Spu­ren­su­che im Wasser

Dies ist der Bericht aus einer hei­len Welt, in der der Staat mal etwas gemerkt hat und sogar eine Struk­tur auf­baut, die Pro­ble­men gegen­steu­ern soll.

An Des­saus altem Wör­lit­zer Bahn­hof ist der letz­te Zug längst abge­fah­ren. Heu­te arbei­tet dort das Spu­ren­stoff­zen­trum des Bun­des im Umwelt­bun­des­amt. Seit dem Nie­der­gang der Volks­ge­sund­heit sind Spu­ren­stof­fe in der Nah­rung ein Pro­blem. Was frü­her das mensch­li­che Immun­sys­tem schein­bar neben­her erle­digt hat, ist heu­te Ursa­che für schwer­wie­gen­de Erkrankungen.

Spu­ren­stof­fe sind che­mi­sche Sub­stan­zen, die in gerin­gen Kon­zen­tra­tio­nen vor­kom­men, aber erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Umwelt und die mensch­li­che Gesund­heit haben kön­nen. Bei­spie­le für Spu­ren­stof­fe sind Arz­nei­mit­tel­rück­stän­de, Pes­ti­zi­de, Indus­trie­che­mi­ka­li­en und hor­mo­nell wirk­sa­me Stoffe.

Das Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­um ent­wi­ckel­te eine Spu­ren­stoff­stra­te­gie, in deren Umset­zung 2021 das Spu­ren­stoff­zen­trum des Bun­des (SZB) im Umwelt­bun­des­amt in Des­sau gegrün­det wur­de. In drei Jah­ren ent­stan­den aus Absichts­er­klä­run­gen Arbeits­zu­sam­men­hän­ge. Das inter­es­sier­te mich, ich frag­te nach und konn­te einen Gesprächs­ter­min vereinbaren.

Mar­ti­na Star­ke und Maxi­mi­lia­ne Mon­tag begrü­ßen mich im alten Bahn­hofs­ge­bäu­de, zei­gen die War­te­sä­le und Funk­ti­ons­räu­me, heu­te moder­ne Büro­land­schaf­ten. Bei Kaf­fee und Kek­sen kann ich dann mei­ne Fra­gen stel­len. Die Aus­wahl der zu bewer­ten­den Spu­ren­stof­fe und die Bewer­tung erfolgt durch das Spu­ren­stoff­zen­trum und die fina­le Ent­schei­dung über die Rele­vanz durch ein „Gre­mi­um zur Bewer­tung der Rele­vanz von Spu­ren­stof­fen“, in dem Ver­tre­ter von Behör­den, Indus­trie, Wis­sen­schaft, Umwelt- und Was­ser­ver­bän­den zusammensitzen.

21 Stof­fe und eine Stoff­grup­pe wur­den bereits als rele­vant bewer­tet und die Stoff­in­for­ma­tio­nen in Form von Check­lis­ten ver­öf­fent­licht, dar­un­ter das Schmerz­mit­tel Diclo­fe­nac, das Rost­schutz­mit­tel 1H-Ben­zo­tria­zol, der Ent­kal­ker Sul­fa­min­säu­re, das Pflan­zen­schutz- und Holz­schutz­mit­tel Tebu­co­na­zol sowie die Süß­stof­fe Ace­sul­fam-K und Sucralose.

"Eigent­lich ist unser Haupt­ziel, mit allen Akteu­ren und Betrof­fe­nen unse­re Gewäs­ser und das Roh­was­ser für die Trink­was­ser­auf­be­rei­tung umfas­send zu schüt­zen", sagt Mar­ti­na Star­ke. "Wir arbei­ten viel mit den Sta­ke­hol­dern, etwa den Was­ser­ver­bän­den oder den Her­stel­lern. Wir bekom­men auch Infor­ma­tio­nen von den Trink­was­ser­ver­sor­gern, wenn denen ein­zel­ne Schad­stof­fe immer wie­der auf­fal­len." Das Spu­ren­stoff­zen­trum habe vor allem eine koor­di­nie­ren­de Funk­ti­on zwi­schen den Fach­be­rei­chen inner­halb des Umweltbundesamts.

"Wir schau­en uns vor allem Wirk­stof­fe und Stoff­grup­pen an, aber kei­ne Pro­duk­te", prä­zi­siert Maxi­mi­lia­ne Mon­tag. In Vor­be­rei­tung des Gesprächs hat­te ich mal mei­ne eige­nen Medi­ka­men­te auf­ge­lis­tet, sozu­sa­gen den spu­ren­stoff­li­chen Fuß­ab­druck eines schmerz­ge­plag­ten Rentners.

Unter ande­rem Rami­pril und Pan­to­pra­zol sowie ihre Meta­bo­li­te (Abbau­pro­duk­te) sind auch schon als Spu­ren­stof­fe auf­ge­fal­len, wur­den aber im Spu­ren­stoff­zen­trum noch nicht bewer­tet. Diclo­fe­nac und Ibu­profen sor­gen für Akti­vi­tä­ten im Zusam­men­hang mit der Was­ser­rah­men-Richt­li­nie und der Umwelt­qua­li­täts­norm-Richt­li­nie. Diclo­fe­nac hat bereits in gerin­gen Kon­zen­tra­tio­nen nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf das aqua­ti­sche Öko­sys­tem. So kann es bei­spiels­wei­se Nie­ren­schä­den bei Fischen hervorrufen.

Auf mei­ne Fra­ge nach den Fähig­kei­ten der Abwas­ser­be­hand­lungs­an­la­gen zur Ent­fer­nung pro­ble­ma­ti­scher Spu­ren­stof­fe ver­weist Mar­ti­na Star­ke auf eine Kar­te der Deut­schen Ver­ei­ni­gung für Was­ser­wirt­schaft, Abwas­ser und Abfall e.V. (DWA) zum Aus­stat­tungs­grad von bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Abwas­ser-Behand­lungs­an­la­gen mit einer 4. Reinigungsstufe.

Ein trau­ri­ges Bild, doch Mar­ti­na Star­ke ist opti­mis­tisch: gera­de wur­de die Kom­mu­nal­ab­was­ser­richt­li­nie der EU ver­ab­schie­det, "und die sieht einen gestaf­fel­ten Aus­bau der 4. Rei­ni­gungs­stu­fen vor, was von 2033 bis 2045 erfol­gen soll."

Am Spu­ren­stoff­zen­trum fin­det gera­de ein Run­der Tisch zur Sul­fa­mid­säu­re statt, Maxi­mi­lia­ne Mon­tag erzählt vom Sta­ke­hol­der-Dia­log: "Also das Umwelt­bun­des­amt ist ver­tre­ten, dann ver­schie­de­ne Indus­trie­ver­bän­de, aber auch der Her­stel­ler aus Öster­reich. Die arbei­ten gut mit und schau­en auch, wel­che Mög­lich­kei­ten es gibt, den Stoff­ein­trag bei der Anwen­dung zu redu­zie­ren. Wie man in Zukunft Klär­an­la­gen mikro­biell dazu befä­hi­gen kann, Sul­fa­mid­säu­re abzu­bau­en, wird in einem For­schungs­vor­ha­ben an der Uni­ver­si­tät für Boden­kul­tur in Wien erforscht. Wei­te­re Betei­lig­te sind die Was­ser­wirt­schaft, Umwelt­ver­bän­de und auch die For­schung, ver­tre­ten durch das TZW (DVGW-Tech­no­lo­gie­zen­trum Was­ser). Das Fraun­ho­fer-Insti­tut für Sys­tem- und Inno­va­ti­ons­for­schung lei­tet den Run­den Tisch im Auf­trag des Spurenstoffzentrums."

Dann ist Mit­tag, in der Kan­ti­ne gibt es Mak­ka­ro­ni Bolo­gne­se ohne Fleisch. Und ich habe ver­ges­sen, nach Mikro­plas­tik zu fra­gen. "Mikro­plas­tik im Abwas­ser" rau­ne ich in mein Mobil­te­le­fon und erfah­re, dass gän­gi­ge Klär­an­la­gen über 95 % des Mikro­plas­tik aus dem Abwas­ser ent­fer­nen. Schon in Sand­fang und Ölab­schei­der, die Mas­se der Mikro­par­ti­kel lagert sich am Klär­schlamm an und wird auf den nächs­ten Acker mit­ge­nom­men. 4,9 % im Ablauf der Klär­an­la­ge sind nicht wenig - muss ich mal nachfragen.

Inter­amt, das Kar­rie­re­por­tal des Öffent­li­chen Diens­tes, lis­tet für die aktu­el­le Woche 24 freie Stel­len im UBA auf. Scha­de, dass ich schon so alt bin. Im Foy­er zeigt eine Aus­stel­lung Sach­zeu­gen und Doku­men­te aus 50 Jah­ren Umwelt­bun­des­amt. Auf dem Weih­nachts­ba­sar des Amtes fährt eine Umwelt­eu­le Schlit­ten. Aber ich darf nicht her­um­trö­deln, die Biblio­thek schließt bereits um 15:30 Uhr. Beam­te machen pünkt­lich Fei­er­abend. Also Lite­ra­tur­sich­tung im Schnelldurchlauf.

Die Zeit­schrif­ten sind alpha­be­tisch geord­net. Das Green­peace-Maga­zin hat sei­ne gedruck­te Aus­ga­be ein­ge­stellt. Dabei waren das Green­peace-Maga­zin und das Heft der Stif­tung Waren­test die ein­zi­gen Zeit­schrif­ten, die man immer irgend­wo mit­le­sen konnte.

Eine Dis­ser­ta­ti­on aus dem Jah­re 2009 unter­such­te die "Per­sis­tenz abwas­ser­bür­ti­ger Anti­psy­cho­ti­ka- und Sul­fa­me­th­o­xazol­rück­stän­de im Ober­flä­chen-, Grund- und Trink­was­ser des süd­li­chen Rhein-Neckar-Krei­ses". Ein psych­ia­tri­sches Lan­des­kran­ken­haus sedier­te nicht nur sei­ne Pati­en­ten, son­dern auch gleich noch die Trink­was­ser­kun­den und die Fische der Ober­flä­chen­ge­wäs­ser mit.

Der Buch­be­stand ist nach Sach­the­men geord­net und die Sach­the­men wie­der alpha­be­tisch. Aber wo fin­de ich etwas zum The­ma medi­zi­ni­sches Spu­ren­stof­fe-Elend? Einen OPAC-Com­pu­ter scheint es nicht zu geben. Bleibt nur, die Rega­le ein­mal von A bis Z zu durch­lau­fen und nach etwas Pas­sen­dem Aus­schau zu hal­ten. So zufäl­lig sto­ße ich auf "Green and Sus­tainab­le Phar­ma­cy", einen Sam­mel­band aus dem Jah­re 2010. Ganz schön blau­äu­gig, aber die Ziel­stel­lung ist nach wie vor richtig.

Gleich auf Sei­te 15 ist wie­der von Diclo­fe­nac die Rede, das in den Nul­ler Jah­ren sel­te­ne Alt­welt­gei­er ver­gif­te­te. Damals wur­den in Indi­en und Paki­stan hei­li­ge Kühe gegen ihre Gelenk­lei­den groß­zü­gig mit Diclo­fe­nac ein­ge­rie­ben. Irgend­wann seg­ne­ten sie dann doch das Zeit­li­che, die Gei­er woll­ten ihres Amtes wal­ten und star­ben rasch an aku­tem Nie­ren­ver­sa­gen. Wenn die from­men Brah­ma­nen ihre hei­li­gen Kühe mit Hanf­pro­duk­ten ein­ge­rie­ben hät­ten, wäre das für die Gei­er wohl weni­ger schäd­lich gewe­sen. Viel­leicht soll­te ich als Schmerz­pa­ti­ent mal den Kon­takt zum ört­li­chen Hanf­ver­ein suchen?

Nach eini­gen Tagen kommt die Ant­wort auf mei­ne Anfra­ge zu Mikro­plas­tik: Im Spu­ren­stoff­zen­trum wer­den vor allem Che­mi­ka­li­en betrach­tet, kei­ne Par­ti­kel. Dies hat aber auch Kapa­zi­täts-Grün­de. Spu­ren­stof­fe wer­den je nach Orga­ni­sa­ti­on unter­schied­lich definiert.

Besorg­te Gesund­heits­schüt­zer emp­feh­len mitt­ler­wei­le im Netz, Trink­was­ser immer abzu­ko­chen. Die Kunst­stoff­par­ti­kel wür­den dabei ver­klum­pen und nicht mehr so leicht ins Blut über­ge­hen. Beson­ders vor bil­li­gen Tee­beu­teln wird gewarnt, die Mikro­par­ti­kel in gro­ßer Zahl in den Auf­guss abge­ben sol­len. In Ver­bin­dung mit expe­ri­men­tel­ler Gen­the­ra­pie sol­len die Par­ti­kel u. a. an der Ent­ste­hung von Herz­beu­tel-Ent­zün­dun­gen betei­ligt sein. Da ist wie­der ein­mal der mün­di­ge Ver­brau­cher gefragt. Schön, dass der Staat ihn dabei unter­stützt, wobei die Defi­ni­ti­on von Spu­ren­stof­fen ruhig etwas wei­ter gefasst wer­den könnte.

 

Lite­ra­tur

https://www.umweltbundesamt.de/das-spurenstoffzentrum-des-bundes

https://de.dwa.de/de/landkarte-4-stufe.html

https://kommunales-abwasser.de/

Bähr, Sebas­ti­an. Per­sis­tenz abwas­ser­bür­ti­ger Anti­psy­cho­ti­ka- und Sul­fa­me­th­o­xazol­rück­stän­de im Ober­flä­chen-, Grund- und Trink­was­ser des süd­li­chen Rhein-Neckar-Krei­ses. Dis­ser­ta­ti­on Stutt­gart 2009.

Ros­ner, Yas­min. Sprung­haf­ter Anstieg von Rita­lin-Kon­sum. 20min am 20.10.2024 https://www.20min.ch/story/adhs-sprungafter-anstieg-von-ritalin-konsum-103205155

Küm­me­rer, Klaus und Maxi­mi­li­an Hem­pel. Green and Sus­tainab­le Phar­ma­cy. Hei­del­berg 2010.

Her­nan­dez, Lau­ra M. u. a.; Plastic Teabags Release Bil­li­ons of Micro­par­ti­cles and Nano­par­ti­cles into Tea. Envi­ron­men­tal Sci­ence & Tech­no­lo­gy 11/2019. S. 12300 ff.

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