„Halle (Saale) gewinnt Wasserstoff-Tankstelle!“ jubelte die Lokalpresse Mitte Juni 2017. In einem Wettbewerb des Industrie Joint Ventures „H2 Mobility“ hatte sich die Saalestadt gegen fast 30 andere Bewerber durchgesetzt. „H2 Mobility“ suchte „Keimzellen, in denen Wasserstoff-Nachfrage entsteht“ und Halle hatte entsprechende Versprechungen abgegeben.
Der Autovermieter „JEZ! mobil“ wird zehn wasserstoffbetriebene Fahrzeuge anschaffen, die Stadtwerke Halle wollen Wasserstoff-Fahrzeuge im Company-Car-Sharing einsetzen. Auch das Fraunhofer-Institut IMWS und das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP werden ihren Fuhrpark mit H2-Dienstfahrzeugen ausstatten, zum Stückpreis von etwa 70 000,- €. Weitere Wasserstoff-betriebene Fahrzeuge sollen kommunale Entsorgungs- und Wohnungsunternehmen erwerben. Für die Region Halle wurde die Anschaffung von 24 Wasserstoff-Brennstoffzellen-Autos bis Herbst 2018 versprochen. Die neue Wasserstoff-Station soll in eine bereits bestehende Multienergie-Tankstelle (Benzin, Diesel, Erdgas und Elektro) des Autohauses PS Union in der Neustädter Selkestraße integriert werden.
Leipzig baut Vorsprung aus
Ganz ohne „Klimmzüge“ und bereits im Mai 2018 soll Leipzig „seine“ Wasserstoff-Tankstelle bekommen, in der dortigen Poststraße. Denn im Grunde geht es um den überregionalen Verkehr auf den Autobahnen A 14, A 38 und besonders der A 9, auf der Wasserstoff-Boliden heute noch eine lange Durststrecke zwischen Berlin und Nürnberg zu überwinden haben.
Hinter dem Joint Venture „H2 Mobility“ stehen Konzerne wie Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und TOTAL. Sie gehen geplante Verluste ein, um den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur voranzutreiben: 32 Wasserstoff-Stationen wurden bisher offiziell eröffnet und betanken knapp 300 Brennstoffzellen-Pkw auf 700 bar Basis. Weitere 36 Stationen sind in Planung und Bau. 100 Wasserstoff-Tankstellen sollen es bis Ende 2018 deutschlandweit werden. Dann will man schauen, wie sich das Fahrzeug-Angebot entwickelt hat und im günstigsten Fall bis Ende 2023 mehr als 400 H2-Tankstellen aufbauen und betreiben.
Zweiter Branchenverband bleibt
Nachhaltige Wasserstofferzeugung ist ein zentrales Anliegen des Branchenverbandes CEP „Clean Energie Partnership“. Der wollte sich eigentlich Ende 2016 zugunsten von „H2 Mobility“ auflösen, macht aber nun weiter. CEP wird das Tankstellen-Geschäft abgegeben und will sich ganz innovativen Lösungen im Sinne einer „Low Carbon Society“ widmen. Technologisch ist immer noch viel in Bewegung und auch Platz für zwei Branchenverbände. Zudem ist CEP die Stelle, die Lehrgänge und Sachkundeprüfungen für technische Befüllungen durchführt. Eine Bescheinigung, die jeder braucht, der Wasserstoff tanken will.
Bei den Fahrzeugen haben die Mercedes-Benz B-Klasse F-Cell, der Toyota Mirai und der Hyundai ix35 Fuel Cell den Anfang gemacht. Daimler und Volkswagen wollen folgen und auch unterhalb der 70 000,-€-Marke aktiv werden. Und da Wasserstofftanks im Verhältnis zur gespeicherten Energiemenge deutlich leichter sind als Batterien, können mit Wasserstoff nicht nur Pkw bewegt werden, sondern auch schwere Transportmittel wie Busse oder Flurförderfahrzeuge.
Vorreiter sind dabei die USA: Amazon kaufte gerade für 600 Mio. US-$ Gabelstapler mit H2-Brennstoffzellen-Antrieb. Der Truck-Hersteller Kenworth baut riesige H2-getriebene Lastzüge für den Container-Transport, Toyota testet in den USA schwere Lastzüge mit eigenen Brennstoffzellen. Militärische Aktivitäten wie H2-getriebene Drohnen und U-Boote boomen, auch Gefechtsfeld-Automatisierung, etwa durch BZ-Kampfroboter. Der US-Zughersteller Ballard baut acht Wasserstoff-getriebene Güterzüge, für die sich auch die Chinesen brennend interessieren.
In Europa kann da nur der französische Schienenfahrzeugbauer Alstom mithalten, der sich auf nicht elektrifizierte Nebenstrecken spezialisiert hat, auf denen bisher Dieseltriebwagen fuhren. Ab Herbst 2017 sollen zwischen Buxtehude und Cuxhaven zwei Züge mit dem schönen Namen Coradia iLint verkehren. Wasserstofftanks und Brennstoffzellen sind auf den Dächern angeordnet. Die Züge sollen Geschwindigkeiten bis zu 140 km/h erreichen können. Der Wasserstoff wird per Elektrolyse aus überschüssigem Windstrom der Küstenregion gewonnen.
Stahlindustrie innovationsfreudig
Der Österreichische Staatskonzern voestalpine AG nimmt das Schlagwort Sektorenkopplung zwischen Energiewirtschaft und Schwerindustrie ernst und baut in Linz eine der weltweit größten Elektrolyse-Anlagen zur Erzeugung von „grünem Wasserstoff“. Das gewonnene Gas soll u. a. in verschiedenen Prozessstufen der Stahlerzeugung getestet werden.
"Wir arbeiten konsequent an der Weiterentwicklung unserer Prozesse in Richtung einer schrittweisen De-Karbonisierung der Stahlproduktion ...", verkündete stolz Wolfgang Eder, der Vorstandsvorsitzende der voestalpine AG. Ganz ohne Kohlenstoff-Verbindungen wird es in der Stahlkocherei nicht abgehen, aber die dabei nötige Energiezufuhr könnte weitgehend von „grünem Wasserstoff“ übernommen werden.
Im verarmten und immer noch deindustrialisierten Sachsen-Anhalt sind industrielle Anwendungen der Wasserstoff-Technologie in weiter Ferne. Überschüssige regenerative Energien gibt es reichlich zwischen Unstrut und Börde, von Planern auch als „negative Residuallasten“ bezeichnet. Um die Stromnetze davon zu entlasten, werden lokale Power-to-Gas- und Power-to-Liquid-Lösungen unabdingbar sein, was noch jede Menge Forschungs- und Umsetzungs-Anstrengungen erfordern dürfte. Die Stadt Halle (Saale) hat ihr „Pulver“ dabei schon weitgehend „verschossen“.
Otto Stomps
Literatur:
Ditfurth, Hoimar von; Am Anfang war der Wasserstoff; München 1972.
Branchen Joint Venture H2-Mobility - http://h2-mobility.de/
Branchenverband CEP - http://cleanenergypartnership.de/
Fachzeitschrift HZwei - http://www.hzwei.info/
Shell Wasserstoffstudie - http://www.shell.de/medien/shell-publikationen/shell-hydrogen-study.html
Foto von "H2-Mobility"
Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe sind an sich nicht schlecht, nur kranken sie an ihren wirklich lausigen Wirkungsgraden. Das hängt mit der weitgehenden Abwesenheit von Innovationen auf diesem Gebiet zusammen. Seit Jahrzehnten werden immer wieder die gleichen technischen Konzepte aus der Schublade gezogen, wenn die Verbrennungskraftmaschinen in der Krise stecken (wie jüngst beim Dieselskandal). Am gefährlichsten ist dabei die Unterbringung der gasförmigen H2-Vorräte in Druckbehältern unter oder nahe der Fahrgastzelle, während Metallhydridspeicher längst Stand der Technik sind.
Ein weiteres Problem ist die Herkunft des an den Tankstellen angebotenen Wasserstoffes. Betreiber „H2-Mobility“ hat sich verpflichtet, 50% "grünen" Wasserstoff abzugeben (aus der Elektrolyse von Solar- und Windstrom). Was umgekehrt heißt, dass die anderen 50% aus der Dampfreformierung, partiellen Verbrennung, Pyrolyse und Fermentation von Erdöl, Erdgas, Biomasse usw. stammen dürfen - wobei jede Menge Kohlendioxid entsteht, das in der Regel nicht genutzt wird. Die am "H2-Mobility"-Konsortium beteiligten Industriegas-Konzerne haben naturgemäß großes Interesse daran, diese 50% "Dreckschwein-Quote" auch auszunutzen.
Schade, dass diese Zusammenhänge im Heft nicht dargestellt werden durften. "So viel DDR war nie", sagt der Dichter.