Sitzungssaal B12 des Landgerichts Magdeburg. Kurz vor halb zehn betritt Halles Oberbürgermeister mit seinen drei Anwälten die zweite Etage im modernen Gerichtsgebäude. Bernd Wiegand wirkt angespannt, aber nicht nervös. Nun geht es also wieder um Begriffe wie Pflichtverletzung, Vermögensschaden oder Personalgewinnungsschwierigkeiten...
In Magdeburg hat am 4. Mai der erneute Strafprozess gegen Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) begonnen. Wiegand ist vor dem Landgericht wegen des Vorwurfs der Untreue angeklagt. Ihm wird zur Last gelegt, durch die mutmaßlich ungerechtfertigte zu hohe Einstufung dreier enger Mitarbeiter einen Schaden in sechstselliger Höhe für die Stadtkasse verursacht zu haben. Das Landgericht Halle hatte ihn in einem ersten Urteil von dem Vorwurf freigesprochen. Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil jedoch vor einem Jahr kassiert und das Verfahren nach Magdeburg verwiesen. Vor dem dortigen Landgericht sind nun bis auf weiteres elf Prozesstermine angesetzt. 29 Zeugen und ein Sachverständiger sollen gehört werden. Felix Knothe berichtet vom ersten Prozesstag.
Es kann länger dauern
Sitzungssaal B12 des Landgerichts Magdeburg. Kurz vor halb zehn betritt Halles Oberbürgermeister mit seinen drei Anwälten die zweite Etage im modernen Gerichtsgebäude. Bernd Wiegand (parteilos) wirkt angespannt, aber nicht nervös. Nun geht es also wieder um Begriffe wie Pflichtverletzung, Vermögensschaden oder Personalgewinnungsschwierigkeiten. Er geht zielstrebig zu seinem Platz, stellt seine Tasche ab und zieht sich mit seinen Anwälten wieder in den Wartebereich vor den Saal zurück. Erst knapp vor Beginn des Prozesses, kurz bevor die Fotografen vom Gerichtsdiener hinausgebeten werden, geht er zu seinem Platz, wie um zu vermeiden, dass ein bestimmtes Bild entsteht: der OB auf der Anklagebank.
Aber genau dort sitzt Wiegand jetzt wieder für vorerst insgesamt elf Verhandlungstage bis in den Juli hinein. Vorsorglich hat die Magdeburger 4. Große Strafkammer aber schon bis Dezember weitere Termine geblockt. Es kann wieder länger dauern, ehe in dem verzwickten Verfahren ein Urteil fällt, wie bereits im Vorgängerprozess in Halle, der im Februar 2015 mit einem Freispruch für Wiegand endete. Ein Freispruch, den der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr wiederum aufhob.
Nun ist Magdeburg zuständig, und nicht nur der Ort, ein moderner Zweckbau an einer Magdeburger Ausfallstraße, ist neu und anders. Auch die Stimmung ist verschieden. Den Prozess in Halle hatte Richter Helmut Tormöhlen noch eher knorrig, zuweilen grantig und unnahbar geführt. In Magdeburg lässt es Richter Gerhard Köneke eher freundlich und verbindlich angehen. „Wir müssen uns Ihre Stadt ja erst noch erarbeiten“, flachst er, als er von Wiegand die genaue Meldeadresse erfragt. Sie hat sich seit der ersten Anklageerhebung geändert.
Verteidigung will Freispruch
Und Köneke redet auch zum Publikum, erläutert den bisherigen Gang der verschiedenen Verfahren, legt dar, was in der Zwischenzeit passiert ist – dass sich Verteidiung und Staatsanwaltschaft im vorigen Sommer, nach dem BGH-Spruch, kurzzeitig durchaus auf vermittelnde Gespräche verständigen wollten. Eine Einigung sei dann jedoch nicht zustande gekommen. Die Staatsanwaltschaft Halle, so ist herauszuhören, wäre sogar bereit gewesen, eine Verurteilung zu unter einem Jahr zu akzeptieren. Das ist die Grenze, über der Wiegand automatisch sein Amt verlieren würde. Wiegands Verteidigung aber will nur eines: Freispruch.
„Jeder Unternehmer würde sagen: Die Mitarbeiter sind ihr Geld wert.“
Verteidiger Michael Nagel
So ist es auch an diesem Donnerstag. Staatsanwalt Frank-Thomas Schulze verliest knapp die Anklage – die mutmaßlich zu hohe Gehaltseinstufung von Wiegands engsten Mitarbeitern und ein daraus entstehender Schaden für die Stadtkasse von „290.453 Euro und 52 Cent“, also Untreue – und sagt dann lange nichts mehr. Die Prozessregie sieht es nicht vor. Dafür sprechen die Verteidiger. Michael Nagel beginnt mit den großen Zusammenhängen. „Wir werden der erneuten Anklage erneut entgegentreten.“ Er erinnert an die Wahl Wiegands. Der sei 2012 „von der Mehrheit der Hallenser“ gewählt worden, um als parteiloser Kandidat endlich Demokratie nach Halle zu bringen. „Demokratie braucht Mut“, zitiert er Bundespräsident Steinmeier. Den habe Wiegand bewiesen, indem er Veränderungen in Halle angepackt habe. Dazu jedoch musste er Mitarbeiter gewinnen, so Nagel. Die drei, um die es im Prozess geht, hätten seither tadellos gearbeitet. „Jeder Unternehmer würde sagen: Sie sind ihr Geld wert.“ Die Ermittlungen gegen seinen Mandanten jedoch gingen zurück auf anonyme Anzeigen. „Das waren Feiglinge, und die Staatsanwaltschaft hat sich vor diesen Karren spannen lassen.“
Die Stunde der Rechtsbegriffe
Ein Strafverfahren allein kann unabhängig vom Ausgang einen OB politisch beschädigen. Wohl deshalb hat Wiegand stets betont, die Vorwürfe gegen ihn seien politisch motiviert. Die „anonymen Feiglinge“ sind bisher jedoch das konkreteste, was zu diesem Thema auf den Tisch gekommen ist. Danach schlägt die Stunde der Rechtsbegriffe. Wiegands Anwälte Nummer zwei und drei, Jan Schlösser und Ralph Heiermann, lesen lange Statements vor, gespickt mit Präzedenzfällen wie dem jüngsten Nürburgring-Urteil in Rheinland-Pfalz und juristischen Argumenten. Auch durch einen falschen Feueralarm, der eine 20-minütige Unterbrechung der Sitzung erzwingt, weil alle das Gebäude vorübergehend verlassen müssen, lässt Schlösser sich nicht aus dem Konzept bringen. Es wird klar, dass sich die Verteidigung, wie im ersten Prozess auch, wieder darauf konzentrieren wird, den Untreuevorwurf direkt anzugreifen. Der entsprechende Paragraf ist umstritten, weil vieles Auslegungssache ist und das Bundesverfassungsgericht einer Verurteilung wegen Untreue enge Grenzen gesetzt hat.
„Es kann so oder so ausgehen.“ Richter Gerhard Köneke
Gab es überhaupt eine Pflichtverletzung? Welcher Schaden ist überhaupt entstanden? Hat der OB gegen das kommunalrechtliche Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen, als er an den Empfehlungen des Personalrats vorbei und ohne Ausschreibung drei Mitarbeitern ein höheres Gehalt zubilligte? Und ist der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bindend für den Oberbürgermeister einer Großstadt, der auf der Suche nach fähigem Personal ist? Die Verteidigung sagt zu all diesen Fragen nein. „Das Vermögen der Stadt ist nicht geschädigt worden“, so Schlösser. Ein strafrechlicher Verstoß sei daher nicht „evident und erwiesen“. Auch in kommunal- und arbeitsrechtlicher Hinsicht könne Wiegand kein Vorwurf gemacht werden, ergänzte Anwalt Heiermann.
Eine kontroverse Geschichte
Dass das Gericht zumindest nicht allen Argumenten der Verteidigung ohne weiteres folgen wird, ließ Richter Gerhard Köneke am Schluss anklingen. „Es wird hier in dem Prozess unter anderem um die Frage gehen, an welche Pflichten ein Oberbürgermeister gebunden ist.“ Anders als von der Verteidigung dagestellt, gebe es durchaus eine Bindungswirkung des Tarifvertrags. „Wenn unqualifizierte Personen eingestellt werden, kann eine Pflichtverletzung begründet sein.“ Ob das jedoch in diesem Fall zum Tragen komme, müsse erst die Beweisaufnahme ergeben. „Es ist eine kontroverse Geschichte“, so Köneke mit Blick auf den Prozess und erkenntlich an die Öffentlichkeit gewandt. „Die Hauptverhandlung ist jetzt auf Null gestellt. Nichts ist festgestellt. Beim Thema Untreue befinden wir uns in einem ganz schwierigen Bereich, und es kann so oder so ausgehen.“
Felik Knothe studierte Anglistik/Amerikanistik, Philosophie sowie Medien- und Kommunikationswissenschaften
Nach Volontariat und Reportertätigkeit bei der Mitteldeutschen Zeitzung von 2012 bis 2015 arbeitet er seit 2015 als freier Journalist für verschiedene Medien.