Das Gleimhaus in Halberstadt zeigt noch bis Ende Oktober die Ausstellung „Visionen der Aufklärung“. Das wichtige Literaturmuseum stellt Aspekte der aufgeklärten Kultur vor, die über das 18. Jahrhundert hinaus gewirkt haben und auch im heutigen Denken manifest sind.
Gleim und sein Haus
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719 -1803) verbrachte den größten Teil seines Lebens in der Stadt am Nordrand der Harzes. Von hier aus überspannte er Deutschland mit seinem Netz aus freundschaftlicher, gelehrter und auch wissenschaftlicher Korrespondenz, nicht weniger effektiv dafür oftmals intensiver als Facebook.
Sein Wohnhaus, seit 1862 Museum, wurde bei dem großen Luftangriff am 8. April 1945 teilweise zerstört, 1946 nahm das Gleimhaus seine Museumsarbeit wieder auf. Heute ist es nicht nur ein Museum, sondern auch eine Forschungsstätte. Die umfangreiche Briefsammlung Gleims steht Lesern via Internet zur Verfügung.
Die Ausstellung gliedert sich in gewichtige Schwerpunkte der aufgeklärten Kultur. In Der ganze Mensch geht es um die Anthropologie der Aufklärung, die Entdeckung der Psyche und ihrer Leiden und um Heilungsversuche (man denke an den Mesmerismus). Darauf aufbauend folgt als zentrales Konzept der Aufklärung die Bildung, ein Bereich, in dem sie so starke Vorbildwirkung entfaltet hat, dass ihre Ideen heute allenthalben anzutreffen sind. Ihr gebührt etwa das Verdienst, die Kindheit als eigenständigen Teil der menschlichen Entwicklung verstanden und ihr besondere Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Pestalozzi, Basedow und das Philanthropin als älteste philanthropische Schule gehören hierher. Aus dem Philanthropin Dessau wird dem Besucher die Geburt der Vehaltensnoten präsentiert: eine große Tafel, auf der die Zeichen des Fleißes (signa diligentiae - links in weiß) und die der Faulheit (nota pigritiae - rechts in schwarz) der Schüler verzeichnet wurden.
Geselligkeit als hohes Gut
Die Kultur der Geselligkeit und der Freundschaft ist ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung: 130 Porträts von Gleims Freunden sind im Freundschaftstempel – zwei Räumen im oberen Geschoss – zu sehen, die Briefe an und von Gleim gehören zu den wichtigsten Zeugnissen. Konnte man einander nicht treffen, so schreib man einander.
Schreiben war wichtigste Äußerungsform
Das Schreiben war die Hauptäußerungsform der Aufklärung. Man schrieb: Gedichte und Lehrgedichte, Aufsätze, Romane (Sophie von la Roche, Wieland, Karl Philip Moritz seien hier genannt), Theaterstücke, Reisebücher (Seume), gelehrte Aufsätze … Literarische Gesellschaften entstanden überall im Lande, so auch in Halberstadt. Davon sind etliche Zeugnisse zu sehen.
Das Bemühen darum, Schriftstellerei als Beruf zu etablieren, das Deutsche zur Literatursprache zu machen und die Nachlasse von Schriftstellern aufzubewahren zeugen vom neuen Bewusstsein für das Schreiben und stehen für ein neues Konzept von Individualität. Vom hohen Sendungsbewusstsein der Aufklärung spricht der Schwerpunkt Humanität. Hier treffen wir auf Lessing (lange erwartet) und natürlich auf Herder mit seinen "Briefen zur Beförderung der Humanität“.
Die prägende Fortwirkung
Nach dem Besuch der Ausstellung wird deutlich, wie sehr Ideen und Konzepte der Aufklärung das kulturelle Selbstverständnis der folgenden Jahrhunderte geprägt haben. So fühlt man sich, wenn es nicht gerade um exaktes Wissen wie Namen oder um nachweisbare Textkenntnisse handelt, sehr zu Hause im Hause Gleims und kann immer nur bestätigend mit dem Kopf nicken.
Von den „dunklen Aspekten“ der Aufklärung, von denen zweihundert Jahre später Horkheimer und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ sprechen werden, ist hier nichts zu finden.
Zu schön und heilsam ist doch die Idee, dass wir zum Besseren erzogen werden könnten. Das war wohl die größte Vision der Aufklärung und zugleich ihre größte Illusion.
GLEIMHAUS
Museum der deutschen Aufklärung
Domplatz 31 I 38820 Halberstadt
Telefon: 03941 6871-0
Di - So und feiertags: |
10.00 - 16.00 Uhr (November - April) 10.00 - 17.00 Uhr (Mai - Oktober) |
Schamhaft verschweigen oder ungeniert heraustönen, das gab und gibt es zu allen Zeiten. Immer wieder lohnt es sich, nachzufragen, woher wissen Sie das denn so genau?
Gleim war schwul, was auch heute noch schamhaft verschwiegen wird. Soviel zu den "dunklen Aspekten" der Beschäftigung mit Aufklärung. Siehe Film "Männerfreundschaften" von Rosa von Praunheim.