That keeps me sear­ching For a heart of gold. Nach­ruf für Kal­le Boh­ley (1942 - 2025)

„Wir sind hier. Du bist da,“ steht auf dem Falt­z­et­tel der am 5. April 2025 vor den Gäs­ten in der Trau­er­hal­le des St. Lau­ren­ti­us-Fried­hofs in Hal­le liegt. Hal­le-Ber­lin-Hal­le sind die Haupt­sta­tio­nen im Leben von Karl (Kal­le) Boh­ley. Ein Leben, das so prall gefüllt scheint, dass ihm kei­ne Erzäh­lung, kei­ne Trau­er­re­de, kein Nach­ruf gerecht wer­den kann. Schon gar nicht zurecht­ge­stutzt oder gestopft in ein paar Schub­la­den. Ein Nach­ruf von Jean­net­te Drygalla

Das Zitat steht einer­seits für Abschied und ande­rer­seits für die Ver­bin­dung zwi­schen Men­schen, zwi­schen Leben und Tod. Es fußt auf einer wie­der­keh­ren­den Aus­sa­ge von Kal­le: Er hat sich zu sei­nen West-Ber­li­ner Zei­ten immer so am Tele­fon gemel­det: „Ich bin hier. Du bist da!“ Auf dem Falt­z­et­tel fin­det sich neben dem Zitat ein Foto: Kal­le Boh­ley jung und noch ganz dünn vom Knast in einer West-Tele­fon­zel­le, an deren Schei­be ein Auf­kle­ber als Sprech­bla­se auf­for­dert: „Ruf doch mal an!“

Karl Boh­ley wur­de am 17.10.1942 als sechs­ter von sie­ben Söh­nen in eine gro­ße Fami­lie gebo­ren. Karl Boh­ley, der Vater, ein Phi­lo­lo­ge, muss nach den Erzäh­lun­gen sei­nes ältes­ten Sohnes[1] ziem­lich streng gewe­sen sein. In den letz­ten Kriegs­ta­gen, am 18. April 1945, wur­de er auf der hal­le­schen Tor­stra­ße ange­schos­sen und ver­blu­te­te dort. Mar­ga­re­the Boh­ley (die „Mam“) war zu die­sem Zeit­punkt mit dem sieb­ten Kind schwan­ger, trug nun die Ver­ant­wor­tung für die sie­ben Söh­ne allein und erzog sie zu kon­se­quen­ten Pazi­fis­ten. Spä­ter ver­wei­ger­ten alle Söh­ne den bewaff­ne­ten Dienst in der „Natio­na­len Volks­ar­mee“ der DDR – mit den ent­spre­chen­den Konsequenzen.

Mar­ga­re­the Boh­ley umge­ben von ihren Söh­nen v.l. Peter (Pel­le), Diet­rich (Dil­le), Eck­art (Elle), Jochen (Jol­le), Rei­ner (Rei­be) und vorn Karl (Kal­le) und Micha­el (Mil­le)

Kal­les Wider­stand gegen vor­ge­fer­tig­tes und sys­tem­kon­for­mes Leben begann früh. Eine ers­te Sta­ti­on ist eine Fla­sche gefüllt mit Urin, die in das Fens­ter eines Leh­rer­ehe­paa­res flog. Ein „übles Leh­rer­paar“ ist mir von einem Zeit­zeu­gen erzählt wor­den, „die haben Schü­ler denun­ziert“. Einer der Fla­schen­wer­fer ging nach dem Vor­fall mit sei­ner Fami­lie in den Wes­ten. Kal­le war es, der ‚sich ver­ant­wor­ten muss­te‘, wie es damals hieß und dem Abitur und freie beruf­li­che Ent­wick­lung erschwert wur­den. Ein Stu­di­um wur­de ihm trotz auf der Abend­schu­le nach­ge­hol­tem Abitur verwehrt.

Hier kann Kal­le sel­ber zu Wort kom­men, zitiert aus einem Inter­view, das am 07.10.2006 von Jasper Star­ke im Rah­men einer Jah­res­ar­beit an einer Wal­dorf­schu­le geführt wur­de und der Fami­lie schrift­lich vor­liegt: „Ich hat­te mich 1960 auf der Ober­schu­le gegen­über einem Leh­rer­ehe­paar etwas frech ver­hal­ten, muss­te dar­auf­hin die Schu­le ver­las­sen und mich ‚in der sozia­lis­ti­schen Pro­duk­ti­on bewäh­ren‘. Das hieß, ich muss­te ein Jahr lang im VEB Mit­tel­deut­sches Auto­haus als ein Hilfs­schlos­ser arbei­ten. 1961 wur­de ich zusam­men mit zwei Mit­ar­bei­tern des Mit­tel­deut­schen Auto­hau­ses, das 400 Beschäf­tig­te hat­te, anläss­lich des 1. Mai zum Best­ar­bei­ter ernannt. Das war inso­fern ein gro­ßes Ereig­nis, weil die ande­ren Zwei zum einen der Lei­ter der SED-Betriebs­par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on und zum ande­ren der Kader­lei­ter waren. Dar­auf­hin dele­gier­te mich das Mit­tel­deut­sche Auto­haus wie­der auf die Ober­schu­le zurück. In die­ser Zeit wur­de am 13. August die Ber­li­ner Mau­er errich­tet. Damit hing wohl zusam­men, dass ich von einer Ober­schu­le an die nächs­te geschickt wur­de. Nie­mand woll­te mich haben, obwohl ich Best­ar­bei­ter war. Schließ­lich wur­de ich von einem Direk­tor ein­ver­nom­men. Er erklär­te, dass alle Schü­ler mei­ner Klas­se sich nach dem Mau­er­bau bereit erklärt hät­ten, nach dem Abitur ihre Offi­ziers­lauf­bahn bei der Natio­na­len Volks­ar­mee zu begin­nen. Auch mei­ne Unter­schrift woll­te er haben. Ich sag­te, dass ich als Pazi­fist die gefor­der­te Erklä­rung nicht unter­schrei­be. Ich wur­de dann als nicht voll­jäh­ri­ger Schü­ler vom Stadt­schul­rat vor­ge­la­den. Mir wur­de erklärt, dass mein Ver­hal­ten das Abitur an einer Regel­schu­le ausschließt.“

Spä­ter, Kal­le Boh­ley war schon mit Hil­ke (Hil­le) ver­hei­ra­tet und das ers­te von spä­ter fünf Kin­dern war bereits gebo­ren, muss­te er andert­halb Jah­re bei der NVA als Bau­sol­dat Wehr­ersatz­dienst leis­ten. In die­sen 18 Mona­ten durf­te er nur zwei­mal nach Hau­se. Auch hier hat er sich nicht unter­krie­gen las­sen, sich lus­tig gemacht über „Über­an­ge­pass­te“. Danach wur­de ihm beschei­nigt, dass ihm eine Fach­schu­le oder eine Hoch­schu­le ver­wehrt ist.

Viel spä­ter, schon lan­ge im Wes­ten, enga­gier­te sich Kal­le Boh­ley bei Bau­sol­da­ten­tref­fen dafür, dass die­ser Teil der deutsch-deut­schen Geschich­te nicht in Ver­ges­sen­heit gerät. Dazu passt auch, dass sich Kal­le für die Befrei­ungs-Bewe­gung in Süd­afri­ka inter­es­sier­te und ein star­ker Befür­wor­ter dafür war, dass die Idee der Wahr­heits-Kom­mis­si­on über­tra­gen wird auf das deutsch-deut­sche Dilem­ma der Sta­si-IM und deren Opfer. Auch hier kei­ne Schub­la­den, die Aus­sa­ge „Ich bin hier. Du bist da!“ kei­ne tren­nen­de Posi­tio­nie­rung. Wahr­heit und Ver­söh­nung statt Schuld und Sühne.

Doch zurück zu Kal­le in der DDR: Trotz aller Schwie­rig­kei­ten war Weg­ge­hen kein The­ma. Lan­ge kein The­ma. Dabei spiel­ten die star­ken Fami­li­en­ban­de eine ent­schei­den­de Rol­le. Das änder­te sich nach­dem Kal­le inhaf­tiert war und ihm nur der Weg über den Frei­kauf durch die Bun­des­re­pu­blik in den Wes­ten blieb. Wie es dazu kam lässt sich durch o.g. Inter­view von Kal­le direkt erzäh­len: „Ich wur­de nicht fest­ge­nom­men, son­dern ich habe die Zufüh­rung ver­wei­gert. Es gab in Hal­le meh­re­re Aktio­nen gegen die Aus­bür­ge­rung von Wolf Bier­mann. In die Haus­brief­käs­ten wur­den Flug­blät­ter gesteckt, um Soli­da­ri­tät mit Wolf Bier­mann zu zei­gen. Zu der Zeit arbei­te­te ich als Taxi­fah­rer. Von den Flug­blät­tern wuss­te ich, weil die Fahr­gäs­te davon erzählt hat­ten. Uns war klar, dass die staat­li­chen Orga­ne des­halb eine Auf­räum­ak­ti­on in unse­rem Freun­des­kreis vor­neh­men wür­den. So sind fast alle Freun­de von uns ver­hört bzw. befragt wor­den. ‚Mach mal ein Ali­bi für die und die Uhr­zeit oder den gan­zen Tag. Wen hast du dort getrof­fen? Seit wann kennst du den? Wie gut bist du mit ihm bekannt? Als was arbei­tet der? Was hat der für eine poli­ti­sche Ein­stel­lung? Was macht der so? War­um ist der von sei­ner Frau ver­las­sen wor­den?‘ Lau­ter sol­che Geschich­ten. Jeden haben sol­che Befra­gun­gen in die Enge gebracht, und sie ende­ten natür­lich mit der Ver­ab­schie­dung, Still­schwei­gen über das Gespräch zu bewah­ren, da man sonst gegen­über den Orga­nen straf­fäl­lig wird. Die meis­ten haben auch geschwie­gen. Ich habe die­sen staat­li­chen Aus­hor­chern die Tür vor der Nase zuge­schla­gen. Und als einer beim ers­ten Mal noch den Fuß in die Tür gestellt hat, habe ich mei­ne bei­den ältes­ten Kin­der hin­zu­ge­ru­fen und ihnen gesagt: ‚Hier könnt ihr euch die nächs­ten Jah­re Staats­kun­de­un­ter­richt spa­ren. Hier könnt ihr sehen, was der Staat mit den Men­schen macht.‘ Da hat er den Fuß zurück­ge­nom­men und mein­te: ‚Wir kom­men wie­der.‘ Dar­auf habe ich dann in aller Wut gesagt: ‚Aber nicht ohne einen Haft­be­fehl’ und habe die Tür geschlossen.
Was­ja Göt­ze, ein Freund von uns, wur­de am glei­chen Mor­gen abge­holt, hat uns dann muti­ger­wei­se ange­ru­fen und mit­ge­teilt: „Kal­le, ich bin über dich befragt wor­den und soll­te aus­sa­gen seit wann ich dich ken­ne und so wei­ter.“ Dann sind wir am Abend zu ihm gefah­ren und es wur­de eine Fla­sche Whis­ky getrun­ken. Ich hab mich auf­ge­regt über die Sta­si. Und Inge, die Frau von Was­ja, hat mir dann noch die Haa­re sehr kurz geschnit­ten, so dass ich dann schon eine rich­ti­ge Knast­fri­sur hat­te. Und da kei­ne Stra­ßen­bahn fuhr, haben wir uns in eine Knei­pe nahe der Hal­te­sta­ti­on der Stra­ßen­bahn gesetzt und noch die letz­ten Bie­re getrun­ken. Als die Stra­ßen­bahn quietsch­te, sind wir rein gesprun­gen. Man kann­te sich unter den Stra­ßen­bahn­fah­rern und die Taxi­fah­rern, da sie zu einem Betrieb gehör­ten. Der Fah­rer hat uns an unse­rer Ecke aus­stei­gen las­sen, damit wir nach Hau­se lau­fen konn­ten. Dort ange­kom­men, ist Hil­le zu Bett gegan­gen und ich noch mal in den Kel­ler, um Koh­len nach­zu­le­gen. Da ist mir in mei­nem Alko­hol­kopf ein­ge­fal­len, dass ich noch eine wich­ti­ge Mit­tei­lung an die Sta­si abset­zen woll­te. Dass ich auch nicht am nächs­ten Tag zu irgend­ei­ner Zufüh­rung bereit bin oder ‚zur Klä­rung eines Sach­ver­hal­tes’ wie die dama­li­ge Rede­wen­dung war“.

Hil­le und Kal­le Boh­ley mit den Kin­dern Susan­ne, Mar­tin, Maria, Eva und Lui­se kurz vor der Ver­haf­tung 1976

Es gibt noch ande­re Quel­len, z.B. den Aus­kunfts­be­richt des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit vom 5.01.1977.[2] Dort ist der Anruf nach­zu­le­sen. Wort für Wort. Quel­le ist eine Sta­si-Ton­band­ab­schrift des Tele­fo­nats. Das Tran­skript löst beim heu­ti­gen Lesen meist Hei­ter­keit aus. Kal­le hat den Men­schen am ande­ren Ende wohl in vie­ler­lei Hin­sicht über­for­dert. Zunächst über­haupt durch sei­nen Anruf. Das ist wohl eher unüb­lich gewe­sen. Aber auch inhalt­lich. Immer wie­der reagiert der Gesprächs­part­ner mit „Bit­te?“ oder „Ich ver­ste­he nicht.“ Kal­le will wis­sen, „Akus­tisch?“. Doch akus­tisch war Kal­le zu ver­ste­hen, das war ihm wichtig:

„Ich lege Wert dar­auf, dass das akus­tisch zu ver­ste­hen ist.“ Und spä­ter dann: „Wofür du dein Geld bezahlt kriegst, das ist Blut­geld.“ Der Gesprächs­part­ner ver­steht nicht, fragt wie­der und wie­der nach. Die Bezeich­nung „Blut­geld“ für den Lohn, den Judas für sei­nen Ver­rat erhielt aus dem Mat­thä­us­evan­ge­li­um scheint dem Gesprächs­part­ner kein Begriff zu sein oder er bleibt stra­te­gisch wage. Anders Kal­le. Unmiss­ver­ständ­lich endet das Gespräch: „Sie wer­den bei mir, wenn Sie das wol­len, kei­ne Unter­stüt­zung fin­den.“ Und er setzt fort: „Für die Art und mit den Metho­den, mit denen Sie arbei­ten, bin ich nicht nachfragbar.“

Die Situa­ti­on war damals aber kei­nes­falls hei­ter: Die Bezeich­nung ‚Blut­geld‘ – wenn sie auch den Hori­zont des Gesprächs­part­ners am Tele­fon über­stieg – reich­te für eine Inhaf­tie­rung, Staats­ver­leum­dung war der Grund. Das Gericht wer­te­te es als öffent­li­ches Han­deln mit dem MfS tele­fo­niert zu haben. Ver­ur­teilt für zwei Jah­re wur­de Kal­le als poli­ti­scher Häft­ling vom Wes­ten frei­ge­kauft und am 29. Juni direkt in die Bun­des­re­pu­blik ent­las­sen. Die Zeit dazwi­schen sind Mona­te, die ihn trau­ma­ti­siert haben. Kal­les Kin­der erzäh­len, dass ihn das Klap­pern von Schlüs­seln und geschlos­se­ne Türen „getrig­gert“ haben, „Scheiß­po­li­zei­ge­räu­sche“ ist sei­ne For­mu­lie­rung für das Erleb­te. Aber er bleibt stand­haft: „Alle Ver­su­che, ihn zu Denun­zia­tio­nen zu bewe­gen, schei­tern. Namen von Bekann­ten oder Freun­den nennt er nicht.“[3].
Kal­le hat wenig erzählt über die Zeit im Gefäng­nis, das, was man weiß: Ein­zel­haft, schlech­tes Essen, psy­chi­sche Gewalt und ent­zo­ge­ne Ruhe. Kör­per­lich hat Kal­le unheim­lich abge­baut und zehn Kilo abge­nom­men. Er hat auch im Knast – wie immer – ver­sucht, auf Augen­hö­he mit Men­schen zu spre­chen. Mit ihnen, nicht über sie. Kal­les Geschich­te ist indi­vi­du­ell und ist Zeit­ge­schich­te zugleich. Sei­ne Gerad­li­nig­keit, sein Mut und sein klu­ger Humor sind es, die vie­le beein­druck­ten und die in Erin­ne­rung blei­ben. Der Song „Heart of Gold“ von Neil Young (1972) war eine ideel­le Brü­cke der Fami­lie und der Freun­de zu Kal­le. Aus dem Knast her­aus ließ er die Bot­schaft über­mit­teln, sie soll­ten die­ses Lied hören und dabei an ihn den­ken. Als die Töne am Ende der Trau­er­fei­er in der Kir­che erklin­gen, sei es gewe­sen, als wäre Kal­le dabei, wird mir nach der Trau­er­fei­er mehr­fach erzählt.

In Hal­le ist die „Sze­ne“ nach der Aus­rei­se der Kal­le-Fami­lie um einen Treff­punkt ärmer. Zum Abschied wur­de der gro­ße Gar­ten am Haus im Kirsch­berg­weg noch ein­mal Schau­platz einer pri­va­ten Soli­da­ri­täts­ak­ti­on – eine Ver­stei­ge­rung deren Erlös an die Fami­lie des Inhaf­tier­ten ging.

Fotos geben einen Ein­druck von der Grö­ße des Freundeskreises:

© Foto: Sabi­ne Hartmann

Hil­le und Kal­le leb­ten 30 Jah­re in West-Ber­lin. Wie schon in Hal­le war ihre Woh­nung Anlauf­punkt und Zuflucht für ehe­ma­li­ge Mit­ge­fan­ge­ne, Bau­sol­da­ten, Freun­de, Fami­lie und Aus­tausch­schü­ler, Stu­den­ten aus aller Welt. Bis zum Mau­er­fall hat­te er Ein­rei­se- und Tran­sit­ver­bot durch die DDR.[5] Für Urlaubs­rei­sen muss­te Kal­le flie­gen und Hil­le fuhr mit den Kin­dern im Auto die Tran­sit­stre­cke durch die DDR. Die gemein­sa­me Wei­ter­rei­se war dann erst außer­halb der DDR mög­lich. Im Jahr 2007 wur­de Kal­le 65 und zog mit Hil­le zurück nach Hal­le. Dort haben sie, umge­ben von Freun­den und ihrer gro­ßen Fami­lie, glück­li­che Jah­re ver­bracht. Und in Dier­ha­gen. Ein Lieb­lings­ort von bei­den. Hier steht ein Haus oder Häus­chen, das Hil­les Eltern 1976 haben bau­en las­sen. Ein Ort, das weiß ich aus eige­nem Erle­ben, der offen für Gäs­te ist. Wie es die Wohn­or­te von Kal­le und Hil­le immer waren. Es ist der Ort, an dem Kal­le auch in sei­nem letz­ten Som­mer gewe­sen ist. Das ers­te Mal ohne sei­ne Hil­le. „Das gan­ze Leben über war mir wich­tig, dass wir uns geliebt haben und die Lie­be an unse­re Kin­der wei­ter­ge­ge­ben haben, so gut wir das eben konn­ten“, hat Kal­le for­mu­liert, als wir ein Jahr vor sei­nem Tod die Trau­er­re­de für Hil­le vor­be­rei­tet haben. (-> Nach­ruf für Hil­le Boh­ley)

Ich sit­ze im Juli 2025 am gro­ßen Tisch im Wohn­zim­mer im Feri­en­haus der Fami­lie in Dier­ha­gen und schrei­be an die­sem Nach­ruf. Grund­la­ge sind die Gesprä­che, die ich mit den Kin­dern Suse, Mar­tin, Maria, Eva und Isi Boh­ley geführt habe, um mich auf die Trau­er­re­de für Kal­le vor­zu­be­rei­ten. Und mit Mil­le Boh­ley, Kal­les jüngs­tem Bru­der. Dazu zwei­und­zwan­zig hand­ge­schrie­be­ne Sei­ten von einer der Töch­ter. Mit dabei habe ich die Publi­ka­ti­on von Udo Gras­hoff. Die Auf­zeich­nun­gen, die ich für die Trau­er­re­de für Hil­le ange­fer­tigt habe. Und eige­ne Erin­ne­rungs­bil­der. Zum Bei­spiel an einen wun­der­ba­ren Tag im Novem­ber hier in Dier­ha­gen. Hil­le und Kal­le inmit­ten vie­ler Men­schen. All das zusam­men­fas­sen? Zu kür­zen auf eine „übli­che“ Anzahl von Zei­chen? Wie soll das gehen? Ich kann es nur versuchen.

Dabei schaut Hil­le mich von einem gro­ßen Foto an. In ihrem gepunk­te­ten Regen­man­tel. Von der ande­ren Sei­te blickt Kal­le. Ich füh­le mich wohl zwi­schen den bei­den und schrei­be in einer kur­zen Nach­richt an eine der Töch­ter, wie sehr ich mich über die Fotos freue. „Sie sol­len immer mit dabei sein“ ist ihre Ant­wort. Genau: „Wir sind hier, und ihr seid da!“
That keeps me sear­ching for a heart of gold. Ich kli­cke auf den Song bei You­tube und den­ke an Kalle.

Heart of Gold, zum Bei­spiel hier: https://youtu.be/WZn9QZykx10?si=FcjH_F7aC6Ac9pLF

Jean­net­te Dry­gal­la, August 2025

 

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[1] Peter Boh­ley, Sie­ben Brü­der auf einer flie­gen­den Schild­krö­te, Books on Demand, 2005

[2] Ver­öf­fent­licht in: Udo Gras­hoff: Erhöh­ter Vor­komm­nis­an­fall: Aktio­nen nach der Bier­mann-Aus­bür­ge­rung im Bezirk Hal­le 2001. S. 44 – 53
abruf­bar unter https://www.zeit-geschichten.de/wp-content/uploads/2019/09/erh%C3%B6hter-vorkommnisfall.pdf

[3] BStU, Reg.Nr. VIII/54/77, Bl. 126 nach Gras­hoff 2001

[4] Auf den Fotos sind u.a. die Kin­der von Hil­le und Kal­le zu sehen sowie die Loh­se-Kin­der, Ehr­ler-Kin­der, Möh­wald-Kin­der sowie die bereits verstorbenen
Elle Boh­ley, Tobi­as Ebert, Vere­na Ebert, Lud­wig Ehr­ler, Ute Loh­se
sowie Vro­ni Dobers, Uwe Dobers, Jochen Dobers, Gabi Hahn, Chris­ti­ne Jork, Con­stan­ze Fried­rich, Frank-Wolf Mat­t­hies, Pat Neu­mann-Mat­t­hies, Ulla
Boh­ley, Mar­kus Haw­lik-Abra­mo­witz, Jule Mans­feld, Hei­di Dola­cin­ski, Mar­tin Möh­wald, der lan­ge Fritz, Alex­an­der Trei­chel, Marei­le Mant­hey, Kon­rad Brandt, „Mao“, u.a.
Die Auk­tio­na­to­ren waren Jür­gen Fried­rich und Uli Jork

[5] Hart­nä­cki­ge Rach­sucht. Seit Jah­ren ver­wei­gert das SED-Regime ehe­ma­li­gen DDR-Bür­gern Rei­sen auf den Tran­sit­stre­cken nach West-Ber­lin. Jetzt soll die Bun­des­re­gie­rung das Recht auf freie Fahrt durch­set­zen. Erschie­nen in DER SPIEGEL vom 13.11.1988: https://www.spiegel.de/politik/hartnaeckige-rachsucht-seit-jahren-verweigert-das-sed-regime-a-f1473983-0002-0001-0000-000013530889.

Quel­le: Zeit-Geschich­ten e.V. mit freund­li­cher Genehmigung

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