Die kleinen gelben Karten werden als Stimmkarten in den Sitzungen des Halleschen Stadtrates benutzt. Dies erleichtert die Auszählung und hat noch andere Vorteile ...
Hey! Sie haben meine Haltestelle „Am Stadtbad“ abgeschafft! Keine Haltestelle mehr für die neue Jugendherberge, das Stadtbad oder die kleinen Läden dort. Meine Stadträte haben meine Interessen verraten! Bei der nächsten Wahl werde ich sie abwählen!
Ich will wissen, wer gegen meine Interessen abgestimmt hat. Wer hat den öffentlichen Verkehr in der Stadt beschädigt? Wo ist die Niederschrift, das offizielle Protokoll des städtischen Verfahrens?
Ja ... dort. Jetzt werde ich die verantwortlichen Stadträte herausfinden. Ich durchsuche bis ... „Abschaffung...der Haltestelle...“
Und hier ... eine Überraschung: „Mehrheitlich zugestimmt“
Wie bitte? Wer ist nur „Mehrheit“? Keine natürliche Person, keine Partei ist dort gelistet.
In Wahlkämpfen wird von den Parteien und Kandidaten immer wieder
betont, dass die Wahlhandlung der Moment ist, an dem die Bürger ihre Vertreter wählen können. Jene Vertreter, die für die nächsten fünf Jahre, die wichtigen und richtigen Entscheidungen zu den Anliegen der BürgerInnen treffen werden.
Eine große Verantwortung für die Abgeordneten. Wie Spidermans Onkel Ben sagt: „Mit großer Macht kommt große Verantwortung.“
Aber wer trägt hier bei der Abschaffung der Haltestelle die Verantwortung?
Niemand! Das ist das schmutzige kleine Geheimnis der zeitgenössischen Politik. Kein Abgeordneter muss die Suppe auslöffeln – es gibt für Parlamentarier keine „Produkthaftung“. Es herrscht kosmische Glückseligkeit.
Sie denken nun sicher, dass Sie, die BürgerInnen, vom Geld in der Politik, Hinterzimmerkungeleien in gemütlichen Restaurants oder einem Mangel an Bürgerbeteiligung entmachtet wurden.
Sicher, so etwas hat mitunter auch Einfluss.
Aber es kommt ja stets auf die Abstimmungshandlung im Stadtrat bzw. im Landtag an.
Im jetzigen „Gelben Karten System“ können die Mandatsträger abstimmen, wie sie wollen - oder wie deren Partei will. Und niemals müssen sie sich sorgen, ob ihre Abstimmung ihren künftigen Platz im Rat gefährden wird, ob sie abgewählt werden, weil die WählerInnen nicht sehen können, dass ihre Interessen verraten wurden.
Ist das nicht schön? Gelebte partizipatorische Demokratie.
Machen Sie Ihr Internet oder Fernsehen um 20 Uhr am letzten Mittwoch des Monats an. TV-Halle. Ihr Stadtrat steht auf der öffentlichen Bühne, Sie zu „bezaubern“.
Und die zaubern wirklich. Ihre Aufmerksamkeit wird auf Unwesentliches gelenkt. Man schaut auf eine Handbewegung - aber die wesentliche Handlung ist woanders. Schauen Sie mal auf die schönen gelben Stimmkarten. Gibt es viele? Gibt es wenige? Wer hat gewonnen?
Die StadträtInnen haben gewonnen, weil Sie gar nicht bemerkt haben - und nicht bemerken konnten, wer in welcher Art abgestimmt hat.
Wer hat verloren? Sie, weil: wenn die nächste Wahl kommt, können Sie nur nach den vielen Wahlplakaten und Wahlflugblättern und dementsprechenden Wahlversprechen entscheiden.
Wer hat eigentlich seine Versprechen gehalten? Sie können es nicht wissen. Die gelben Karten verstecken alles.
Seit über einem Jahr haben in Halle alle Stadträte ein schönes Tablet mit Touchscreen.
Nach Auskunft von IT Consult, dem städtischen Computer-Dienstleister, wäre es ziemlich einfach, wenn die richtige Software gekauft wird, das Programm so zu gestalten, dass jede Abstimmung eine namentliche Abstimmung wird.
Die letzte „Hallesche Störung“ und unserer Webseite berichtete über den traurigen Zustand des zeitgenössischen amerikanischen politischen Systems.
Aber im Morast der amerikanischen Politik gibt es ein einzigartiges, schönes Beispiel für Halle und Sachsen-Anhalt: Die Abgeordneten-Punktekarte (Scorecard).
Im U.S. Congress wurde die elektronische Abstimmung erst ab 1973 eingesetzt. Dank regelmäßiger elektronischer Abstimmungen im Kongress und in den Landesparlamenten kann jederman genau wissen, wie Abgeordnete, als Interessenvertreter der Bürger, bei jedem Gesetzentwurf abgestimmt haben.
Congressman Steve Cohen, Congressabgeordneter von Memphis, Tenneesse, schließt bei seiner Webseite eigentlich alle verschiedenen politischen Punktekarten ein. Dort kann man über alle politische Themen genau lesen, wie er abgestimmt hat. Man sieht ganz klar, ob seine Wahlversprechen, Reden und Behauptung zu seinen Abstimmungen passen. https://cohen.house.gov/legislative-work/vote-ratings
Stellen Sie sich das hier in Sachsen-Anhalt und Halle vor! Sie könnten sich über das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten tabellarisch informieren. SCHOCK! Welcher Stadtrat hat meine Stadtbad-Haltestelle abgeschafft? Aha!
Denken Sie dann an die nächste Wahl. Politische Umwälzung! Neue Gesichter! Bürgerfreundliches Verhalten von allen StadträtInnen.
Natürlich, soll diese Methode auch in den Ausschüssen benutzt werden.
Denken Sie nun an die Zeit zwischen den Wahlen. Dann wird wohl mehr Rücksicht auf die Interessen der Wähler genommen. Dann wird man wissen, ob das Ziel eines Stadtrates eigentlich aus der Liebe und dem Dienst am Menschen stammt. Das neue Verhalten der Abgeordneten würde auch in die Verwaltung einfließen.
Dazu werden der Einfluss von Geld, Hinterzimmerkungeleien und (inoffizielle, aber rechtswidrige) Fraktionszwangsabstimmungen verringert.
Neulich beim SPD-Parteitag wollten die Mitglieder zum ersten Mal in ihrer Geschichte ihre Spitzenleute mit Tablets komplett digital wählen. Bei der Wahl hatte es eine Technik-Panne gegeben und Stimmzettel wurden verteilt. Na schön. Auf jeden Fall ist jetzt die Katze aus dem Sack gelassen worden. Die digitale Wahlzettel-Revolution hat begonnen. Sie ist unumkehrbar.
Es gibt nur ein Hindernis bei der Umsetzung dieses Plans: der Stadtrat selbst. Man kann ziemlich sicher sein, dass, wenn es zur Abstimmung im Stadtrat kommt, die gelben Karten schnell und wild hoch fliegen werden! Kein Stadtrat wird zugeben, dass er gegen echte Transparenz ist. Aber wenn eine solche Abstimmung kommt, und die StadträtInnen nicht für die digitale Wahlrevolution und Onlineprotokollierung der Voten stimmen, ....
... dann zeigen sie nur eines: sie wollen einfach nicht für ihre Entscheidungen persönliche Verantwortung tragen. Die Bürger werden ihnen das aber nicht mehr lange durchgehen lassen.
Congressman Steve Cohen, Kongressabgeordneter von Memphis, Tenneesse, schließt bei seiner Webseite eigentlich alle verschiedenen politischen Punktekarten ein. Dort kann man über alle politische Themen genau lesen, wie er abgestimmt hat. Man sieht ganz klar, ob seine Wahlversprechen, Reden und Behauptung zu seinen Abstimmungen passen. https://cohen.house.gov/legislative-work/vote-ratings
Die Webseite „VoteSmart“ sammelt alle Punktekarten bezüglich aller Themen und aller Gruppen.
https://votesmart.org/interest-group/1833/rating/5935#.Vmqh_17PJ-s
Wie in unserem Artikel über den Wahlprozess in den USA beschrieben, sind amerikanische Wahlkämpfe durch Spenden finanziert. Das führt zu schmutzigen politischen Geschäften. Die Organisation „CaCleanAction“ verfolgt die Abstimmungen der Abgeordneten im Bereich jener Gesetze, die Transparenz und Ehrlichkeit in der Wahlkampffinanzierung fordern.
http://www.cacleanaction.org/pdf/cacleanmoney_scorecard_2014.pdf
Der Verein von Umweltwählern „LCV“ veröffentlichte diese Punktekarte.
http://www.lcv.org/Scorecard-2012.pdf
Human Rights Watch – e.V. - diese Organisation fördert Rechtsvorschriften, die die Rechte von Lesben und Schwule erweitern würden (oder kämpft dagegen an, wenn es eine mögliche Einschränkung betrifft). Ihre Punktekarte verfolgt das Thema Gleichstellung durch zehn wichtige Abstimmungen im Senat und Haus der Repräsentanten. Man liest tabellarisch, wie jeder einzelne der 535 Abgeordneten in den Plenarsitzungen abgestimmt hat.
http://www.hrc.org/resources/congressional-scorecard
Und: eine amerikanische Politik ohne Gewehre würde nicht amerikanische Politik sein. Bei der National Rifle Association Webseite sieht man die Verbindung zwischen den Wahlen und den Abstimmungen der Abgeordneten und wie dieses Verhältnis die Abgeodneten auf das Thema fokusiert. Ob man für oder gegen das Recht, Waffen zu tragen, ist - die Webseite der NRA ist ein ausgezeichnetes Muster für organisiertes Bürgerengagement.
https://www.nrapvf.org/grades/
http://www.nytimes.com/interactive/2012/12/19/us/politics/nra.html
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wollten die Genossen der SPD ihre Spitzenleute komplett digital wählen.
http://www.gmx.net/magazine/politik/sigmar-gabriel-kassiert-schweren-daempfer-spd-parteitag-31202364
So würde es im Halleschen Stadtrat laufen:
Die Abstimmung wird von dem Vorsitzende ankündigt. Die StadträtInnen werden gebeten, ihre vorläufige Abstimmung auf dem Touchscreen des Notepad zu treffen.
Auf der großen Leinwand im Saal sieht man eine grafische Darstellung der Sitzplätze und damit die vorläufige Abstimmung und deren Ergebnis. Dann bittet der Vorsitzende, dass die StadträtInnen ihre Stimmen bestätigen. Das Ergebnis gibt es dann auf dem großen Bildschirm und auch im Computer.
Natürlich, soll auch in Ausschusse diese Methode benutzt werden.
Alle Ergebnisse sollten dann auf der städtischen Webseite und im Sessionet tabellarisch zum Tagesordnungspunkt bzw. Antrag regelmäßig aktualisiert werden. Die digitale Wahlzettel-Revolution hat begonnen. Sie ist unumkehrbar.
Titelbild: www.cacleanaction.org