Am 25.05 2013 hatte es zu regnen angefangen. Der gesamte Mai war schon recht kalt und trübe gewesen, nur manchmal sah man die Sonne hinter den Wolken hervorblinzeln. Aller Menschen Hoffnung, nach dem ungewöhnlich langen Winter möge nun endlich richtiger Frühling Einzug halten, hatte sich zerschlagen. „Wonnemonat“ konnte man den Mai in diesem Jahr beim besten Willen nicht nennen. Und nun wurde die frohe Aussicht auf einen besseren Juni auch noch zerstört. Eine Woche lang verabschiedete sich der Mai mit Regenwetter. Die Meteorologen hatten es angekündigt, es musste gar mit örtlichen Überflutungen gerechnet werden. Die stärksten Niederschläge waren für Thüringen und das Erzgebirge prognostiziert worden. Diesmal stimmten die Voraussagen. Eine sich hartnäckig haltende Luftmassengrenze über dem Mitteldeutschen Raum bescherte der Region eine Woche lang starke Regenfälle.
Am 3. Juni kam das Hochwasser in Halle an. Ein ungewöhnliches Ereignis für diese Jahreszeit. Mit Hochwasser rechnet man im Winter und besonders zum Beginn des Frühjahres, wenn auf den Bergen die Schneeschmelze einsetzt.
Doch in diesem Jahr trat das Unerwartete ein. Die Pegel der Saale kletterten auf Rekordmarken, wie sie im gesamten 20. Jahrhundert nicht mehr erreicht worden waren. Die Peißnitz, die Würfelwiese – neue Seen, auf denen sich Enten und Schwäne und Nutrias tummelten. Die Mansfelder Straße überschwemmt, der Damm aus Sandsäcken an der Brücke zur Neumühle gebrochen, der Robert-Franz-Ring nur mit Schlauchbooten zu befahren. Die Talstraße in Kröllwitz erinnerte an einen venezianischen Kanal. Schwere Wassereinbrüche: In der Kunsthochschule am Neuwerk wurde die gerade neu angeschaffte Druckmaschine von den Fluten zerstört. Die Kellerräume des Muti-Media-Zentrums an der Mansfelder Straße betroffen, niemand hatte die wertvolle Technik weggeschafft, ein Schaden von 20 Mio Euro.
Aufregung bei den lokalen, politischen Entscheidungsträgern! Anfang Juni sollen die Händelfestspiele beginnen, das größte alljährliche Musikfest in Mitteldeutschland. Wie kann man feiern, wenn anderen Leuten das Wasser bis zum Hals steht? Ist überhaupt noch Kunst und Kultur angesagt, wenn die Dämme und Deiche einer Stadt zu brechen drohen? Der Oberbürgermeister entschied in Absprache mit dem Ministerpräsidenten, die Festspiele und sämtliche Veranstaltungen der höheren Kultur, wie Konzerte, Opern, Schauspiele abzusagen.
Proteste von Künstlern und Intendanten verhallten im Kultursender Radio „Figaro“. Dagegen fanden Kino und Fußball (zumindest in Leipzig) weiter statt. Warum? Vermutlich spielt die Betroffenheit im Bereich der niederen Kultur nicht die selbe, bedeutende Rolle. So konnte also die Hallesche Bevölkerung, einschließlich der Kulturschaffenden, den Kampf gegen die Wassermassen aufnehmen. Allen voran natürlich die Retter von Berufs wegen: Feuerwehr und THW. Wie man sah, waren freiwillige Helfer allenthalben genug vorhanden, doch manches Mal fehlte es an der ordnenden, die Übersicht bewahrenden Hand. Indes, wer wollte sich anmaßen, in einem Bienenschwarm immer Ordnung zu halten?
Jedenfalls gelang es dem tapferen Volk der Hallenser, die Würde der hier beheimateten Hochkultur zu wahren und ihre Heimatstadt weitestgehend vor der anschwellenden Flut zu schützen.
Wie konnte es überhaupt zu dieser Flut kommen? Wer fragte ernsthaft danach? Genügte es denn nicht, dass sie überhaupt da war? Beinahe unbewusst, irgendwie nebelgrau verschwommen, mehr ahnend als wissend, boten sich aber doch den Menschen einige plausible Erklärungen an: Die Zahl 2013 kann schon mal kein gutes Omen sein; vor allem der Klimawandel, der bringt doch alles durcheinander; ja, auch die bebauten Ufer und begradigten Flussläufe sind schuld, es fehlen die Ausweichflächen. Für die Kirchen ist es die Strafe Gottes, der sich zur Züchtigung der Menschheit traditionell gern einen „Sündflut“ bedient. Ähnlich verlangen Politiker und Philosophen wieder Demut zu üben, Ehrfurcht vor der Natur zu bezeugen. Als unstreitig positiv wird die „gelebte Solidarität“ der Fluthelfer bewertet. Schlußendlich handelt es sich unbestreitbar um höhere Gewalt, sei es nun eine solche der höchsten, himmlischen Instanz wegen moralischer Verfehlungen des Menschen, oder um die Rache der Natur wegen der menschlichen Naturverschandelung. Darin waren sich alle, Politiker, Theologen, gar Wissenschaftler und Philosophen und insbesondere die Versicherungsunternehmen einig.
In der Schule wurde uns einiges beigebracht, allerdings habe ich das meiste inzwischen vergessen. Aber offenbar löste dieser Ereignisschock bei mir ein längst schon totgeglaubtes Erinnerungssignal aus. Hatte nicht unser Geographielehrer, oder wars der Lehrer für Heimatkunde, seinerzeit stolz verkündet, dass uns solche verheerenden Hochwasser-katastrophen, wie sie noch im Mittelalter an der Tagesordnung waren, heute nicht mehr ereilen können. Warum? Nun, weil die Menschheit überall wo es gefährlich werden kann, Talsperren errichtet hat. Diese können nach Belieben abgelassen oder geflutet werden und bilden damit einen idealen und ausreichenden Puffer, um über das gesamte Jahr die Wasserstände einigermaßen stabil zu halten.
Ja, das hatte ich gelernt und das leuchtete mir ein. Doch nun fragte ich mich, ob nur mein Lehrer diese These vertreten hatte? War meinen Mitschülern nicht ähnliches beigebracht worden? Große Zweifel überfielen mich, weil niemand angesichts des Hochwassers überhaupt fragte, was denn aus unseren Talsperren geworden sei. Hat man sie inzwischen zurückgebaut, wurden sie gerade renoviert, war der Talsperrenwärter krank oder war der aus Kostengründen eingespart worden?
Vor allem beunruhigte mich, DASS niemand fragte. Bekanntermaßen unterliegt das Volksbewusstsein Schwankungen und ist kein unveränderlicher Status. So ist in unserem Falle offenbar allgemein unbekannt geworden, dass einst mit ungeheurem Aufwand von Menschen und Material Talsperren zum Zwecke des Hochwasserschutzes errichtet worden sind. Ich greife diesen Tatbestand des kollektiven Vergessens nicht aus der Luft. Beinahe Jedermann, ob jung oder alt, ist überrascht, wenn ich ihn auf diese Funktion einer Talsperre hinweise. Oft wird mir entgegengehalten: Talsperren? Nein, die dienen doch vorrangig der Wasserversorgung und Stromgewinnung. Selbst Wasserbauingenieure blockieren sofort: Solche Wassermassen kann ohnehin keine Talsperre zurückhalten, sagen sie prompt, ohne dass sie sich bislang mit dem Thema beschäftigt hatten. Verständlich! Wer will schon im Lande Schilda leben? Was, man hätte in der Talsperre nur etwas mehr Luft lassen müssen, dann wäre (fast) nichts passiert? Unmöglich, so einfältig können die Deutschen des 21. Jahrhunderts nicht sein!
Unsere Talsperren an der oberen Saale, standen sie diesmal der übermütigen Natur tatsächlich machtlos gegenüber? Man müsste die Konstrukteure und Erbauer fragen, die Baupläne und Berechnungen einsehen. Aber eigentlich bräuchte man nur ausrechnen, welcher Füllstand in Anbetracht der Niederschlagssituation für eine, wenn auch nicht vollständige, so doch angemessene Hochwasserdämpfung (Retention) hinreichend gewesen wäre. Die dazu erforderlichen Daten dürften vorliegen. Während des zum Maßstab genommenen größten Hochwassers im Jahre 1890 führte die Saale im Mittel 725 m³/sec ab.
Was kann man vorerst ohne derartige Berechnungen sagen? Wie ist die Situation an der Saale? Hier sind in Thüringen zwei mächtige Stauanlagen hintereinandergeschaltet worden: Die Bleiloch-Talsperre, der größte Stausee Deutschlands, und die Hohenwarte-Talsperre, der viertgrößte deutsche Stausee. Beide Talsperren bilden zusammen mit weiteren kleineren Stauanlagen die gigantische Saalekaskade mit einem für Deutschland einzigartigen Stauvolumen von 400 Mio m3 Wasser. Nirgends in Deutschland steht eine wirksamere Hochwasser-Schutzanlage als hier an der Saale.
Warum gerade hier? Initial zur Errichtung dieser Staugiganten war das Katastrophen-Hochwasser des Jahres 1890. Unter dem Eindruck der Hochwasserschäden waren sich alle Beteiligten einig, dass zur Verhütung bzw. Verminderung derartiger Schäden Talsperren in hohem Maße geeignet sind. Doch das Gerangel um Zuständigkeiten und Finanzmittel ließ sich jahrzehntelang nicht beilegen, und während des 1. Weltkrieges kamen die Initiativen völlig zum Erliegen. So kann man schon seinerzeit eine Art kollektives Vergessen konstatieren: Als der Krieg zu Ende war, lag das Hochwasser von 1890 lange Zeit zurück. Nun standen neue Aspekte, und zwar diejenigen des Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft im Vordergrund: Förderung der Energiewirtschaft und des Handels. Der finanzielle Aufwand zur Errichtung der Talsperren schien sich nunmehr aus den Gesichtspunkten der Stromerzeugung und der gleichmäßigen Wasserversorgung des Kanalnetzes, insbesondere des Mittellandkanales, zur Gewährleistung der Binnenschifffahrt zu rechtfertigen. Doch auch jetzt zogen sich die Verhandlungen noch bis zum Jahre 1929 hin. Ergebnis war schließlich die Gründung der Aktiengesellschaft Obere Saale, an deren Gesamtkapital von 34 Mio RM die Privatwirtschaft mit 14 Mio RM beteiligt war. Die abschließende Konzeption des Saaleausbaus umfasste die Stauwerke Bleiloch mit 215 Mio m3 und Hohenwarte mit einem Speichervolumen von 182 Mio m3 Wasser. Dementsprechend wurde in zwei Bauetappen, zunächst Bleiloch bis zum Jahre 1932 und danach Hohenwarte, das sog. Thüringer Meer, bis zum Jahre 1942 erbaut.
Aus dieser Historie könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Fürsprecher des vorsorgenden Hochwasserschutzes bei diesem Talsperrenprojekt eher unterrepräsentiert waren. Vorangetrieben wurde das Projekt vor allem von den Lobbyisten der Kraftstromgewinnung und der nationalen Verkehrspolitik. Das war aber nur vordergründig der Fall, denn man musste mit Rentabilitätsberechnungen das Interesse der entsprechenden Finanziers gewinnen. Die Regulierung des Saale-Flußlaufes war bei sämtlichen Planungen eine tragende Säule der Konzeption. Wenn die Kapazität der Staubecken ausreichte, Niedrigwasserstände bis hin zum Mittellandkanal auszugleichen, dann war ein Stauvolumen von 400 Mio m3 auch in der Lage, Hochwasserspitzen angemessen zu dämpfen. Damals wurden noch Kosten-Nutzen-Analysen erstellt, und so bin ich gewiss, dass ohne rechnerischen Nachweis eines dauerhaften Hochwasserschutzes die Anlage nicht genehmigt worden wäre.
Der Zweck zur Aufstauung des Saalewassers bestand beileibe nicht in der Schaffung beschaulicher Bade-, Angler- und Segelparadiese. Zwar sieht das Thüringer Meer heute so lieblich aus, als hätten hier vornehmlich Landschaftsgestalter gewirkt, um für Urlauber ein himmlisches Freizeitvergnügen zu schaffen: Fahrgastschiff kreuzen, Segelbote lassen ihre Segel schwellen, dort wird geangelt, hier tummeln sich Kinder am Strand. Doch niemals hätte man die Überflutung ganzer Ortschaften, die Vernichtung von Gewerbebetrieben und die Umsiedlung hunderter Menschen zum Zwecke der Herstellung einer Strandidylle verantworten können. Nur ein übergeordnetes nationales Interesse konnte diesen enormen Eingriff in gewachsene Kulturlandschaften rechtfertigen. Zwar wollte man auch Strom erzeugen, doch vor allem sollten die Pegelstände der Saale bis hinauf nach Magdeburg und weiter sogar bis zum Mittellandkanal, das gesamte Jahr über in einem beherrschbaren Rahmen gehalten werden. Das versprach die Dimensionierung der Talsperren, und nur vor diesem Hintergrund war das ehrgeizige Projekt genehmigungsfähig, war man bereit, die enormen finanziellen Mittel zu bewilligen.
Könnte es aber sein, dass die Konstrukteure und Entwickler der Talsperren Berechnungen anstellten und Versprechungen abgaben, die nicht zu halten sind? Hatten sie Niederschlagsmengen, wie diejenigen des Jahres 2013, nicht in ihr Kalkül einbezogen?
Für die Dimensionierung der Bleiloch- und Hohenwartetalsperre wurde das größte Hochwasser von November 1890 mit im Mittel 725 m³/sec zugrunde gelegt. Beiden Stauanlagen sind in der Lage bis zu 400 Mio m3 Wasser aufzunehmen. Der derzeit geforderte Hochwasserschutz für das Sommerhalbjahr liegt indessen bei lediglich 35 Mio m3, also weniger als 10%. Warum wird kein größerer Hochwasserschutzraum vorgesehen?
Die Saaletalsperren Hohenwarte und Bleiloch werden von der Firma Vattenfall, beziehungsweise deren Tochterunternehmen Vattenfall Hydro Germany betrieben. Vattenfall Hydro Germany erklärt sich mit dem Management des Hochwassers an der Saale-Kaskade „insgesamt zufrieden“. Ob sich auch die staatlichen Behörden mit diesem Management zufrieden erklären, war nicht in Erfahrung zu bringen. Überhaupt fehlt jede amtliche Stellungnahme zur Hochwasserregulierung dieser Talsperren. Man könnte doch annehmen, dass es sich hierbei um ein nationales Problem handelt und nicht um das freie wirtschaftliche Agieren eines (über)regionalen Stromproduzenten. Welchen Einfluss hat die Hochwasserbehörde des Landes Thüringen insbesondere im Vorfeld der Überschwemmungen ausgeübt, gibt es einen Hochwassermeldedienst? Oder überlässt sie das Hochwassermanagement dem Belieben des privaten Betreibers?
Kann man den Vorwurf erheben, Vattenfall habe keinen ausreichenden Stauraum vorgehalten? „Doch!“ antwortete Vattenfall, „wir hatten vielleicht nicht ausreichenden aber jedenfalls den vorgeschriebenen Stauraum von 35 Millionen Kubikmetern eingehalten“. Pech war, dass gerade erst im April der Winter-Stauraum von 55 Mio m3 auf den Sommer-Stauraum von 35 Mio m3 „umgestellt“ worden war. Man hatte also gerade den Stausee um 20 Mio m3 aufgefüllt. Der durchschnittliche Stauraum betrug nach Angaben von Vattenfall im Mai sogar bei 40 Mio m3 und lag somit noch um 5 Mio m3 über dem geforderten Mindestniveau.
Nun, ich erlaube mir die Frage, weshalb diese notwendigen Stauräume bei nicht einmal 10% des Gesamtspeichervolumens liegen? Hätten diese in Anbetracht der Flutschäden von 1994 und 2002 nicht längst erhöht werden sollen? Müssen Stauseen des Hochwasserschutzes in Anbetracht stark schwankender Niederschlagsmengen nicht wesentlich flexibler gefahren werden? Ist der Hochwasserschutz im Laufe der Jahre vielleicht drittrangig oder gar viertrangig geworden? Stehen an vorderer Stelle heute die Stromerzeugung und die Freizeitkultur mit ausreichender Schiffahrtstiefe für Ausflugsdampfer? Vieles spricht dafür. Beispielsweise teilt die Sächsische Staatskanzlei unter den „Fakten zur Stauanlagenbewirtschaftung“ mit, dass an der Mehrzahl der Hochwasserrückhaltebecken keine Zulaufpegel und keine Niederschlagssituationen erfasst werden. Sieht man sich die Internet-Seiten der deutschen Stauseen an, so ist dabei fast ausschließlich die Rede von Camping, Baden und Radeln. Auch Stromgewinnung aus „natürlicher“ Wasserkraft spielt eine Rolle, hingegen ist der ursprüngliche Zweck einer wirksamen Hochwasserregulierung fast gänzlich in Vergessenheit geraten.
Schon die Tatsache, dass man Stromkonzernen und nicht öffentlichen Wasserschutzämtern den Betrieb der Stauanlagen – mit offenbar eigenem Hochwassermanagement - überlässt, ist ein Indiz dafür, welch geringer Stellenwert heutzutage dem Hochwasserschutz beigemessen wird. Schließlich handelt es sich um Bauwerke, die der nationalen Sicherheit dienen! Was würde wohl dabei herauskommen, wenn ich den Betrieb einer Milchviehanlage einem Schlachthaus überließe oder die Deutsche Bahn beauftagte die Direktion der Lufthansa zu übernehmen?
Von Stausee-Anrainer wurden Vorwürfe erhoben, der private Betreiber habe die Stauseen vorsätzlich vollaufen lassen, um den illegalen oder halbillegalen Dauercampern deren Risiko aufzuzeigen.
Aus dem Internet die Stimme eines Anrainers: Man kann schwer verstehen, dass die Staumauern des Konzerns Vattenfall vor dem Einsetzen der Regenperiode so voll sein mussten. Liegt es daran, dass man Angst vor Verdienstausfällen hatte, wie im letzten Jahr, oder war es Schikane der Anwohner? Fakt ist, den Zweck wofür diese Mauer gebaut wurde, hat sie diesmal nicht erfüllen können. Bin mal gespannt, wann dies das letzte Mal so gewesen ist? Bestimmt nicht, wo noch der Staat über so ein Gemeinwohl entschieden hat.
Viele Anrainer machten dieselben Beobachtungen und erhoben ebensolche Bedenken. Jedenfalls wiesen die Pegel des Hohenwarte-Stausees Ende Mai/Anfang Juni ein Niveau auf, das diesen Darstellungen entspricht. Dar Stausee war praktisch bereits randvoll, als der ergiebige Niederschlag einsetzte. Nun kam dieser nicht völlig unerwartet sondern war mindesten 3 Tage zuvor angekündigt worden. Unabhängig davon, dass zur Gefahrenabwehr ohnehin ständig größere Stauräume vorgehalten werden sollten, hätte auch diese Zeitspanne zur Stauraumschaffung genutzt werden können. Oder man muss eben ein effizientes Frühwarnsystem installieren, wenn der gewöhnliche Hochwassserrückhalteraum nur bei 10% des Gesamt-Stauvolumens liegen soll. Bei den heutigen Möglichkeiten sattelitengestützter Wetterprognosen, kann man von Gewittern und Wolkenbrüchen nicht mehr blindlings überrascht werden. Als Hochwasserschutzanlagen werden die Saalekaskaden über einen hohen Ausbaugrad verfügen. Sie werden demzufolge auch ein hohes Retentionspotential, also die Fähigkeit zur Dämpfung von Hochwasserwellen, bereithalten.
Frau Christine Lieberknecht forderte am 13.06.2013 ein nationales Konzept für den Hochwasserschutz. Der Hochwasserschutz müsse auf Bundesebene gesteuert werden, denn die Fluten machten nicht an Ländergrenzen halt. Um künftige Fluten zu verhindern müsse eine Inventur zu Deichen, Poldern und Rückhaltebecken gemacht werden.
Wie bitte? Kann man sich da nur fragen! Die Hochwasserproblematik wird jetzt erst als nationales Problem erkannt? Bislang wurstelt also jedes Bundesland und jede Talsperre für sich herum und guckt nicht über den Tellerrand hinaus? Da wird von unbeherrschbaren Naturkräften gefaselt, und die Politik ist nicht mal in der Lage, ein nationales Hochwasser-Schutzkonzept zu erarbeiten. Das ganze deutsche Volk ist vom Hochwasser betroffen, aber auf Bundesebene ist niemand zuständig. Warum schafft man kein Ministerium für Hochwasserschutz? Das wäre mal unter den vielen unnützen Ministerien eine wahrhaft notwendige Instanz. Frau Bundeskanzlerin hätte sich also besser vor der Flut zu den Talsperren chauffieren lassen sollen, um deren Pegelstände höchstpersönlich zu kontrollieren, als sich im Nachhinein betroffenen Blickes auf Sandsackbarrieren in Pose zu stellen, und über die schreckliche Flut zu lamentieren. Ja, und warum fährt sie überhaupt hin, wo doch die Länder zuständig sind?
Als sie so verzweifelt über die Fluten blickte, unsere Bundeskanzlerin, ob da wohl eine unheimliche Frage in ihr aufstieg: War nicht doch manches in der DDR besser gewesen? Auf diese Frage war - mir jedenfalls - bislang nichts eingefallen. Nun weiß ich eine Antwort: Der präventive Hochwasserschutz! So kann ich mich an keine gravierenden Überschwemmungen an Elbe, Saale oder Mulde in DDR-Zeiten erinnern. Ich glaube nicht, dass sich Klima oder Niederschlagsmengen seit 1989 wesentlich verändert haben. Selbst der Herrgott müsste versöhnlicher gestimmt sein, da doch die Atheisten nicht mehr an der Macht sind. Trotzdem ereigneten sich die großen Fluten ausgerechnet seit der Wende, nämlich in den Jahren 1994, 2002 und 2013. Der präventive Hochwasserschutz muss irgendwie im Nirvana verschwunden sein. Die gigantischen Stau-Bollwerke sind in süßen Untätigkeits-Schlummer gefallen, wie weiland Herkules bei Königin Omphale. Sie rekeln sich nur noch wohlgefällig in der Sonne, ergießen „grünen“ Strom, sind im übrigen zu genusssüchtigen Wassersport-Paradiesen verkommen.
Um sie zu erwecken, scheint es ratsam, sich ihrer früheren, harten Lebensbedingungen zu erinnern. Also wie war die Verwaltung des präventiven Hochwasserschutzes, insbesondere der Hochwassermeldedienst, in der DDR organisiert? Wer betrieb die Talsperren, wie hoch waren damals die geforderten Hochwasserschutzräume, beispielsweise an Bleiloch und Hohenwarte? Dies zu ermitteln, meine Damen und Herren, bedarf sicherlich keines Antrages bei der Stasi-Unterlagen-Behörde, oder doch?
Und so lautet mein ernüchterndes Fazit: Kein Gottesgericht, kein Klimawandel! Nein, menschliches, um nicht zu sagen politisches Versagen ist der hausgemachten Katastrophe Keim und Auslöser! Selbst die Flut des Jahres 2002 war offenbar nicht gewaltig genug, daran etwas zu ändern. Hat wenigstens diese Jahrhundertflut die Verantwortlichen aufgerüttelt? Vorläufig ein bescheidener Vorschlag: Wir verdoppeln erst mal – und zwar kurzfristig, da Eile geboten – an jeder Talsperre die ständig vorzuhaltenden Hochwasserschutzräume. Das müsste doch zu machen sein!
Heinz Schmerschneider
Die Staumauer der Bleilochtalsperre von Westen her gesehen/ Foto: Christian Fleck, Wikipedia, Common Good