Jeden Montag ereignet sich vor dem Rathaus auf dem halleschen Markt folgendes Schauspiel: Gegen 18 Uhr stehen ca. 50 Leute um ein Mikrofon herum und hören den Reden von Aktiven zu, auf deren Banner geschrieben steht: „Frieden, ehrliche Presse und Gerechtigkeit“. Seit April gibt es eine neue Variante der Montagsdemonstrationen.
Um das Recht, unter diesem Namen öffentlich aufzutreten zu dürfen, wird gestritten. Die Veranstaltungen werden auch Montagsmahnwachen genannt. In den Reden dort werden große Themen angesprochen: Fracking, Arbeitslosigkeit, das Freihandelsabkommen TTIP und das Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen TISA, das Geldsystem und seine Alternativen, gesunde Lebensmittel, der europäische Stabilitätspakt, die Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland oder ob wir Bürger irgendwie Einfluss nehmen können, über unsere jeweilige Stimmabgabe hinaus. Im Zentrum der Reden jedoch stehen Krieg und Frieden und die Berichterstattung in den Medien, die als parteiisch und einseitig empfunden wird. In der Nähe ein kleiner Haufen Gegendemonstranten, die mit Musik und gelegentlichem Dazwischenbrüllen ihrer Kritik an den neuen Montagsdemos Luft machen. Auf ihrem Banner steht: „Frieden ohne Aluhut“. Für Frieden sind also beide. Die Gegendemo allerdings wittert bei der neuen Montagsdemo Gefahr demogogischer Hetze. Die Argumente der MontagsdemonstrantInnen würden antisemitische Inhalte kaschieren, seien „verschwörungstheoretisch“ motiviert und würden vorschnell Schuldige benennen (z.B. die Bilderberger [Geheimtreffen von einflussreichen Machern] oder die Rothschilds) – daher tragen die Gegendemonstranten auch einen Aluhut, gegen „Gedankenstrahlen“ nämlich.
Was können oder was sollen wir wissen?
Die Kritik an den Medien und deren Berichterstattung über die Geschehnisse und den Krieg in der Ukraine, das war der Startpunkt für die neuen Montagsdemos. Lassen Sie mich diese Kritik an einem Beispiel illustrieren! In einer russischen Dokumentation über Menschen aus Slawjansk im Osten der Ukraine erfährt man von man ihrem Leid unterm Artilleriefeuer. Man sieht Geschützeinschläge in Wohnhäusern, hört das Wehklagen der Alten, die nicht nach Russland flüchten konnten, sieht die Milizen, im zivilen Leben einfache Handwerker, erfährt, dass es nie eine Waffenruhe gab. Davon erscheinen auch ein paar Informations- Schnipsel in taz, Süddeutscher oder in den Spätprogrammen der Öffentlich-Rechtlichen. Doch warum erscheint zum Beispiel die Nachricht, dass die Bewohner aus Slawjansk aus den Kiewer Verwaltungsverzeichnissen gelöscht wurden, nicht in genannten Medien? In der Dokumentation erzählt eine Sachbearbeiterin von ihrem Anruf in Kiew, um zu erfahren, warum keine Renten mehr gezahlt würden. Eine große Stadt mit rund 110.000 Einwohnern – komplett gelöscht!? Wie und wozu das? Und warum erfahren wir DARÜBER nichts? Wer sortiert und bestimmt, was wir erfahren (sollen)?
Etliche Antworten auf die Einseitigkeit der Mediendarstellung lassen sich finden. Einige mögen vorschnell sein und zu vorschnellen Urteilen verleiten. Der Eindruck bleibt, dass hier Politik mit Informationen betrieben wird und es nicht um eine allseitig informierende Berichterstattung geht.
Sicher ist schwer zu benennen, wer oder was für diesen Krieg in der Ukraine verantwortlich ist. Die Organisatoren und Sprecher der neuen Montagsdemos meinen, die amerikanische Notenbank FED sei mitverantwortlich, wenn auch nicht allein. Diese Auffassung wurde heftig angegriffen mit dem Argument, hinter der Kritik an dem mächtigen Finanzinstitut stehe eine Kritik am „weltverschwörenden Finanzjudentum“. Die Mahnwachenredner führen dazu noch weitere Kriegsverantwortliche an: Branchen, die am Morden verdienen (Rüstungskonzerne, Finanzkonzerne, Rohstoffkonzerne), deren Anteilseigner, ein auf unendliches und ungerichtetes Wachstum fixiertes Wirtschaftssystem und natürlich Politiker. Letztere seien eh nur Marionetten von Konzernen und elitäreren Zirkeln.
Im Fokus der Kritik aber steht die der Medien als Kriegstreiber, die mit Begriffen wie „Presstitutes“ (Kofferwort aus Engl. für Presse und Prostituierte), „embedded“ (engl. für „eingefügt“) oder Propaganda und Zensur charakterisiert wird.
Es geht also auch um einen Kampf um die Informationshoheit: Große Verlage gegen Blogger? Westliche Medien gegen privat recherchierte und veröffentlichte Informationen aus Russland und China? Manipulierte oder doch glaubwürdige Zeugenaussagen? Geheimnisumwobene Eliten oder doch systemimmanente Fehler? Politikerwunschmalerei oder Stammtischschlussfolgerungen?
Noch eine Demo
Und dann gibt es noch eine Montagsdemo. Diese findet unweit vom Marktplatz alle zwei Wochen auf dem Boulevard statt und hat ihren Ursprung in Protesten die Einführung des ALG II und andere Sozialkürzungen. Sie distanziert sich ebenfalls von den MahnwachenprotestlerInnen, mit der gleichen Kritik wie die Gegenveranstaltung: „Eine kleine Gruppe von Privatbankern steuert im Geheimen die FED, saugt den Planeten aus und ist schuld an allen Krisen und Kriegen der letzten hundert Jahre“, so beschreibt ein Teilnehmer die Sichtweise der Mahnwacher in seiner Rede.
Wer demonstriert da?
Interessant ist die Frage nach der sozialen und politischen Verortung der TeilnehmerInnen. In Halle lässt sich da erst einmal kein eindeutiger Typus erkennen. Von Schüler bis Rentner ist altersmäßig alles vertreten. Vom DJ im Hartz-IV-Bezug, über einen Call-Center-Mitarbeiter, einen Studenten bis hin zum selbstständigen Software-Unternehmer – die Organisatoren kommen aus ganz unterschiedlichen Berufen. Eine Befragung des Instituts für Protest und Bewegungsforschung ermittelte in sieben großen Städten die politische Zusammensetzung der Teilnehmer: 22% lassen sich der politischen Mitte zuordnen, und 38% sich als eher links verstehen, 2% verorteten sich rechts von der Mitte. Der Rest, rund 39%, wollten sich nicht in das Rechts- Links-Schema einordnen lassen. 88% fühlten sich laut der Studie vom Presse-Echo zu unrecht in die politisch rechte Ecke gerückt. Nachdenklich macht: 91% der Befragten
empfanden die Demokratie als beste Staatsform, 24% der Befragten waren aber für „einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“. Im Moment werden es hier in Halle weniger Teilnehmer. Haben wir uns an den Krieg in der Ukraine und all die anderen Kriege auf der Welt schon wieder gewöhnt? Back to normality...
Wie nun umgehen mit all den Montagsdemos?
Eigentlich einfach: Hingehen und sich informieren. Die Frage ist, ab wann der Erkenntnisgewinn für eine Entscheidung oder ein Urteil ausreicht. Mit einigen Artikeln, wie diesem hier, ist es nicht getan. Also: Informieren Sie sich selbst, indem Sie sich mit den Veranstaltern aller drei Proteste verständigen. Gehen Sie hin, hören Sie zu oder lesen Sie nach, einige Reden gibt es auch in Schriftform, z.B. auf unserer Internetseite, die meisten via youtube.de – und fragen Sie nach! Fragen Sie alle Beteiligten, wer sie sind, woher sie kommen, warum sie mitmachen. Hören Sie (und das mal ganz generell) niemals auf, kritische Fragen zu stellen, das kann sicherlich auch montags nicht schaden! Hier kann man es guten Gewissens mit Tucholsky halten: „Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht. Ich glaube keinem, der sie gefunden hat.“
Matthias Woelki
Montagsdemonstration und Montagsmahnwache werden grob synonym verwendet. Im Grunde entscheidet jede regionale Veranstaltung selbst, welches dieser beiden Namen besser zu ihr passt.
Auch zum Thema: hallesche-stoerung.de/aktuell/montagsdemo-am-12-mai-politische-stoerung-stimmen-und-kommentare
+ Dazu hier ein Originalmanuskript von der Montagsdemo am 12. Mai 2014 in Halle/ von Martin B. geschrieben, gesagt und für die Störung zur Verfügung gestellt. Danke!
+ Dazu die Presseerklärung der Frankfurter Montagsdemo vom 04. Mai 2014