Ulrich Möbius ist stadtbekannt, nicht nur in der halleschen Vereinsszene. Überall, wo er auftaucht, sucht der Organisator vom Peißnitzhaus e.V. nach Verknüpfungspunkten und lotet Möglichkeiten zu fruchtbarer Zusammenarbeit aus. Selbstbewusst bezeichnet er sich als „Netzwerker vor dem Herrn“. Seine Stärke ist das Kommunizieren. „Jemanden treffen bedeutet, neue Welten tun sich auf.“ Mit seinem Prinzip „Versuch und Irrtum“ hat er schon viele zunächst unvorstellbare Vorhaben mit zum Erfolg geführt. Immer im Verein mit anderen. Das bisher größte Projekt: Ausbau des ehemaligen Pionierhauses im halleschen Naherholungsgebiet zum Ort kultureller Begegnungen. Aber auch hier galt zunächst: Erstmal klein anfangen. Nicht viel reden, sondern tun. Kurze, klare Konzepte verfassen. Scheitern, einen Schritt zurück machen und neu anfangen, ist für Möbius immer möglich. Man könne auch eine Sache ganz aufgeben. Natürlich nicht das Peißnitzhaus. Auch wenn wir zum Zeitpunkt des Interviews von seinem Bürofenster im dritten Stock der Burgstraße gerade einen großen See erblicken. „Jetzt, wo das Wetter schön ist, können wir nicht aufmachen. Das tut auch wirtschaftlich weh.“ Seinen Humor hat er jedenfalls nicht verloren, denn er lacht über das ganze Gesicht. Das wirkt ansteckend. Sobald das Wasser weg ist, geht der Ausbau weiter. „Am meisten werden uns die Nebengebäude zu schaffen machen. Das Haus selbst ist hochwassersicher.“ Aber die Flut sollte ja nicht Gegenstand dieses Artikels werden.
Möbius bezeichnet sich als „wendegeprägt“. Die Selbsterfahrung dieser Zeit hat seine persönliche Entwicklung entscheidend beeinflusst. Als 13jähriger war er bei den Montagsdemos dabei. „Ich gehe zum Friseur“ hat er zu Hause erzählt. „Ist natürlich sofort aufgefallen, dass ich nicht beim Haare schneiden war.“ Aus einem kirchlich geprägten Elterhaus stammend, erfolgte seine Politisierung bei der „Jungen Gemeinde“. Zudem war er eifriger Leser der Umweltbibliothek. Geboren wurde er „in einer Kleinstadt in Thüringen, in der er seine Jugendjahre nicht hätte verbringen wollen“. Allerdings vermittelte ihm die Umgebung auch bei späteren regelmäßigen Besuchen unvergessliche Naturerlebnisse. Uli, der von sich selbst sagt, er sei eher der Einzelgängertyp, würde sich diese Art „Walderfahrung“ auch für seine beiden Kinder wünschen.
Mit sechs Jahren zog er nach Halle, Silberhöhe, Straße der Aktivisten. Dort fand er den besten Abenteuerspielplatz, den man sich vorstellen kann. „Ein Paradies für Kinder“-Baugrube mit Hügellandschaft und halb fertige Häuser. Der pfiffige Junge wurde in der 3. Klasse an der Russisch- Spezialschule Dr. Kurt Fischer, heutiges Herdergymnasium, aufgenommen. „Es war die falsche Schule.“ Zum einen, weil sich zeigte, dass seine Begabung weniger in den Fremdsprachen lag. Zum anderen, weil er in der sozialistischen Eliteeinrichtung durch aufmüpfiges Verhalten auffiel. Sein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein gepaart mit aufbrausendem Temperament verärgerte die Lehrerschaft. Er wechselte die Schule und wollte Schäfer werden. „Irgendwo auf der Wiese kann mich der Staat mal.“ Und plötzlich wurde Mitgestaltung möglich. Die Pädagogen fuhren in den Westen, um sich über alternative Lernkonzepte zu informieren. Schüler konnten demokratisch über ihre Belange entscheiden. Uli engagierte sich.
Während die Lehrer bald schon auf die 1:1-Übernahme des BRD-Schulsystems eingestellt waren, blieb die Aufbruchsstimmung unter den Jugendlichen wach. „Am Cantor-Gymnasium gab es viele Freaks und ich fiel gar nicht auf.“ Der 16jährige entdeckte sein Faible fürs Zeitungsmachen. Er arbeitete im Büro für den „Spikker“, das überregionale Schülerblatt, bis nachts um Eins die letzte Bahn fuhr. Oftmals vergaß er Essen und Trinken darüber.
„Nach dem Abi wollte ich eigentlich weg, zum Beispiel nach Amerika. Aber das hat sich dann erledigt.“ Die Freundin, wegen der er blieb, ist bis heute dieselbe. Das Paar hat zwei Töchter, zwei und sechs Jahre alt. „Es ist schön, in Familie zu leben, auch wenn das bedeutet, dass man näher zusammenrückt, das Stress- und Streitpotenzial damit größer wird und weniger Zeit für die persönlichen Interessen bleibt.“
Mit der Organisation von Bandauftritten, Partys, Touren und Festivals setzte Ulrich sein Engagement fort. Hinzu kamen die Internetprojekte, die der „Computeraffine“ als Web-Designer betreute. „Ich bin ein Fan der 30-Stunden-Woche“, sagt er, „Alle, die länger arbeiten, machen oft was anderes – Kaffee trinken, mit Kollegen schwatzen, Tabellen schieben.“ Mit der Bürostelle für den Peißnitzhaus-Verein ist er voll ausgelastet.
Von morgens bis in die Nacht, wer E-Mails von ihm bekommt und auf die Absendezeit schaut, wird das bestätigen können. Dennoch hat er Spaß daran, immer wieder Neues anzuschieben. Warum nur ein Haus? Warum nicht ein ganzes Wohngebiet gemeinsam so gestalten, wie es sich die künftigen Mieter erträumen? Ein Ort, der ein neues Lebensgefühl wachsen lässt. Verbundenheit mit der Nachbarschaft bei gleichzeitiger Wahrung der Individualität. Kurze Wege, Ruhezonen, naturnahe Abenteuerspielplätze für Kinder, Werkstätten, Büros, Ateliers, Läden, Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe, Gemüsegärten, Restaurant, Schule – alles schnell zu Fuß zu erreichen. Warum nicht das Schlachthofgelände kaufen und „grüne“ Häuser aus nachhaltigen Baumaterialien errichten? „Wenn man das Gelände erstmal bespielt, kommen Leute und wollen mitspielen. Das gefällt mir.“ meint Möbius, der sich für Architektur und Stadtentwicklung begeistert und hier ein neues Betätigungsfeld für sich entdeckt. Sein erklärtes Ziel: Recht vielen anderen Menschen Selbstmacht und Gestaltungserfahrung ermöglichen.
Eine ganze Menge hat er schon erreicht.
Solveig Feldmeier
Foto: Streifinger 2013