Die SCHAUSTELLE Halle führt auf der Giebichensteiner Oberburg „Das Grundgesetz Theater unter freiem Himmel in 19 Artikeln“ auf.
Man hat uns in diesem Jubiläumsjahr immer wieder mit dem ehrwürdigen Gründungsgesetz der Bundesrepublik konfrontiert: zum Beispiel lief im Deutschlandfunk eine eigene Reihe mit dem Titel „Mein Grundgesetz“ dazu, in der Bürger*innen den ihnen wichtigsten Artikel benennen und auslegen durften. Die ARD strahlte eine Sendungsreihe dazu aus, keine Zeitung ließ das Thema außenvor.
Und im Theater?? Kann man diesen gänzlich undramatischen Text auf die Bühne bringen? JA. Man kann. Die Schaustelle hat es bewiesen. Die 19 Grundrechte (Artikel 1-19) mussten es sich gefallen lassen, gegen den Strich gebürstet zu werden und dabei heftig Haare zu lassen. Der berühmte Art. 1 zum Beispiel, in dem es um die Menschenwürde geht, ohne dass geklärt worden wäre, was Würde eigentlich ist. Dafür bringt SCHAUSTELLE die römische DIGNITAS (Astrid Kohlhoff) auf die Bühne und lässt sie über die arbeitsreiche Neuzeit beschweren: heute solle jeder sie (die Würde nämlich) haben …
So nehmen sich die vier Darsteller*innen Artikel für Artikel vor, wobei der jeweils fällige auf einer Art Abreißblock angezeigt wird. Vor allem geht es um offenbare Widersprüche zwischen den Normvorgaben des Grundgesetzes und der sozialen Praxis. Zum Beispiel beim Freizügigkeitsartikel (Art. 11). Frei ist am Ende nur, wer genug Geld dafür hat, was zum Beispiel zur Begründung der Umzugsverbote für ALGII-Empfänger*innen verwendet wird. („Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden…“)

Striptease zum Sittengesetz
Auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2) kommt nicht ungeschoren davon: Von diesem Recht kann nämlich nur der Gebrauch machen, der nicht gegen das „Sittengesetz“ verstößt. Und was, bitte, ist dieses „Sittengesetz“?? Ein weitere „Schwammigkeit“ oder Unschärfe des Grundgesetzes, die auf der Bühne durch ein (demokratisch mehrheitlich vom Publikum gewünschtes) Striptease illustriert wird. Wo bleibt hier das Sittengesetz??
Manche Artikel werden mit Entsetzen, Ärger oder Unmut gleich vom Block abgerissen (sehr schön mit Ton unterlegt), weil ihre Diskussion müßig scheint (Art. 7 zum Beispiel: die staatliche Oberaufsicht über das Schulwesen).
Schließlich, da wird es schon dunkel auf dem Burgberg, gerät noch der Ewigkeitsanspruch ins Visier: hier tritt nun schwarzgewandet und in Nebel gehüllt der Tod auf und fragt nicht viel nach unseren Rechten. Bei einem Toten findet er ein Exemplar des GG und blättert mal darin: „Gleichheitsgebot“ (Art. 2) habe er schon immer und vollständig verwirklicht und über die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) kann er nur höhnisch schnauben.
Wunderbares, witziges und geistreiches Theater. Geeignet für Kenner*innen und Nichtkenner*innen. Letztere können sich am Schluss noch ein Exemplar vom GG mitnehmen.