe an sei­nen Hafen. Ein Tran­sit­land für Flücht­lin­ge zu wer­den will das nord­afri­ka­ni­sche Land unter allen Umstän­den ver­mei­den. Die Fak­ten­la­ge scheint daher nichts ande­res zuzu­las­sen, als dass See­not­ret­ter Euro­pa ansteu­ern müs­sen, um ihre Pflicht zu erfüllen.

Kur­ze Unterbrechung

Unser Gespräch wur­de unter­bro­chen, als sich plötz­lich 20 Per­so­nen auf dem Cam­pus der phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät ein­fan­den, wel­che von den Ver­an­stal­tern als Mit­glie­der der hal­le­schen Iden­ti­tä­ren Bewe­gung erkannt wur­den. Die vom Ver­fas­sungs­schutz als rechts­ra­di­kal ein­ge­stuf­te Bewe­gung fiel bereits mit Aktio­nen gegen See­not­ret­ter auf. Nun woll­ten sie aus­ge­rech­net mit­ten im ange­kün­dig­ten Ver­an­stal­tungs­zeit­raum die Stein­tor­pas­sa­ge pas­sie­ren, um zur Bahn­halt­stel­le zu gelan­gen. Da die Ver­an­stal­ter eine gewalt­tä­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung fürch­te­ten, rie­fen sie sofort die Poli­zei, wel­che schnell zur Stel­le war. Die Grup­pe muss­te einen ande­ren Weg neh­men. Eben­falls zynisch klang da die Äuße­rung eines Poli­zis­ten, die Ver­an­stal­ter wür­den bewusst die Pas­sa­ge blo­ckie­ren. Ist es nicht eher eine geziel­te Pro­vo­ka­ti­on, aus­ge­rech­net in die­sem Zeit­raum mit 20 Leu­ten genau durch die ange­mel­de­te Kund­ge­bung lau­fen zu wollen?

Quo vadis Europa?

Am Ende ver­lief alles fried­lich. Kin­der spiel­ten aus­ge­las­sen mit den Fon­tä­nen des Stein­tor-Brun­nens, die Band Hara Mabue spiel­te ange­neh­me, folk­lo­ris­ti­sche Musik und wäh­rend­des­sen fan­den wich­ti­ge Gesprä­che statt, in wel­che Rich­tung wir uns als Gesell­schaft ent­wi­ckeln wol­len. Wer­den wir zur Fes­tung Euro­pa vor der Men­schen ertrin­ken und in der Moral und Anstand in Ket­ten gelegt wer­den, oder ein gerech­tes Euro­pa der siche­ren Häfen? Es liegt an uns.

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