„Kein Politiker, keine Politikerin auch nicht meiner Partei die Linke wird unsere Probleme lösen wenn wir es nicht selbst tun. So liest man es auf der Website von aufstehen und genau das ist richtig.“ Für eine Spitzenpolitikerin im Wahlkampf ist solch ein Satz bemerkenswert und sprach den annähernd tausend im Saal anwesenden Menschen aus dem Herzen.
Nirgendwo sonst in der Republik ist die soziale Frage so offenkundig dringend wie in Leipzig und nirgendwo sonst ist die Sammlungsbewegung mit dem Namen #Aufstehen so lebendig. In jedem Leipziger Stadtbezirk treffen sich regelmäßig Basisgruppen und entsenden Ihre Vertretrer*innen in die Vollversammlung – wie die am 18. Januar im Felsenkeller.
Franziska Riekewald betonte als Auftaktrednerin die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen Basisbewegung und ihrer Partei. Neben der sozialen Frage und dem Aufstehen gegen Armut seien das der Kampf für Frieden, für eine gerechte Klimapolitik inklusive Verkehrswende und einem Kampf für weitere Demokratisierung und gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck.
Der Wahlkampf kam beileibe nicht zu kurz beim Gastauftritt der Spitzenkandidatin, die sowohl Mitglied im Parteivorstand als auch bei #aufstehen ist. Im Leipziger Stadtrat gebe es eine Mitte-Links-Mehrheit mit der Linkspartei als stärkster Fraktion und nun sei es nach tausend Jahren endlich Stadtgeschichte Zeit für ein weibliches Stadtoberhaupt.
"Gemeinsam aufstehen gegen Defender 2020"
Mit scharfen Worten rief Riekewald zu gemeinsamem Protest gegen das anstehende NATO-Großmanöver vor den Toren Russlands auf. Fünfundsiebzig Jahre nach der Befreiung Europas durch die Rote Armee sei das eine „ungeheuerliche Provokation“ und ein „Skandal ohne Gleichen.“ Auch der Protest gegen den Militärflughafen Leipzig-Halle müsse wieder aufflammen, forderte Riekewald; und die jüngste Ansiedlung eines Militärhubschrauberherstellers beileibe sei keine gute Nachricht für die Stadt. Aber auch die Militarisierung der Zivilgesellschaft durch die Auftritte der Bundeswehr auf Stadtfesten und in Schulen sei nicht hinzunehmen. Hier habe entschieden der Slogan „Kein Werben fürs Sterben“ zu gelten, sagte Riekewald vor tosendem Applaus.
„So kann es nicht weitergehen“
Ihre Anschlussrednerin Sarah Wagenknecht konstatierte dann zu Beginn ihrer Rede, dass der Gründungsimpuls von #aufstehen bis heute nichts an Aktualität verloren habe. Denn gerade in der sozialen Frage bewege sich überhaupt noch nichts, weshalb mehr Druck von der Straße unabdingbar nötig sei. Die Probleme spitzen sich weltweit und im Inland weiter zu und es sei spürbar, dass es so nicht weitergehen könne.
Die Regierenden dagegen mogelten sich weiter von einem Tag zum Nächsten, ohne irgendetwas zu verändern oder überhaupt nach Lösungen zu suchen. Weder werde der Niedriglohnsektor zurückgedrängt noch die Instrumente der Agenda 2010 wie „sachgrundlose Befristung“ aufgehoben, obwohl letzteres sogar im Koalitionsvertrag steht. Die fortschreitende Absenkung des Rentenniveaus bei Heraufsetzung des Renteneintrittsalter müsse bei ihrem richtigen Namen genannt werden: menschenverachtende Enteignung. Dass es anders geht zeige das Beispiel Österreich, wo ein Durchschnittsrentner 800 Euro mehr im Monat zur Verfügung habe.
Frankreich weit entfernt - warum eigentlich?
In Frankreich gebe es gegen solche Versuche erfolgreiche breite soziale Proteste, die in der hiesigen Presse kaum Erwähnung finden. Die Franzosen lassen sich „einfach weniger gefallen“, und das bräuchte es in Deutschland auch.
Besonders symptomatisch für die derzeitigen Debatten sei das moralisierende Ausspielen der Generationen und Schichten gegeneinander wie es zuletzt im Fall des umstrittenen WDR-Videos zu tragen kam. Sich über den Lebensstil von Armutsrentnern zu erheben und sie zum Hauptschuldigen am Klimawandel zu machen, schüre Aversionen gegen des Klimathema und biete reichlich Potenzial für die Rechten, sich dies zu nutze zu machen.
Im Verlauf ihrer fulminanten 45-minütigen Rede streifte Wagenknecht die bekannten wunden Punkte der Sozialpolitik: Der Renditezwang im Gesundheits- und Pflegesektor, die steigenden Mieten oder das chronisch unterfinanzierte Schul- und Studiensystem. Den Schlussteil widmete sie der akuten atomaren Gefahr in der derzeitigen neuen Rüstungsspirale.
Allen im Saal dürfte im Verlauf dieser Rede klar geworden sein, was für ein dramatischer Verlust der durch Mobbing erzwungene Rückzug von Wagenknecht aus der Parteispitze der LINKEN ist. Mit mehrheitlich opportunistischen und koalitionsfreudigen Salon- und Wohlstandslinken kann weder eine wirksame Opposition gegen Krieg und Sozialabbau noch eine Rot-rot-grüne Regierungsalternative, geschweige denn eine Wende im Rechtstrend gelingen .