Im Südharz könnte bald das 17. deutsche UNESCO-Biosphärenreservat entstehen - und damit riesige Chancen für den Tourismus und die ganze Region. Bislang aber wehrt sich eine Gemeinde mit allen zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln gegen die Umsetzung der ausgearbeiteten Konzepte. Das hat bislang eine siebenjährige Verzögerung zur Folge. Ein Kommentar von Waldemar Hein.
Ralf Rettig, gewesener LPG-Schlosser, früheres CDU-Mitglied und voriges Jahr als Parteiloser wiedergewählt, kämpft als Bürgermeister von Rottleberode mit einigen Unentwegten aus der örtlichen Industrie- und Handelskammer gegen wahlweise die Naturschützer, das Land sowie Gott und die Welt, letztlich gegen alle, die ein Biosphärenreservat in der Karstlandschaft Südharz entwickeln wollen. Das heißt ein Gebiet, wo Mensch und Natur in Einklang leben und sich entwickeln sollen, so die Ideengeberin UNESCO.
Immerhin hat der Bürgermeister mit seiner Klage gegen eine „Allgemeinverfügung“ des Landes zur Ausweisung des Biosphärenreservats eine siebenjährige Hängepartie um den Rechtsstatus des Gebiets ausgelöst. Mit der Folge: Rechtlich gesehen existiert das Biosphärenreservat nur auf dem Papier. Und dass, obwohl sich das Verwaltungsgericht Halle Ende vorigen Jahres endlich durchrang, die Klage abzuweisen - aus gutem Grund. Aber was wäre ein Urteil, wenn es nicht noch ein juristisches Schlupfloch gäbe. Und so liegt nun, obwohl eine Berufung nicht zugelassen, beim Oberverwaltungsgericht Magdeburg ein Antrag der Gemeinde Südharz auf Zulassung einer Berufung vor, trotz Gegrummel im Gemeinderat. Entscheidung offen. In weiter Ferne auch die UNESCO-Anerkennung, die nicht nur einen Rechtsstatus voraussetzt, sondern auch ein unterschriebenes Bekenntnis aller Bürgermeister zu den Zielen des UNESCO-Programms „Der Mensch und die Biosphäre“. Mit Herrn Rettig nicht zu machen.
Nur eine Provinzposse?
Naheliegend wäre, das Ganze als eine der üblichen Provinzpossen abzutun: Gallisches Dorf verteidigt sich gegen scheinbar übermächtige Römer, sprich Naturschützer. Ginge es „nur“ um Rottleberode, könnte man sagen, okay, dann eben ohne euch. Geht es aber nicht, besser nicht mehr. Denn inzwischen ist nach dem Zusammenschluss zur Verbandsgemeinde Südharz ein Großteil des Biosphärenreservats betroffen und in der Folge eine ganze Region. Betroffen ist eine zwar schöne, aber strukturschwache Gegend, gelegen zwischen Stolberg und Sangerhausen auf einer Fläche von rund 30 000 Hektar mit knapp 40 000 Einwohnern, die im Gebiet oder in unmittelbarer Nähe leben. Kleine, vielfach hübsch restaurierte Fachwerkstädtchen prägen sie. Und eine markante, sagenumwobene Landschaft ringsherum mit schroffen Gipsfelsen, Höhlen, mit Wildkatzen und Schwarzstörchen sowie ausgedehnten Buchen- und Eichenwäldern, die schon seit bald hundert Jahren besonderen Schutz genießt.
Ein UNESCO-Biosphärenreservat böte das Potenzial, dass die Einheimischen viel mehr als bisher von ihren Naturschätzen profitieren und sich ihre Region stärker entwickeln könnte. Eine Chance, um die viele andere Gegenden sie beneiden. So könnte der Südharz mit einem UNESCO-Label versehen locker in einer Reihe mit Serengeti, Ayers Rock und den Niagara-Fällen stehen, die zum weltweiten Netz der derzeit 669 UNESCO-Biosphärenreservate in 120 Ländern gehören. Bürgermeister Rettig will das alles nicht.
So wird mit fadenscheinigen Argumenten und Vorurteilen eine ganze Region in Mithaftung genommen: Die Landwirtschaft würde leiden, weil keine Gülle auf die Äcker gekippt, kein Dünger mehr ausgebracht werden dürfte. Die Forstwirtschaft ginge den Bach runter, weil der Holzeinschlag drastisch reduziert würde. Ganz zu schweigen von der Gipsindustrie, die ihre Koffer packen könnte. Und überhaupt, es würden Investoren verschreckt und Arbeitsplätze vernichtet. Belegt ist das alles nicht. Es ist auch nicht belegbar. Denn die bestehenden 16 deutschen UNESCO-Biosphärenreservate zwischen Wattenmeer und Watzmann zeigen, dass genau das Gegenteil der Fall ist.
Entwicklung statt Käseglocke
Schon aus dem Konzept der UNESCO für die Biosphärenreservate geht hervor, dass es sich eben vielmehr als nur um ein klassisches Naturschutzgebiet handelt. Hier soll der Mensch wieder lernen, was ihm spätestens im Industriezeitalter abhanden kam: in Einklang mit der Natur zu leben und zu wirtschaften, ohne Raubbau an den Ressourcen zu betreiben. Kein Museum, keine Käseglocke ist geplant. Nachhaltigkeit heißt das moderne Schlagwort und bedeutet eben gerade auch wirtschaftliche und soziale Entwicklung: Etwa regionale Produkte zu vermarkten und damit Menschen in Arbeit zu bringen, Infrastruktur zu erhalten, Abwanderung zu stoppen, den Tourismus anzukurbeln, traditionelle Landschaften zu pflegen, Bildungs- und soziale Angebote zu fördern. Alles mit und für die einheimische Bevölkerung. Dazu braucht es Land- und Forstwirtschaft, nicht einmal zwingend ökologisch ausgerichtet, auch der Gipsabbau hätte seinen Platz. Nur aus drei Prozent der Fläche, den Kernzonen, müsste sich der Mensch gänzlich zurückziehen und sie ihrer Entwicklung überlassen. Im Südharz sind diese Gebiete schon längst ausgewiesen.
Das Biosphärenreservat lebt
Die gute Nachricht: Ungeachtet der juristischen Querelen lebt das Biosphärenreservat Südharz. So gibt es eine Reihe von Initiativen und Projekten , die das Biosphärenreservatskonzept erfolgreich umsetzen, darunter zur Offenhaltung von Landschaft mit ihren typischen Streuobstwiesen durch Beweidung, zur Obstvermarktung gemeinsam mit den Naturparken Harz und Kyffhäuser bis hin zur Beteiligung an ÖPNV- und Mobilitätskonzepten sowie die Erarbeitung von Bildungsangeboten für Schulen, Kitas und Jugendherbergen. Getragen wird das vielfach auch von Ehrenamtlichen. Aber: Da wäre mehr drin. Gerade eine UNESCO-Anerkennung lockt verstärkt Touristen, hat die Universität Würzburg herausgefunden und mit konkreten Zahlen für die Biosphärenreservate in ganz Deutschland belegt.
Warum Bürgermeister Rettig das alles nicht wahrhaben will, bleibt sein Geheimnis. Schon ein Gespräch mit den Kollegen im benachbarten Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe hätte ihn eines Besseren belehren können. Die zig Bürgermeister in Deutschland, die bereits eine UNESCO-Anerkennung unterschrieben haben, zählen für ihn nicht. Dass andere Gebiete erweitert werden, wie das Biosphärenreservat Rhön, sich ein ganzer Landkreis Berchtesgadener Land dazu entschließt, Biosphärenreservat zu werden oder ganz neue Gebiete wie der Schwarzwald in die weltweite Liste streben – was soll’s.
Charmeoffensive aus Magdeburg bleibt bislang aus
Und die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, wo war die? Die nötige Charmeoffensive für ein Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz blieb jedenfalls aus. Stattdessen Leisetreterei aus Unsicherheit über den Ausgang des Verfahrens und den möglichen politischen Schaden. Glücklicherweise erwies sich die Androhung von Konsequenzen des vormaligen Umweltministers Aeikens nach einem vergeblichen Versuch, sich mit Bürgermeister Rettig zu einigen, als Theaterdonner. Befürchtungen, dass das Land die Biosphärenreservatsidee aufgeben und die Verwaltung auflösen könnte, bestätigten sich nicht. Die neue Landesregierung hatte immerhin den Mut, ein UNESCO-Biosphärenreservat Südharz in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Thüringen steht sogar für ein länderübergreifendes Schutzgebiet bereit.
Aber so ein zweites Biosphärenreservat, das wär schon was, dachten sich die Magdeburger Landespolitiker wohl und kamen darauf, den Naturpark Drömling kurz vor den Toren von Wolfsburg gemeinsam mit Niedersachsen zum Biosphärenreservat aufwerten zu wollen. Aber wie man hört, steht die Zustimmung der Stadt Oebisfelde schon geraume Zeit aus…
Waldemar Hein
Die Betonköpfigkeit ist wohl eher auf Seiten der Landesregierung zu suchen und die anonym bleibenden Büttel der bundespolitischen Herrscherkaste beißen sich wieder nur an einer Person fest. Versucht doch mal, auf Kommunalpolitik und Wirtschaft vor Ort zuzugehen!