Eine gesell­schaft­li­che Krank­heit, die das Mit­ein­an­der vergiftet

Vor Tagen lief im deut­schen TV eine Sen­dung namens „Män­ner­wel­ten“, die sowohl uner­war­tet, als auch nötig war. In einer 15-minü­ti­gen „Kunst­aus­stel­lung“ initi­iert durch Joko und Klaas sprach man über die sexis­ti­sche Schei**, die Frau­en online und auch im wah­ren Leben Tag für Tag ertra­gen müs­sen. Fast 50 Pro­zent aller Frau­en sol­len laut Aus­sa­ge in der Show schon ein­mal sexu­el­le Beläs­ti­gung in ihrem Leben erfah­ren haben. Die­sen Fakt zwei­fel ich stark an.

Denn ich, als 23-jäh­ri­ge ken­ne kaum eine Frau, die nicht min­des­tens eine Geschich­te zu erzäh­len hät­te, in der sie respekt­los, scham­los oder rück­sichts­los von einem Mann auf­grund ihres Geschlechts behan­delt wur­de. Sexis­mus und sexu­el­le Beläs­ti­gung ist eine gesell­schaft­li­che Krank­heit, die das Mit­ein­an­der ver­gif­tet, mora­li­sche Gren­zen auf­löst und die Her­zen der Betrof­fe­nen mit Wut, Scham, Schmerz und Frus­tra­ti­on füllt. Denn sexis­ti­sche Beläs­ti­gung fängt nicht bei phy­si­scher Gewalt an, son­dern star­tet viel frü­her. Eine unge­woll­te Berüh­rung in einer Bar, in einem Laden, auf Arbeit, ein dum­mer Spruch, der einem aus einem Auto raus hin­ter­her gebrüllt wird, ein paar auf­dring­li­che Nach­rich­ten auf dem Han­dy... All das hin­ter­lässt einen scha­len Geschmack im Mund und die Erleb­nis­se blei­ben hän­gen. Man erin­nert sich dar­an, wenn man nachts wach liegt und sich der Bauch mit Wut füllt, dass man nichts gesagt hat, nicht für sich ein­ste­hen konn­te. Mal wie­der. Wut auf sich selbst. Wie­so eigent­lich? Aber das Maka­be­re ist doch, dass die Ver­ur­sa­cher wahr­schein­lich drei Sekun­den spä­ter bereits alles wie­der ver­ges­sen haben.

Das Erleb­nis, das mich manch­mal nicht schla­fen lässt, liegt fast ein Jahr zurück. Ich war auf dem Weg zurück aus Frank­furt, wo ich auf einer Klei­der­mes­se gear­bei­tet hat­te. Ich saß Frank­furt Süd am Gleis und hat­te noch 15 Minu­ten bis die Bahn kom­men wür­de. In die­sem Moment betra­ten etwa sechs oder sie­ben Typen in Fuß­ball­tri­kots den Bahn­hof, offen­sicht­lich betrun­ken. Vor­sorg­lich um mich abzu­schot­ten, setz­te ich mir mei­ne Kopf­hö­rer auf, die Musik ließ ich aus. Eine Vor­sichts­maß­nah­me damit ich die Situa­ti­on ein­schät­zen konn­te. Es ließ nicht lan­ge auf sich war­ten, dass sich der ers­te der Typen neben mich setz­te und sei­ne Grup­pe sich lose um mich ver­teil­te. Es folg­ten die ers­ten dum­men Sprü­che: „Na Klei­ne...“, „Hey Süße...“, „ Willst du dich nicht mal mit uns beschäftigen..?.“
Sie fin­gen an mir ins Gesicht, an die Haa­re zu grei­fen. Ich igno­rier­te sie und stand auf. Da kamen sie näher, der eine Typ nicht mal eine Hand­breit von mei­nem Gesicht ent­fernt. Ab dem Punkt konn­te ich die Sprü­che nicht mehr ver­ste­hen, mein Herz schlug so schnell, dass es in mei­nen Ohren rausch­te und ich mich an ihnen vor­bei drän­gel­te. Hin­ter mir Geläch­ter und die Wor­te „Schlam­pe“ und „Was für ein Fickarsch“, ich zeig­te ihnen über mei­ne Schul­ter den Mit­tel­fin­ger, was mit einem „Du Hure“ beglei­tet wur­de. Ich setz­te mich zu ein paar ande­ren War­ten­den etwa 40 Meter wei­ter, die bis­her alles beob­ach­tet hat­ten und rief zit­ternd die Poli­zei. Ich kann gar nicht genau sagen war­um, aber die Vor­stel­lung mit die­sen Men­schen in den Zug stei­gen zu müs­sen, lös­te in mir die nack­te Panik aus. Mein Anruf wur­de von einem etwa 60-jäh­ri­gem War­ten­den kom­men­tiert mit „Du hast doch jetzt nicht ernst­haft wegen so was die Cops geru­fen?“. Und ich den­ke, dass es die­se Aus­sa­ge ist, die mich an die­ser gan­zen Geschich­te so auf­wühlt. Ein Hau­fen Typen, die vom Alter her Töch­ter in mei­nem Alter haben könn­ten, dür­fen mich belei­di­gen, bedro­hen, berüh­ren und mir Angst ein­ja­gen, aber das ist die ein­zi­ge Hand­lung, die einer Reak­ti­on bedarf? Ich hat­te an dem Tag Glück, könn­te man sagen, dass mir nicht mehr pas­siert ist. Aber ehr­lich gesagt fühlt es sich nicht so an. Glück hät­te ich gehabt, wenn mir so etwas über­haupt nicht pas­siert wäre. Glück hät­te ich gehabt, wenn jemand der Anwe­sen­den die Zivil­cou­ra­ge gehabt hät­te mir bei­zu­ste­hen. Und Glück hät­te ich gehabt, wenn die Poli­zei tat­säch­lich gekom­men wäre und die­ses Ver­hal­ten Fol­gen für die­se Män­ner gehabt hätte.

Eine sol­che Geschich­te ist kein Ein­zel­fall und bis­lang nicht die Schlimms­te, die ich bereits gehört habe. Es hat sei­ne Grün­de war­um die­se 15 Minu­ten-Sen­dung seit ges­tern viral geht. Und die­se Grün­de sind nicht, dass Frau­en zu emp­find­lich sind, sie haben auch nichts falsch ver­stan­den oder haben wohl „Signa­le“ gesen­det. Unse­re Gesell­schaft hat ein Pro­blem. Und die­ses Pro­blem heißt Sexismus.

 

Tabea L. aus Halle

 

 

 

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