Noch bis zum 5. April sind im Lichthaus Halle Werke von Manuela Henschke zu sehen. Die in Halle lebende Künstlerin erforscht in einem Langzeitprojekt das Innenleben der Sölle. Diese eiszeitlichen Artefakte werden durch die industrielle Landwirtschaft bedroht und sind dadurch als Biotope gefährdet.
Auszug aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung vom 8. Februar:
Wir haben es mit geheimnisvollen Gebilden zu tun, mit Spuren und Lichttönungen, mit Zeichen und Chiffren. Es sind Ausschnitte einer Ur-Erzählung, die uns in einer Ur-Sprache vorgetragen werden.
Diese Werke erzählen uns vom Innnenleben in geschützten Räumen, von der Stille und dem in ihr Verborgenen, vom Umhüllt- und Umschlossensein und vom sich daraus Entwinden, von keimenden und treibenden Bewegungen, vom Aufbrechen des Kerns, von beginnenden Fliessbewegungen, von Verwurzelung und Verzweigung, von Wachstum und Entwicklung.
Die Künstlerin – Manuela Henschke – verlässt oft und gern ihren geschützten Atelierraum in Halle und begibt sich in die Unmittelbarkeit der Natur. In einem aktuellen Langzeitprojekt erforscht sie besondere landschaftliche Artefakte in Mecklenburg-Vorpommern, die dort auch als „HimmelsAugen“ bezeichnet werden. Wissenschaftlich werden sie "Sölle" genannt. Das sind eiszeitlich geformte Hohlräume an der Oberfläche, die zeitweise isoliert sind von äußerlichem Zu- und Abluss und dadurch besonders unabhängig als Biotope.
Diese Sölle sind Schutzinseln inmitten der industriell genutzten Ackerlandschaft und als solche bieten sie Lebensraum für Pflanzen und Tiere, darunter auch für viele bedrohte Arten, zu denen natürlich auch der nach Stille und Wahrhaftigkeit suchende KünstlerMensch gehört. Bestimmten wandernden Populationen dienen diese Sölle als so genannte Trittsteine, also kleine Oasen in ansonsten überlebensfeindlicher Umgebung. Sölle sind wahre Widerstandsnester an Biodiversität, und sie sind bedroht - durch Überdüngung, durch Überpflügen oder sogar menschlichen Missbrauch als illegale Deponie.
Diese besondere Existenzform fand und findet also in letzter Zeit das Interesse von Manuela Henschke, und sie widmet sich diesen Schutzzonen in einem Langzeitprojekt.
Wenn die Künstlerin über ihre eigene Arbeitsweise spricht, verwendet Sie formulierungen wie: Rückbindung, Öffnung zu umfassenderer Wahrnehmung und Transformation.
Der Stift agiert für sie wie ein sensorisches Medium, dem sie folgt in einem für sie unvorhersehbaren Bildgeschehen, oft in seriellen Skizzen. Als Spuren und Notizen dieser Versenkung finden sich dann auf dem Papier freigelegte zeichenhafte Elemente – die wie Manuela Henschke es selbst beschreibt, wie aus 'morphologischen Prozessen herausgelöst' erscheinen.
Die Formensprache der Natur in ihren kleinsten Einheiten hat mit den Söllen eines gemein - ein membranhaftes Umschlossensein, das Innen vom außen trennend – was als Voraussetzung und Bedingung für Entwicklung im Inneren stehen kann. In den ausgestellten Arbeiten ist dieses Thema häufig anzutreffen.
Hinzu kommt häufig dann die Farbe in ihrer organischen Substanz – dem Naturpigment, in flüssigem Medium gelöst und sich auflösend verbindend mit den Abriebspuren der Zeichenstriche. Aquazeichnung ist der schöne und korrekte Gattungsbegriff für diese Technik.
Der lichthaften Aquazeichnung und dem Aquarell gegenüber finden wir quasi als dialektisches Komplement - das lichtabsorbiernde Graphit der Kohle- und dunklen Ölkreidezeichnungen. Um die absorbierende Qualität des schwarzen Pigments unvermittelt wirken zu lassen, verzichtete die Künstlerin auf Fixierungsmittel, was die Werke sehr sensibel und leicht zerstörbar macht.
Manuela Henschkes Arbeiten sind nicht losgelöst abstrakt, sondern in ihrer organischen Dimension welthaltig und konkret. Wir können in ihnen ein lyrisches Ich erkennen, das sich uns mitteilt. Es ist eine Leistung in der heutigen Zeit solche Werke zu schaffen, denn das bedeutet sich einen eigenen Raum der Innerlichkeit erhalten und verteidigen zu können.