Zwei­mal Russ­land und zurück – Teil 1: Vom Fuße des Urals

Zum ers­ten Mal in mei­nem Leben bin ich nach Russ­land gefah­ren. Ich hat­te vor­her schon eini­ges an Wis­sens­wer­tem über das Land auf­ge­schnappt. Zum einen durch die paar Bro­cken Rus­sisch, die ich lern­te, zum ande­ren, weil 15 sehr sym­pa­thi­sche Rus­sen vor­her nach Deutsch­land kamen und hier in Hal­le den Som­mer genossen.

Es ist so, dass der Ver­ein Freun­de Basch­kor­to­stans e.V. all­jähr­lich Stu­den­ten dazu ein­lädt an einem Aus­tausch in Rich­tung Ufa – der rus­si­schen Part­ner­stadt Hal­les – teil­zu­neh­men. Und so nahm ich teil:

In Deutsch­land orga­ni­sier­ten wir (10 sehr sym­pa­thi­sche Hal­len­ser Stu­den­ten) für die Rus­sen soviel wie wir in einer Prü­fungs­pha­se konn­ten: Woh­nun­gen, Essen, und aller­lei Aus­flü­ge nach Hal­le und außer­halb. Aber ich woll­te über Russ­land schrei­ben! Über den Ver­ein ein ande­res Mal!

So ging es dann von Ber­lin aus Rich­tung Ural mit nächt­li­chem Zwi­schen­stopp in Mos­kau. Für jeman­den, wie mich, der bis­her nur flog, oder über kur­ze Distan­zen per Anhal­ter führ, war die 3-tägi­ge (!) Zug­fahrt ein­fach nur rie­sig. Die Kabi­nen waren zwar eng bzw. voll besetzt (3. Klas­se ent­spricht 6 Leu­te in einer offe­nen, durch­geh­ba­ren Kabi­ne), dafür ent­sprach die Fahrt einer wort­rei­chen Klas­sen­fahrt. Wäh­rend wei­te Fel­der, vie­le (Birken-)Wälder und mal ein rie­si­ger Fluss am Fens­ter vor­bei­husch­ten, spiel­te man das Kar­ten­spiel Durak, lern­te Voka­beln oder unter­hielt sich bei einer Tas­se Tee, den man sich durch das Wagon-eige­ne Samo­war auf­gie­ßen konn­te. Bis ich dann über die Bela­ja (Fluss) rat­ternd, aus der Fer­ne das Denk­mal Sala­wat Jul­jia­ews, dem Volks­hel­den Basch­kor­to­stans, sehen konnte.

Kurz dar­auf emp­fin­gen uns in Ufa dann vie­le Leu­te von der rus­si­schen Orga­ni­sa­ti­ons­sei­te, sowie Teil­neh­mer vor­he­ri­ger Jahr­gän­ge. Von nun an wur­den wir umsorgt. Essen, Woh­nen, Bus­fahr­ten, Tages­aus­flü­ge – Mit teils hin­ge­bungs­vol­ler Herz­lich­keit wur­den unse­re Mägen gestopft, oder man sag­te uns freund­lich aber bestimmt, dass wir nun end­lich zum Bus müssen.

Wenn ich von Bus­sen rede, dann mei­ne ich aller­dings nicht unse­re Nah­ver­kehrs­bus­se. Die gibt es zwar auch, aber die sind in Ufa zu lang­sam. Die­se Stadt, am Fuße des Urals ist sehr lan­ge­zo­gen und mit 1 Mio Ein­woh­nern nicht gera­de klein. Damit die Leu­te, die zum Groß­teil vom Öl der Regi­on leben, an ihre Arbeits­platz kom­men bedie­nen sie sich meis­tens den mit­tel­gro­ßen Bus­niks (qua­si halb so groß wie unse­re Bus­se) oder den klei­ne­ren, schnel­le­ren und somit wen­di­ge­ren Marsch­rut­kas - zu Mini­bus­sen umfunk­tio­nier­te Trans­por­ter. Die löch­ri­ge Stra­ßen­qua­li­tät, ein biss­chen weni­ger Sicher­heits­stan­dart (da fehlt dann ger­ne mal eine Tür oder ein Fens­ter), sowie der „fle­xi­ble­re“ Fahr­stil sor­gen dafür, dass auch jeder Trip mit den Din­gern unver­ges­sen bleibt.

Gene­rell ließ sich die Stadt eher gehen. Es gab zwar schö­ne Plät­ze, ein paar Parks oder Denk­mä­ler. Aller­dings lag auf den Autos immer ein Staub­film, die Gebäu­de sahen sehr nach Plat­ten­ghet­to aus, und beim Lau­fen behin­der­ten manch­mal stark die sehr hohen Bord­stei­ne. Gene­rell so dünkt mir zwei­er­lei: Ers­tens, je wei­ter man nach Osten kommt, des­to weni­ger Geld wird für Infra­struk­tur und Gebäu­de­sa­nie­run­gen aus­ge­ge­ben. Eine schö­ne Metro ist in Ufa aller­dings auf­grund des porö­sen Bodes nicht mög­lich. Zwei­tens, wird auch gene­rell weni­ger auf die Ästhe­tik von Auto und Haus wert gelegt. Haupt­sa­che es funk­tio­niert! Da ist man als Deut­scher doch eher verwöhnt.

Für die Rus­sen sol­len ande­re Din­ge schön sein: Sie klei­den sich schi­cker. Nicht nur zum Weg­ge­hen sit­zen Kos­tüm und Hemd. Selbst am Tage sieht man(n) jun­ge Damen in Blu­se mit Rock oder im auf­fal­len­den Klei­de – bei­des stets zu lackier­ten Fin­ger­nä­geln und Hoch­ha­cki­gem am Fuße. Und auch die Woh­nun­gen innen sind gemüt­lich und ein­la­dend. Und die Rus­sen sind, was bspw. die gefühl­te Smart­pho­ne-Rate illus­triert, genau­so modern wie wir.

Zum Aus­tausch gehör­ten dann zehn Tage Kata­ma­ran-Tour in den Ural. Auf und an einem wun­der­schö­nen Fluss (Name „Ai“), der sich durch die klei­nen Ber­ge schlän­gel­te, lach­ten, tran­ken und arbei­te­ten wir. Wir fäll­ten die tote Bir­ken und Kie­fern, die wir ver­brann­ten, schnib­bel­ten eif­rig unse­re drei Mahl­zei­ten zurecht oder bau­ten die Zel­te auf bzw. ab. Am meis­ten jedoch san­gen wir rus­si­sche Lager­feu­er­lie­der, jeden Tag, sodass auch die Deut­schen bald den Refrain drauf hat­ten. Das beson­de­re High­light war dann die Ban­ja, die rus­si­sche Feuchtsau­na mit Extra-Baum­we­del zum Aus­peit­schen und Bier für den Mine­ral­haus­halt (wur­de mir jeden­falls so begrün­det). Als wir mit anse­hen muss­ten, wie der Müll dann beim Ver­las­sen eines Cam­ping­plat­zes schlicht ver­gra­ben wur­de, tropf­te das deut­sche Öko-Herz doch ein wenig, denn für die Rus­sen gibt es nur zwei Sor­ten an Müll: Müll und Nicht-Müll.

Eines der schöns­ten Din­ge war die „Zwei­staat­lich­keit“ mit wel­cher die Basch­ki­ren an sich selbst her­an­tra­ten. Sie waren bei­des. Sie spra­chen von Hau­se aus basch­ki­risch und sind zur Hälf­te mus­li­misch, und doch sind sie auch mit Wär­me Rus­sen. Es gibt in die­ser Teil­re­pu­blik Basch­kor­to­stan kei­ne Kon­flik­te oder Vor­ur­tei­le. Man ist und spricht eben bei­des und ortho­dox lebt neben mus­li­misch. Ufa als Haupt­stadt der Basch­ki­ren zeigt, dass Inte­gra­ti­on funk­tio­niert, es braucht halt nur Zeit, Platz zur Ent­fal­tung und Umgang miteinander.

Nach der Fluss­tour ver­schwand die Zeit schnel­ler als uns lieb war, sodass der Zeit­punkt der Tren­nung schön, aber auch beson­ders schmerz­lich in Erin­ne­rung blieb. In dem Wis­sen, uns tren­nen bald dar­auf­hin wie­der knapp 3000km.

Die Tage dar­auf ver­brach­ten wir Deut­sche dann in Mos­kau und St. Peters­burg. Mos­kau war ein­fach nur rie­sig, in allem: Die Gebäu­de, die Stra­ßen und die Stadt selbst schien unend­lich. St. Peters­burg war das, was alle sagen: Wun­der­schön. Fuhr man durch die Stra­ßen, kam man an der Pracht vor­bei, in wel­cher sich die Stadt seit Peter dem Gro­ßen hüll­te. Über­all wur­de man von einem Palast, einer Kir­che, einer Sta­tue, einem Park, einem Denk­mal, einer Kanal­brü­cke oder sonst einem prunk­vol­lem Gebäu­de über­rascht – und des Abends kam es noch bes­ser, denn dann war die Stadt, die aus 100 mal Schloss Sans­sou­ci zu bestehen schien, in schö­nem Lich­te getaucht. Lei­der konn­ten die ande­ren 15 rus­si­schen Teil­neh­mer (bis auf eine Aus­nah­me) nicht dar­an teil­neh­men. Wei­te­re Sta­tio­nen in der Stadt waren und soll­ten die Eri­me­ta­ge - das Kunst­mu­se­um der Stadt, die Paläs­te außer­halb des Stadt­ker­nes, sowie das Hoch­fah­ren der Brü­cken nach Mit­ter­nacht sein.

Wer sich rus­si­sche Pracht und Macht mal anschau­en mag, der soll­te sich für Mos­kau und St. Peters­burg meh­re­re Tage (geschätzt min­des­tens fünf je Stadt!) auf­hal­ten. Jedoch emp­feh­le ich aus­drück­lich ande­re Regio­nen ken­nen zu ler­nen. Dies gilt im Beson­de­ren für unse­re städ­ti­schen Stu­den­ten, denen ich den Aus­tausch mit Ufa als wun­der­ba­re Erfah­rung wärms­tens ans Herz legen kann.

Text & Fotos: Mat­thi­as Woelki

Freun­de Basch­kor­to­stans e.V.
Blog Basch­ki­ri­en-heu­te

Из Ростова II








 

Ein Kommentar zu “Zwei­mal Russ­land und zurück – Teil 1: Vom Fuße des Urals

  1. Das fried­li­che Neben­ein­an­der der Eth­ni­en fand ich auf einer Rei­se nach Kasan im Novem­ber '13 auch sehr beein­dru­ckend und bei­spiel­ge­bend. Lei­der hat sich die­ser Ein­druck in den letz­ten Mona­ten doch sehr abge­schwächt. Ich habe zuneh­mend das Gefühl, dass das aus­schliess­lich von poli­ti­schem Kal­kül bestimmt wird. In Tatar­stan leben 134 (!) ver­schie­de­ne Völ­ker (wie das dort genannt wird) zusam­men, dort hat der Staat Insti­tu­tio­nen, Geld und nimmt Ein­fluß, wäh­rend woan­ders (...) archai­scher Hass geschürt wird... Da gäbe es noch viel zu reden... Aber schön ist doch, dass Frau von der Ley­en jetzt gera­de unse­re Pan­zer durch­ge­zählt hat und unse­re Waf­fen, den "Stolz" der Nati­on, end­lich wie­der funk­ti­ons­tüch­tig machen will. Will­kom­men im letz­ten Jahrhundert...

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