In den letzten Jahren haben in der nördlichen Innenstadt mehr Yogastudios als neue Cafés eröffnet. Ob es sich dabei nur um einen Lifetsyletrend oder ein echtes Zeichen von Bewusstseinswandel handelt, mag dahingestellt sein. Beate Kunze gehört zu den lokalen Akteuren dieser sichtbaren Veränderung.
Wenn Beate Kunze die Kletterrosen vor ihrem Studio pflegt, wirkt die erhöhte Eingangstreppe fast wie ein Balkon. Das Gärtnern muss sie erst noch lernen, sagt die Yogalehrerin und zählt auf, was vor dem Haus schon alles gewachsen ist, seit sie die ehemalige Ladenwohnung in der Robert- Blum-Straße zu ihrer eigenen Schule ausgebaut hat.
Ungefähr sechzig Schülerinnen und auch Schüler kommen regelmäßig in die „Yogaschule Lebendige Stille“ - Studenten, Angestellte, Künstler oder Akademiker in allen Altersstufen. Im Inneren der großzügig gehaltenen Räume herrscht sachliche Klarheit, aber keine kühle Strenge. Neben dem eigentlichen Übungsraum gibt es einen riesigen Vorraum mit Küchenzeile, Sitzecken und einer kleinen Yogabibliothek.
Die Teemischung im dampfenden Porzellanbecher trägt den Namen „Inners Wissen“. Zwei Jahre hatte die Suche nach einem geeigneten Standort gedauert, bis sie sich für das Paulusviertel entschieden hat, erinnert sich die vorwiegend schwarz gekleidete Mittvierzigerin. Vom Thema Stadttopografie ist es dann auch nicht mehr weit zu sozioökonomischen Betrachtungen: „Ich muss dahin, wo meine Schüler sind“, kommentiert sie ihre Ortswahl. Zwar kämen auch Menschen aus Neustadt und anderen Vierteln zum Üben, aber das Gros der
Yogainteressierten, die sich auch Privatkurse leisten, wohne nun mal in der Nördlichen Innenstadt. „Zu viel Wohlhabenheit löst aber immer auch ein bisschen zwiespältige Gefühle in mir aus“, bekennt die studierte Theologin mit ‚halbem Examen‘ und sehr viel Lebenserfahrung. „Das sind manchmal Kleinigkeiten wie Kinderklamotten oder Kinderwägen, an denen das sehr deutlich wird für mich.“
Weil die dreifache Mutter lange Zeit von fast nichts gelebt hat und weiß wie es ist, wenig Geld zu haben, versucht sie ihre Preise moderat zu halten. Dafür wird sie auch schon mal von Schülern belächelt, die in der Finanzbranche tätig sind. „Ich würde meine Kurse auch umsonst geben, aber dazu müsste es ein geregeltes Grundeinkommen geben“ fügt sie nachdenklich hinzu.
In ihrer wachen Ernsthaftigkeit weder dem ewig optimistischen Fitness-Typ noch einem sphärischen Esoterik-Klischee. Die erste Berührung mit der Yoga-Philosophie und- lehre machte sie beim Studium im Fach Religionswissenschaften. Da war von Atemübungen die Rede, mit denen man den Geist schulen und beruhigen könne.“ Das habe ich dann vor einer Prüfung im Flur ausprobiert und es lief sehr gut“, schildert sie ihre persönliche Schlüsselerfahrung.
Später beim Praktikum in einer dörflichen Pfarrgemeinde bestellte sie sich bei einem fliegenden Buchhändler ein Lehrbuch und übte tapfer jeden Tag. Durch das Yoga wuchs dann auch die Kraft für die jahrelang dahinschwelende Entscheidung, das Studium nicht zu beenden und keine Pfarrerin zu werden. „Keine kluge Entscheidung, trotzdem eine richtige Entscheidung“, weiß Beate heute. Die Geburt der ersten Tochter gab die nötige Kontinuität nach dem Studienabbruch. Es dauerte dann noch weitere fünf Jahre, bis der Entschluss für eine professionelle Yogaausbildung herangereift war. Die Zwischenstationen bis dahin: 18 Monate Physiotherapie-Ausbildung, Kultur- und Medienpädagogik bis zur Zwischenrpüfung und Erziehungszeiten.
„Jetzt bin ich hier. Wohin mich der Yogaweg führt, weiß ich immer noch nicht.“, sagt sie lächelnd und zählt sprudelnd ihre aktuellen Gewissensfragen auf: Was sind meine Aufgaben als Yogalehrerin, wo sind Grenzen, was sind die Fettnäpfchen des Lehrerseins, was wollen meine Schüler von mir und inwiefern bediene ich diese Wünsche, wann und wie viel fordere ich trotz aller Behutsamkeit heraus, inwieweit beeinflusst mich meine Umgebung, der Markt und die Yogaszene?“
Was geschehen könnte, wenn aus dem Yogaboom tatsächlich eine Massenbewegung werden würde, die die große Mehrheit der Menschen zum täglichen Praktizieren bringt? Dann bestünde die Chance, antwortet sie ohne lange Überlegungen, dass die Menschen weniger Illusionen über sich selbst haben, sich selbst ehrlicher wahrnehmen könnten, ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten. Es gebe möglicherweise mehr Verständnis für die anderen und mehr Mitgefühl. Oft regiere doch im Alltag das totale Machtspiel: Ich besser als Du, Du schlechter als Ich, Ich mehr wert als Du … „Das könnte sich verändern, es würden solidarischere Formen des Zusammenlebens entstehen.“
In der Politik würde sie sich selbst miss-trauen, gibt sie zu, eventuell den Blick fürs Ganze und das Mitempfinden verlieren. „Je mehr Leute man hat, die einem vertrauen, die einen bewundern, um so mehr muss ich aufpassen, dass mich das nicht zu sehr bauchpinselt.“ fasst sie ihre Skepsis zusammen.
Bei diesen großen Themen wirkt Beate Kunze sichtlich zufrieden mit ihrem heutigen Handlungsfeld, in welchem sie konkret an der Basis Menschen bei ihrer persönlicher Entwicklung begleitet. Mit vielen ihrer Schüler verbindet sie mittlerweile eine freundschaftliche Ebene und auch mit einigen Kolleginnen gibt es sehr engen Austausch. Trotzdem könne jeder Lehrer nur das lehren kann, was er selbst verinnerlicht hat, weshalb die eigene Yogapraxis entscheidend bleibt.
Ihre Yogaschule sieht sie darum auch als ihren eigenen Lern-Ort an. Manchmal könne eben auch ein Schüler in bestimmten Bereichen sehr viel mehr Yoga leben, als es für sie selbst bislang umsetzbar ist und dann könne sie von ihm dazulernen.
„Versuchen und Scheitern gehören zum Lernen dazu, also muss man es sich selbst auch erlauben. Diese Aufrichtigkeit ist mir sehr wichtig. Entscheidend sind aber nicht die Worte, sondern das Tun.“
Yogaschule Lebendige Stille
- Beate Kunze -
Mitglied im Bund Deutscher Yogalehrer
Robert-Bum-Str. 6
06114 Halle (Saale)
Tel: 0345/ 5 22 32 80
e-mail: yoga@beate-kunze.de
Jörg Wunderlich