In Sachsen-Anhalt erleben wir eine schleichende Bildungskatastrophe. Passiv schaut die Landesregierung zu, wie die Schere zwischen wachsendem Lehrerbedarf und real sinkenden besetzten Stellen immer größer wird. Lehrer, Eltern und Schüler wissen: Das Schulsystem ist am Limit angelangt. Ein Bündnis aus Elternvertretern, Gewerkschaften, Schulverbänden und Linkspartei will die unhaltbaren Zustände mit einem Volksbegehren stoppen und die Politik zum Handeln zwingen. Wichtigste Forderung dabei: feste Personalschlüssel per Gesetz.
Ort: Eine kleine Gemeinschaftsschule im Harz. Der Schulleiter ist am Ende des Schuljahres in den Ruhestand gegangen, nachdem er sein Berufsleben bereits um ein Jahr verlängert hatte. Die Stellvertretende Schulleiterin leitet die Geschicke, unterzog sich im September allerdings einer dringend notwendigen Operation, für die es eine längere Genesungszeit braucht. Ihre derzeitige Stellvertreterin musste Ende September ebenfalls ins Krankenhaus, auch hier ist baldige Rückkunft ausgeschlossen.
Die Schulleitung ist jetzt eine junge Frau aus dem Kollegium, die „nebenbei“ ihre volle Stundenzahl absolvieren muss, einen Teil davon sogar an einer anderen Schule. Bewundernswert, wie sie die Verantwortung trägt, die mit immenser Büroarbeit verbunden ist. Eigentlich steht ihr eine Sekretärin zur Seite, aber wenn diese ausfällt …
„Kürzlich wurde eine Liste herumgereicht, auf der alle eintragen sollten, welche Fächer sie sich noch zutrauen.“
Seit Beginn des Schuljahres fehlt ein Techniklehrer. Die Stelle ist für Quereinsteiger ausgeschrieben. Bisher gibt es keine Interessenten. Der Sportlehrer ist auf Grund einer Operation seit den Sommerferien im Krankenstand. Die Sportlehrerin, die eigentlich auch Geografie unterrichten möchte, macht nur noch mit vollen Klassen Sport und ist davon verständlicherweise nicht begeistert. Der Stundenplan wurde so umgebaut, dass möglichst wenig ausfällt. Es wird viel fachfremd unterrichtet. Kürzlich wurde eine Liste herumgereicht, auf der alle eintragen sollten, welche Fächer sie sich noch zutrauen.
Da es eine Schule ist, zu der viele Schülerinnen und Schüler per Bus oder Taxi gebracht werden, ist einfach mal nach Hause schicken gar nicht möglich. Das bedeutet, dass die anwesenden Kolleginnen und Kollegen seit Anfang des Schuljahres am Limit arbeiten. Auf die vier Vertretungsstunden, die einer Lehrkraft verpflichtend pro Woche auferlegt werden können, kommt jeder, auch diejenigen, die eigentlich Teilzeit arbeiten und entsprechend weniger verdienen.
„Neue Technik allein, wird es nicht richten.“
Hinzu treten die Probleme mit verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern, die gelöst werden müssen. Also Schülergespräche, Elterneinladungen, außerplanmäßige Klassenkonferenzen. Das soll hier nicht das Thema sein, aber meine Beobachtung ist: Unsere Gesellschaft ist völlig hilflos im Umgang mit Smartphones und Internet. Die Folgen tragen unsere Kinder: Minimale Aufmerksamkeitsspanne, minimale Belastbarkeit. Generation Schneeflocke nennt man sie, habe ich kürzlich irgendwo gehört. Doch, das ist ein wichtiges Thema! Wir brauchen ausgebildete Medienpädagogen an den Schulen! Neue Technik allein, wird es nicht richten.
Die mit dem Smartphone aufgewachsenen Kinder spüren ihre eigenen Grenzen nicht und geraten deshalb ständig in Konflikt mit Klassenkameraden. Lehrerinnen und Lehrer müssen ein Auge darauf haben, dass es ein Klima in den Klassen gibt, in dem sich alle wohlfühlen. Damit sind wir allerdings überfordert. Soziale Arbeit, die solche Aufgaben übernimmt und Kinder für ihr Umfeld sensibilisiert, gibt es schon seit einigen Jahren an diesem Schulstandort nicht mehr. Früher muss das einmal richtig gut funktioniert haben. Noch heute schwärmt man im Ort von dem, was die engagierte Sozialarbeiterin alles auf die Beine gestellt hat.
„Wir fühlen uns verheizt und von der Landesregierung allein gelassen.“
Als Gemeinschaftsschule beinhaltet unser Konzept auch Inklusion. Das heißt, Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf besuchen unsere Schule und haben ein Anrecht auf stundenweise individuelle Betreuung durch Sonderpädagogen. Der zuständige Kollege ist im vergangenen Jahr langzeiterkrankt und schließlich aus dem Dienst ausgeschieden. Sein Nachfolger ist jetzt auch langzeiterkrankt – wir wissen nicht, ob und wann er wiederkommt. Eine junge Kollegin, die sich in dem Bereich fortgebildet hat, steht zwar theoretisch zur Verfügung, muss aber jetzt erstmal den Vertretungsunterricht absichern und ist außerdem auch noch an einer anderen Schule im Einsatz.
Von unseren 17 Kolleginnen und Kollegen werden im kommenden Schuljahr zwei in den Ruhestand gehen. Weitere sechs sind um die Sechzig.
Wir fühlen uns verheizt und von der Landesregierung allein gelassen.
Solveig Feldmeier
- Unterschriftsbögen zum download
- Hinweise zum Ausfüllen
Liebe Eltern und Großeltern, Schülerinnen und Schüler,
liebe Lehrkräfte und Schulleitungen,
liebe Bürgerinnen und Bürger,
liebe Mitstreiter*innen von Eltern- und anderen Initiativen zum Thema Bildung im Land,
Wir wollen einen realistischen Eindruck von der tatsächlichen Situation in unseren Schulen erhalten und diesen möglichst auch in der Öffentlichkeit vermitteln. Aus dem Bildungsministerium erhalten die Eltern, die Medien oder auch die Abgeordneten im Landtag und in den Kommunalparlamenten, keine Informationen zu bestehenden Problemen. Denn nach Meinung des Bildungsministers wurde und wird ja bereits alles Erforderliche getan, um eine gute und stabile Lehrkräfteversorgung zu gewährleisten. Wir sind uns aber sicher, dass uns und den Menschen im Land nur eine Scheinwelt vorgegaukelt wird.