Am 9.Oktober 2019 wurde Halle Zeuge eines rechtsextremistischen Terroranschlags. Gegen 13 Uhr versuchte Stephan B. in einer Kampfmontur aus Bundeswehruniform und Stahlhelm, sowie schwer bewaffnet, in die hallesche Synagoge einzudringen und so viele Menschen jüdischen Glauben wie möglich zu töten. Balliets wahnhafte Tat lässt die Grenzen zwischen Terror und Amoklauf verschwimmen.
Um möglichst viele auf einmal zu erwischen, hat sich der Täter den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ausgewählt. Zum Glück scheiterte er bereits am Eingang, dennoch tötete er im Blutrausch zwei Menschen, Jana L. und Kevin S., völlig willkürlich. Diese wahnhafte Tat lässt die Grenzen zwischen Terror und Amoklauf verschwimmen. Es gleicht einem Wunder, dass nicht mehr getötet wurden und dennoch kann keine Rede von Erleichterung sein.
Zwei Menschen wurden uns gewaltsam entrissen, aus niederen Motiven: Hass auf andere und ein wahnhafter Blick auf die Welt. Die von Rechten verhasste Welt, in welcher autoritäre Faschisten Opfer sind, Opfer einer offenen Gesellschaft, eines zwanglosen Miteinanders, eines Lebens, wo man sich erlauben kann selbst zu entscheiden wer man sein möchte, wo das Leben als solches Schnittpunkt aller Wertigkeiten ist. In dieser Welt fühlt sich der Faschist klein und erbärmlich, denn ohne individuelle Vorzüge brauch er den autoritären Apparat, in den er sich einfügen kann, ansonsten bleibt ihm nur der Wahn.
Stephan B. ist einer dieser Neonazis, die sich im Netz radikalisiert haben. Ein Einzelgänger und vermutlich ein Niemand im öffentlichen Leben. Vermutlich nicht mal unter Neonazis ein Name, jedenfalls nicht auf dem Radar der Polizei. Doch im Netz war er ein „Anon“ und ein Teil der „Alt-Right“-Bewegung. Dort hat er sich radikalisiert und hat wohl auch versucht sich selbst auf diesem Weg erst eine Bedeutung zu geben. Natürlich wurde er auch ein Anhänger der typischen Verschwörungstheorien, darunter die eines „Weltjudentums“, was Grund für alle Probleme sei. Ansonsten teilte er die typischen nationalistischen und anti-emanzipatorischen Wertvorstellungen der Alt-Right. Man kann jetzt bereits meinen, dass ich den Täter, welcher mit seiner Schreckenstat gerade an die Öffentlichkeit wollte, zu sehr thematisiere. Ich finde allerdings, dass wir uns definitiv damit auseinandersetzen müssen, was das für Menschen sind, welche solche Gräueltaten über uns bringen, denn wir müssen wissen, vor wem wir uns schützen müssen.
B. hat nicht ohne Vorbild gehandelt. Sein ganzer Tatablauf erinnert detailliert an das schreckliche Attentat in Christchurch. Er ist ein Nachahmer und wollte ebenso wie der Christchurch-Attentäter zur Nachahmung aufrufen, per Live-Stream und Manifest. Christchurch nd Halle stehen in einem grausamen Zusammenhang, es ist die blutige Entwicklung der Radikalisierung einer menschenverachtenden Ideologie. Es ist der niedere Ruf nach einer Welt, wo Menschen wieder nach Blut und Boden eingeteilt werden, wo dir vorgesetzt wird, wer du bist, was du zu mögen und wen du zu lieben hast. Es ist der Hass gegenüber Menschengruppen, die nicht in dieses Weltbild reinpassen. In unserem Fall der Hass gegenüber Juden, in Christchurch gegenüber Muslimen, in anderen Fällen gegen den „Westen“. Die Terroristen teilen sich den gleichen Wahn, seien es Neonazis, radikale Nationalisten oder Islamisten.
Wir müssen uns als Gesellschaft klar werden, dass es Kräfte gibt, die gegen unseren Frieden und gegen unsere Freiheit arbeiten, und uns besser gegen sie schützen. Um das zu begreifen, muss man selber nicht jüdisch, muslimisch, Antifa, homosexuell oder Teil irgendeiner „Randgruppe“ sein. Die beiden Opfer am Mittwoch waren es auch nicht, jedenfalls nicht erkennbar. Es reicht schon zumfalschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein, denn die rechtsextreme Ideologie hat keinerlei Achtung vor dem Leben. Dies zeigt sich unter anderem auch an den im Netz verbreiteten Wünschen 16-jährige Klimaschutz-AktivistInnen umzufahren oder zu vergewaltigen, aber auch an dem gefällten Bäumchen in Zwickau, was zum Gedenken an die Opfer der NSU-Morde gepflanzt wurde.
Bisher ist die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie dürftig. Unsere Politik gibt sich zwar besorgt wegen des erstarkenden Rechtsextremismus und rechtsextremer Morde, lässt jedoch tausend Rechtsextreme durch Berlin laufen, welche „Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick“ oder „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot“skandieren. Man kann sich die Frage stellen, ob der nationalistische Filz nicht Nutzenträger der wirtschaftskonservativen Politik ist, da die linken Kräfte sich sonst gemeinsamder sozialen Ungerechtigkeit, statt dem Kampf gegen Rechts widmen könnten. Warum sonst richten sich bei rechten Aufmärschen die Wasserwerfer fast immer gegen die Gegendemonstranten? Warum sonst stigmatisieren konservative Politiker und Medien Antifaschismus als linken Extremismus, während sich die Nazis immer mehr wagen und wieder mehr Menschen dem Rechtsextremismus zum Opfer fallen. Warum bekommt eine linke Politikerin einen Ordnungsruf für einen Antifa-Button, während „Vogelschiss der Geschichte“-Gauland und seine Partei, welche Faschisten wie Höcke beherbergt regelrecht als Liebling der Medien dasteht? Vielleicht, weil viele von uns dachten, dass uns der braune Mob nicht tangiert, solange wir nicht in einer der von ihm gehassten Randgruppen auffallen?
Nun sind zwei Menschen völlig unabhängig davon einem rechtsradikalen Mörder zum Opfer gefallen. Vielleicht erkennen wir jetzt, dass derrechte Hass jeden von uns treffen kann? An dieser Stelle möchte ich aber auch den 200 Hallensern danken, die an den darauf folgenden Tagen Mahnwachen gehalten haben und somit ein Zeichen gegen rechte Gewalt gesetzt haben. Ihr zeigt, dass es auch anders geht!