Bis zu 90.000 Menschen haben in Hannover gegen die geplanten undemokratischen und intransparenten bilateralen Verträge TTIP, CETA und TISA demonstriert. Vertreter politischer Parteien und Gewerkschaften, von Umwelt- und Sozialverbänden sowie zehntausende Bürgerinnen und Bürger setzten einen Tag vor deren Besuch ein deutliches Signal an Obama und Merkel, die sich am Rande der Hannovermesse dort trafen.
Frank-Uwe Neis, Jahrgang 1963 und Betreiber eines Tonstudios in Halle, war in Hannover dabei und sprach mit der halleschen störung über seine Eindrücke und Gedanken.
Wie hast Du persönlich die Demonstration erlebt und welches Stimmungsbild könntest Du geben?
Friedlich, breitbandig, trommelgruppig, offensichtlich bundesweit – mit einem sehr bunten Teilnehmerspektrum. Von den Bauern mit ihren Losungen, ganz normalen Bürgern, vielen älteren Menschen bis hin zu Anarchogruppen oder Leuten mit Anonymous-Masken war alles zu sehen. Der komplette Cityring auf einer Länge von fünf Kilometern war voller Menschen und als der Demozug gegen 16 Uhr wieder auf dem Opernplatz ankam, gingen die letzten von dort gerade erst los.
Was ist Dir von der Abschlusskundgebung besonders in Erinnerung geblieben?
Auch die war groß organisiert, mit Bühne und Musik. Die Bundesvorsitzende der GRÜNEN, Frau Peter irritierte bei ihrer Rede etwas mit der Trennung zwischen „Wir“ und „Ihr“, als sie zur Menge sprach, in etwa: "Wir werden uns um das kümmern, was ihr da fordert". Das zeigte eine Distanz in der Haltung, als ob sie selbst nicht zu den Demonstrierenden gehörte. Und es roch auch ein bisschen nach Wahlkampf, als dann die Linkspartei bekräftigte, dass nur sie wirklich gegen TTIP sei. Es ist aber auch richtig, dass die Grünen mit Herrn Kretschmann und vor allem die SPD-Spitze sich sehr unklar positionieren. Für den SPD-Sprecher, einen Parteilinken, gab es dann sogar Pfiffe, die wohl eher Sigmar Gabriel galten.
Warum war eine Teilnahme in Hannover für Dich ein Muss?
Das Problem ist, dass Obama genau am Sonntag nach Hannover kam und dass er gerne in seiner Amtszeit das Abkommen durchsetzen möchte, bewusst durchdrücken sogar, obwohl viele Punkte noch gar nicht verhandelt, geschweige denn bekannt geworden sind. Das berühmte Chlorhühnchen war auf der Demo längst kein Thema mehr. Ich bin auch froh, dass diese Art Ablenkungsbanalitäten aus der Diskussion verschwunden sind. Von mir aus soll das Chlorhühnchen in unsere Regale einziehen, wenn es drauf steht und der Verbraucher sich entscheiden kann.
Für Abgeordnete gibt es mittlerweile zumindest die Möglichkeit der Einsichtnahme.
Ja, Parlamentarier dürfen reinschauen, aber sie dürfen kein Handy dabeihaben, keine Notizen machen, und vor allem dürfen sie nicht darüber reden was drinsteht. Das heißt aber, es gibt nach wie vor keinerlei Transparenz. Wenn man einen Freihandel haben möchte, über den gar nicht frei geredet und nachgedacht werden darf ist das ein Widerspruch an sich, aber im Grunde geht es ja auch gar nicht um Freihandel. Dass letztendlich Lobbyisten dran sitzen und selbst Politiker nur bedingt Zugang zu den Unterlagen haben, das spricht eigentlich schon Bände.
Das Wort Freihandel ist also ein Euphemismus? Welche Absichten erkennst Du dann dann dahinter?
Ich bin überzeugt dass der real existierende Kapitalismus die Demokratie nicht mehr braucht, diese sogar lästig wird. Und die Idee hinter diesen Abkommen ist eigentlich, eine bestimmte neoliberale Weltordnung so festzuschreiben, dass sie durch demokratische Prozesse gar nicht mehr änderbar ist.
Diese Spielart ist ja keine Naturgegebenheit, sondern ideologisch so gewollt, von bestimmten Kräften seit den 80er Jahren so auch ins Werk gesetzt worden. Und diese Spielart hat bewiesen, dass sie keine wirtschaftlichen Probleme lösen kann, sondern nur eine Umverteilung zu den beschriebenen 1 % der Superreichen bewirkt hat. Dieses System soll festgeschrieben werden, so dass selbst demokratische Prozesse, demokratische Wahlen, die vielleicht eine Rückkehr zu einer vielleicht sozialen Marktwirtschaft durchsetzen wollten, dies gar nicht mehr könnten.
Wodurch könnte Deiner Meinung nach die Demokratie per Vertrag ausgehebelt werden?
Weil zum Beispiel in den Schiedsgerichten die Großkonzerne klagen könnten auf erwartete Gewinne die sich wegen demokratischer Entscheidungsprozesse nicht eingestellt haben.
Ein bisschen drängt sich auch der Verdacht auf, dass die Konzerne der Realwirtschaft neidisch sind auf die Großbanken, die es ja geschafft haben, ihre durch Fehlspekulation geschaffenen Verluste sich vom Steuerzahler ersetzen zu lassen. Das System der Schiedsgerichte wird Ähnliches einführen. Ein durch demokratische Prozesse bewirkter Gewinnverlust wird eingefordert, so dass der Steuerzahler immer wieder dafür geradezustehen hat. So ein System können wir nicht zulassen.
Du hast keinen parteipolitischen oder sonstigen Bewegungshintergrund. Wie bist Du zum Anti-TTIP-Aktivisten geworden?
Ich hatte irgendwann campact-Rundmail gelesen, hatte mich mit dem Inhalt reichlich befasst, und dann mit einer Unterschrift erst mal den kleinstmöglichen Aufwand gehabt. Allerdings wurde ziemlich schnell klar, dass ich Willens und in der Lage bin mehr zu tun. Auch angespornt dadurch, dass ich glaube dass bei dem TTIP-Abkommen tatsächlich noch was erreichbar ist, habe ich mich auf die Straße gestellt und Unterschriften im rahmen der Europäischen Bürgerinitiative gesammelt. Das ist schon eine andere Erfahrung, reizvoll und spannend. Schlussendlich hat die europaweite Zahl von 3,3,Millionen Stimmen mir darin auch recht gegeben.
Wie siehst Du die Erfolge und Möglichkeiten der Protestbewegung, aber auch die größten aktuellen Gefahren?
Was mich optimistisch stimmt ist, dass ganz normale Leute mittlerweile doch ein sehr ungutes Gefühl bei TTIP haben, mit all den oberflächlichen Halbkenntnissen die sie haben, merken sie doch, dass da irgendwas schief läuft, dass da irgendwas faul daran ist. Was immer vergessen wird ist, ist das CETA und auch das TISA-Abkommen. CETA ist mit Kanada ausverhandelt, und es gab ja Überlegungen, es über trickreiche EU-Richtlinien einfach in Kraft zu setzen, wo niemand dann mehr zustimmen muss. Wenn man CETA aber in Kraft setzt, wird man TTIP kaum verhindern können, weil was man den Kanadiern zugesteht, muss man auch den USA zugestehen. Das TISA-Abkommen segelt immer so ein bisschen im Windschatten mit. Da get es ja eigentlich um freiere Rechte für globale Akteure im Dienstleistungssektor. Das heißt, wenn dann zum Beispiel große amerikanische Gesundheitskonzerne auf den Markt drängen und die ohnehin schon profitgedrängten Krankenhäuser oder die gesamte Gesundheitslandschaft mit noch mehr Leihkräften und anderem umkrempeln dürfen, da würden wir uns ganz schön umgucken. Davon ist also kaum noch die Rede, aber es birgt ganz große Gefahren, weil es in viele Bereiche, auch in kulturelle eingreift. Das reicht von der Buchpreisbindung bis zu staatlicher Förderung von Kleinkunstbühnen. Auch in den Bereichen soll privatisiert werden oder in einem freien Wettbewerb Mittel vergeben werden.
Was verärgert Dich als Demokraten und Bürger dieses Landes am meisten? Und wie sollte die politische Öffentlichkeit anders agieren?
Die größte Enttäuschung ist eigentlich die deutsche Sozialdemokratie, die in den letzten 150 Jahren mit Blut, Schweiß und Tränen Arbeiterrechte und demokratische Errungenschaften mit erschaffen hat. Und dass die nun nicht mal im Ansatz erahnt, wie leichtfertig das unter Umständen aufs Spiel gesetzt wird. In anderen Ländern sind zu derartig wichtigen Themen Volksabstimmungen möglich und üblich. Auch wenn diese rechtlich nicht bindend sind, machen sie doch deutlich wie wenig Rückhalt ein bestimmtes Thema in der Bevölkerung hat. Das hat das niederländische Referendum zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gerade erst vorgeführt.
Danke für das Gespräch...
Weitere unabhängige Medienberichte:
Stefan Korinth über die Demonstration in Hannover für TELEPOLIS
Marco Bülow (MdB) : "Mein Bericht aus dem TTIP-Leseraum" für Freitag.de