Genossenschaften sind keine angestaubten oder „sozialistischen“ Unternehmen.Drei aktuelle Beispiele zeigen, wie es gemacht wird und was dabei herauskommen kann.
Verstaubte Sozialromantik geht den heutigen GenossInnen größtenteils ab, wie das Beispiel von Banken und Wohnungsbau- oder noch existierenden landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zeigt. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Rechtsform für ein gemeinschaftliches Wirtschaften, die zunehmend wieder beliebter wird. Während der Erfolg einer Kapitalgesellschaft an Gewinn und Börsenkurs gemessen wird, will die Genossenschaft Nutzen für ihre Mitglieder generieren. Mit dieser Wirtschaftsform scheint eine angemessene Reaktion auf die Zeichen der Zeit möglich.
Beispiel1: Bau- und Wohnungsgenossenschaft Ne-Na1 Zürich/Schweiz
Die kürzlich gegründete Genossenschaft bezweckt in gemeinsamer Selbsthilfe und Mitverantwortung, ihren Mitgliedern preisgünstigen Raum für Wohnen, Arbeiten und gemeinsame Nutzungen zu erschaffen und zu erhalten. NeNa1 organisiert soziale und bauliche Strukturen, welche selbstverwaltete, Existenz sichernde, ökologische und gemeinschaftliche Wohn-, Arbeits- und Lebensformen ermöglichen. Es wird ein lebenslanges Wohnrecht, behindertengerechtes und interkulturelles Wohnen angestrebt.
NeNa1 zielt einen durchschnittlichen Energieverbrauch von höchstens 2000 Watt pro Person an und orientiert sich an den Prinzipien der Erhaltung und Schaffung von Commons (Gemeingüter). Damit werden Alternativen zur gegenwärtigen gewinnund wachstumsorientierten Wirtschaft geboten.
NeNa1 (Neue Nachbarschaft1) ist ein Projekt von Neustart Schweiz, einer Initiative, die sich als territorialen Ausdruck einer globalen Umbaubewegung versteht. Sie bezieht sich auf Themen wie Postwachstum (décroissance), Relokalisierung, Klimagerechtigkeit, umfassende Demokratisierung der Wirtschaft, Ernährungssouveränität, Schaffung eines globalen Commons, Suffizienz und Resilienz.
Die Herausforderungen der Zukunft– Peak Oil, Klimawandel, ökonomische Krisen, verschwindende Lohnarbeit, Verknappung von Kulturland, Wasser und anderen Ressourcen – erfordern eine komplett neue Lebensweise. Unser Leben muss lokaler, synergetischer, gemeinschaftlicher werden. In eng vernetzten Nachbarschaften von etwa 500 BewohnerInnen, die zusammen haushalten, ist eine Ressourcen schonende Lebensweise ohne Verlust an Lebensqualität möglich. Der Zusammenschluss innerhalb von Quartieren macht überdies viele Dienstleistungen und Einrichtungen auch für Menschen mit kleinem Einkommen erschwinglich. Die Nachbarschaft hat eine eigene Versorgung mit in der näheren Umgebung erzeugten Lebensmitteln, ein großes Lebensmitteldepot (Lebensmittel zum Entstehungspreis– oder fast gratis, wenn das Land der Nachbarschaft selbst gehört), eine Großküche, Restaurants (mit Take-Away), Bars, Bibliothek, Secondhand-Depot, Reparaturservice, Wäscherei, Gästehaus, Bad, Geräteverleih, Kinderparadies usw. All dies ist natürlich nur machbar und bezahlbar, wenn alle Nachbarn ein gewisses Maß an Freiwilligen-Einsatz (z.B. drei Stunden pro Monat) leisten. Sie sparen dafür ein Mehrfaches an privater Hausarbeit, haben vielfältige soziale Kontakte und leben günstiger (2000 Franken/Monat/Person ist realistisch). Zugleich schaffen sie eine Lebensweise, die weniger abhängig ist von wirtschaftlichen Schwankungen, keinem „Wachstumszwang“ unterliegt und global nachhaltig ist.
www.nena1.ch/node/10
www.neustartschweiz.ch/de
Beipsiel2: Genossenschaft 2.0 - Internetmarktplatz Fairnopoly startet durch
Fairnopoly heißt eine neue nachhaltig orientierte Internet-Handelsplattform, deren Geschäftsziele nicht in der Gewinnmaximierung der Anleger, sondern in der Schaffung eines konsequent fairen und zugleich wirtschaftlich tragfähigen Unternehmensmodells zum Wohle aller Nutzerinnen und Nutzer liegen.
Als Rechtsform entschieden sich die InitiatorInnen für eine Genossenschaft. Diese wurde nach einer aufwendigen Crowdfunding- Kampagne im Dezember 2012 gegründet und im Mai 2013 im Genossenschaftsregister eingetragen. Die Investmentkampagne war mit einem Ergebnis von über 230.000 Euro die zweiterfolgreichste derartige Aktion in Deutschland überhaupt. Auf große Geldgeber wurde bei der Kapitalbeschaffung somit konsequent verzichtet. Vollwertige Genossenschaftsanteile wurden schon ab 50 Euro ausgegeben. Somit konnte sich so gut wie jede® ein Investment in Fairnopoly leisten und gleichzeitig ein Mitbestimmungsrecht über den Kurs des Unternehmens sichern. Fairnopoly will ebay, Amazon und anderen Big Playern im Internethandel eine Alternative an die Seite stellen und soll schon in den kommenden Monaten online gehen.
Beispiel3: Erfolsmodell mit Ausstrahlung: Die OYALesergenossenschaft Klein Jasedow
Die noch junge Zeitschrift OYA hat mit Themen wie Bildung und Philosophie, neues Denken und Handeln, alternative Lebensgemeinschaften, Permakultur oder Transition schnell eine breite Leserschaft in ganz Deutschland gefunden. OYA-Chefredakteuerin Lara Mallien betonte in einem Gespräch mit der „Halleschen Störung“, dass dieser Erfolg ohne die eigens dafür gegründete Lesergenossenschaft nicht möglich gewesen wäre.
„Wir sind kein konsumorientiertes Blatt, so dass selbst Bio-Firmen lieber in anderen einschlägigen Magazinen inserieren als bei uns“, erklärte die vielbeschäftigte Redakteurin, Bewegungskünstlerin und Projektvisionärin. Jede® zehnte OYALeser (in) sei Mitglied in der Genossenschaft, deren Anteile zu einem bewusst niedrigen Preis von je 200 Euro ausgegeben wurden. Wenn demnächst die Abozahl die Grenze von 4200 überschreitet, könne die Genossenschaft kostendeckend arbeiten. Was wäre, wenn in Zukunft sogar Überschüsse erzielt würden? „Dann können wir in der Hauptversammlung der Genossenschaft gemeinsam beschließen, was mit diesem Geld geschehen soll.“ Denkbar sei es zum Beispiel, Veranstaltungen oder Kampagnen zu organisieren oder ein kostenloses Abo für Genossenschaftsmitglieder einzuführen. Klassische Angestelltenverhältnisse werde es aber auch dann bei der OYA nicht geben.
Zum Projektnetzwerk am Redaktionssitz Klein-Jasedow gehören partnerschaftlich arbeitende Medienfirmen, ein Verlag, eine Instrumentenbaufirma und eine Akademie für Musik- und Ausdruckstherapie. „Durch diesen Organismus aus Menschen und Projekten wird unsere Arbeit an der Zeitschrift querfinanziert“, sagt Lara Mallien und verweist auf die Zukunft. Seit 1997 ist in Klein-Jasedow am Greifswalder Bodden ein beispielgebendes Netzwerk aus assoziierten Projekten, Firmen und einer freien Akademie entstanden – ein nach vorne offener Gemeinschaftsprozess, der viel mit gewachsenem Vertrauen und wenig mit klassischem Buisiness zu tun hat. OYA ist eine Zeitschrift, wo Mensch von derartigen Projekten in aller Welt erfahren und an den dort gelebten Ideen teilhaben kann.
www.zukunftswerk-kleinjasedow.de
Jörg Wunderlich